Die papierne Front
Vor 50 Jahren flog der »Kongress für Kulturelle Freiheit«, eine zentrale Institution des westlichen Nachkriegs-Geisteslebens, als CIA-Operation auf. Doch er wirkt weiter.
Fast hätte er alles vermasselt, der plumpe Trampel aus Wisconsin: 1953, als dem »Kommunistenjäger« Joseph McCarthy der Einfluss seines »Komitees für unamerikanische Aktivitäten« zu Kopfe gestiegen war, begann er plötzlich, der CIA am Zeug zu flicken. Dahinter stand wohl FBI-Chef J. Edgar Hoover, der sich als oberster Geheimpolizist verstand. Aus Eifersucht auf die immer wichtigere Rolle der »Central Intelligence Agency« im amerikanischen Sicherheitsapparat spielte er McCarthy Material zu, das CIA-Agenten als Kryptokommunisten bloßstellen sollte.
Hinter den Kulissen begann ein Kräftemessen. Die CIA setzte, wie 2011 ein Filmfeature von Lutz Hachmeister rekonstruierte, mindestens einen Agenten auf McCarthy an. Und anders, als 2005 in dem Hollywoodstreifen »Good Night and Good Luck« von George Clooney dargestellt, war es weniger dem mutigen Fernsehjournalisten Edward Murrow geschuldet, dass McCarthys Ära 1954 so abrupt endete. Als sich der Senator anschickte, eine linke Unterwanderung der CIA zu skandalisieren, gefährdete er unwissentlich zentrale Projekte des Dienstes und wurde selbst zur Bedrohung.
Es war nämlich tatsächlich etwas dran an Hoovers Material. Das Personal und die Aktivitäten der CIA besonders der Nachkriegszeit entsprach nur zum Teil dem Klischee von den martialischen rechten Hardlinern. Ein nicht unwesentlicher Flügel bestand aus schillernden Persönlichkeiten mit liberal-intellektuellem Habitus, die oft tatsächlich aus linken Organisationen kamen – nicht selten aus trotzkistischen Vereinigungen, aber auch aus der KP der USA. Wissenschaftliche Tagungen und Kulturzeitschriften Diese Leute arbeiteten unter anderem für das »Office for Policy Coordination« (OPC) unter Frank Wisner, das 1951 in der CIA aufgegangen war. Und sie operierten nicht – was natürlich auch zum Instrumentarium gehörte – mit Methoden wie wirtschaftlicher Druckausübung, Sabotage und Antisabotage, Subversion gegen gegnerische Regierungen, Unterstützung von Untergrundgruppen, politischer Mord usw. Stattdessen organisierten sie wissenschaftliche Konferenzen, gaben Intellektuellenmagazine heraus, finanzierten ausgewählte Publikationen, ja ganze Verlage – und Gruppierungen, die der US-Regierung durchaus kritisch ge- genüberstanden. Zumindest rückblickend waren diese Aktivitäten für den amerikanischen Sieg im Kalten Krieg von hoher Bedeutung. Doch musste all das streng geheim gehalten werden, um wirken zu können – ganz besonders auch vor der US-amerikanischen Mehrheitsgesellschaft 1950er und 1960er Jahre.
Wie nämlich hätte diese etwa auf die Nachricht reagiert, dass ausge- rechnet die CIA hinter der Teilnahme linker amerikanischer Studierender an den »Weltfestspielen der Jugend« 1959 in Wien und 1962 in Helsinki stand – jenen politisch-kulturellen Festivals des sozialistischen »Weltbunds der demokratischen Jugend«? Tatsächlich organisierte die CIA die US-Delegation geradezu. Sie bediente sich dabei einer jungen Hochschulabsolventin, die später landesweit bekannt wurde und bis heute über die USA hinaus als Aktivistin populär ist: der Feministin Gloria Steinem, Gründerin und langjährige Chefin des Magazins »Ms.«
Gegenüber der »New York Times« hat Steinem über diese Kollaboration Folgendes behauptet: Während eines Studienaufenthalts in Indien sei sie zur Aktivistin geworden und habe die Überzeugung gewonnen, dass sich die USA an den Weltfestspielen von 1959, den ersten außerhalb der Ostblockstaaten, beteiligen müssten. Doch hätten mögliche Geldgeber entsetzt abgewinkt – bis sie an die CIA geriet. Deren Agenten, die Steinem im Nachhinein als »liberal«, »weitsichtig« und als angenehm kultivierte Zeitgenossen beschrieb, bastelten ihr bereitwillig eine großzügig finanzierte Institution namens »Independent Research Service« und finanzierten jahrelang ihre Aktivitäten.
Steinem behauptet, es sei keine Gegenleistung erwartet worden, doch ergaben seinerzeit Recherchen des feministischen Kollektivs »Redstockings«, dass sie über Schlüsselfiguren des Festivals – besonders über solche aus westlichen oder neutralen Ländern, auch über US-Bürger – berichtete. 1979 verhinderte Steinem, die erst jüngst viel bejubelt beim »Womens March« gegen Donald Trump auftrat, eine Publikation dieser Recherche durch den großen Verlag Random House.
Staatliche Finanzierung moderater Gesellschaftskritik
Wie es um die mutmaßlichen Spitzeldienste der feministischen Ikone bestellt war, kann hier dahingestellt bleiben. Auch Mutmaßungen aus Teilen der Schwarzenbewegung, Steinem habe im Auftrag der CIA gehandelt, als ihre Zeitschrift später sehr zugespitzt die Männerdominanz in deren Organisationen anprangerte, sind hier kaum aufzuklären. Signifikant an der Episode um Steinem, die jegliche CIA-Kontakte nach 1962 bestreitet, ist vor allem, wie sie überhaupt an die Agency geraten war: Nach eigenem Zeugnis stellten Funktionäre der NSA – der »National Student Association« – den Kontakt her. Denn auch diese eher linksliberale Organisation wurde von der CIA mitfinanziert, und zwar bereits seit dem Jahr 1952.
Die Logik hinter diesen Aktivitäten ist im Nachhinein so bestechend, wie sie für McCarthy und ähnlich schlichte Zeitgenossen – sowie für deren Gegenspieler im Osten – ungeheuerlich wirken musste: Eine verdeckte, aber breite Finanzierung moderater Regierungs- und Gesellschaftskritik verschaffte dem Dienst, der auf eine Trennung zwischen Inund Ausland pfiff, tiefe Einblicke in die entsprechenden Kreise und Ansatzpunkte für Manipulationen. Darüber hinaus trug diese Politik dazu bei, wirklich radikale Positionen zu marginalisieren.
Die OPC/CIA-Leute, die der Hardliner Hoover wutschnaubend »Wisner’s gang of weirdos« – »Wisners Schräge-Typen-Bande« – genannt haben soll, konnten dabei außerordentlich großzügig sein. So waren die Hunderte junge Amerikaner, die ohne ihr Wissen von der CIA zu den Weltfestspielen geschickt wurden, oft ehrliche Kritiker ihrer Regierung. Wie sie sich in Wien und Helsinki verhielten, wie scharf sie gegen die USA wetterten, mit wem sie Beziehungen knüpften: All das konnte die CIA nicht steuern. Es kam ihr aber wohl auch nicht darauf an. Der radikale Schick dieser Leute, ihre Bildung, ihre Weltläufigkeit und gerade auch ihre kritische Integrität sollten lediglich jene intellektuelle Frontbildung gegen die USA, auf die diese Festivals zielten, ein wenig aufweichen.
Besonders ausgeprägt war diese flexible Politik der papiernen Front indes in Westeuropa. Hier galt es, die geistigen Verwerfungen des Faschismus im Sinne der CIA zu bearbeiten. In wichtigen Ländern – darunter Frankreich, das man sehr richtig als intellektuelle Leitnation des Kontinents identifizierte, aber auch etwa in Italien – hatte sich die konservative und rechte Intelligenzia durch Kollaboration oder Indifferenz nachhaltig diskreditiert, während kommunistische Ideen und Intellektuelle aufgrund ihrer Widerstandsgeschichten zunächst große Sympathie genossen. Das Instrument, das man sich zur Revision dieser Ausgangslage zimmerte, hieß »Kongress für Kulturelle Freiheit« (CCF) und war in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten ein zentraler Faktor im westeuropäischen Geistesleben.
Die Geschichte dieser maßgeblich von der CIA – verdeckt über Stiftungen, teils mit Geld aus dem Rückfluss des Marshallplans – finanzierten Kulturkampforganisation ist frappierend: Auf ihrem Höhepunkt unterhielt sie feste Büros in 35 Staaten und gab allerlei einflussreiche Intellektuellenmagazine heraus – etwa »Der Monat« in Westdeutschland, »Tempo presente« in Italien, »Preuves« in Frankreich und »FORVM« in Österreich. Seinen Anfang nahm der CCF im Juni 1950 auf einer Konferenz in Westberlin. Als Plattform verabschiedet wurde dort zunächst ein geharnischtes antikommunistisches Manifest. Doch bald verloren, so der Münchner Amerikahistoriker Michael Hochgeschwender, auf Betreiben ausgerechnet Michael Josselsons – des verdeckten CIA-Koordinators im CCF – und unter Ägide des Führungsoffiziers Thomas Braden die radikalen Antikommunisten an Einfluss. Stattdessen propagierte der CCF zunehmend eine Einstellung, die eher der amerikanischen Linken zuzurechnen war und die Hochgeschwender »Konsensliberalismus« nennt: eine »Mischung aus Liberalismus, Pragmatismus, Keynesianismus, Internationalismus und Kosmopolitismus«, die zunehmend als »unideologisch« verkauft wurde.
Besonders Josselson, als Sohn eines estnisch-jüdischen Holzhändlers in Berlin und Freiburg aufgewachsen, war der plumpe, ideologisierte und schauprozesshafte Antikommunismus in der Art von McCarthy wohl ehrlich zuwider. Doch dürften bei diesem Schwenk auch strategische Überlegungen eine Rolle gespielt haben: Die Inquisitionspraktiken und schon der Name des »Komitees für unamerikanische Aktivitäten« taugten kaum als positives Gegenbild zum »Totalitarismus«. Grob zusammenfassen lässt sich die CCF-Agenda folgendermaßen: Es ging erstens um eine Entfremdung gerade der eher linken Intelligenzia vom Kommunismus osteuropäischer Prägung und – wie es der amerikanische Theoretiker Gabriel Rockhill jüngst ausdrückte – von