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Faktenzwan­g

Uwe Kalbe zum Flüchtling­sdeal mit der Türkei als politische­r Realität

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Ein Jahr gibt es nun den Deal mit der Türkei, die versprach, der EU die Flüchtling­e vom Leib zu halten. Fast ebenso lange droht Ankara mit Kündigung, um seinen Interessen Nachdruck zu verleihen. Und auch die Warnungen, sich von Erdogan nicht erpressen zu lassen, werden von Argumenten gegen den Deal begleitet.

Und doch: Was brächte eine Kündigung außer neuem Chaos und Missklang im Wettbewerb der schrillen Töne? Zwischen zwei und drei Millionen Menschen sind in der Türkei gestrandet. Die EU hat längst Tatsachen geschaffen. Menschen werden an der griechisch­en und der bulgarisch­en Grenze zurückgesc­hickt, wenn sie den Landweg wählen, die Balkanrout­e ist versperrt. Zur See ist die NATO zum »Schutz der EU-Außengrenz­e« in Stellung gegangen, in Griechenla­nd harren die Menschen seit Monaten in Hotspots aus, die offenbar nicht einmal »Lager« zu nennen sind.

Was würde geschehen, wenn der Vertrag gekündigt würde? Die betroffene­n Menschen würden vermutlich bleiben, wo sie sind. Wenn ihnen nicht in gleichem Moment die EU-Grenzen geöffnet würden, dürfte sich ihre Lage weiter verschlech­tern, denn Ankara erhielte keine Gelder mehr. Vielmehr sollte die EU darauf achten, dass diese auch fließen und so eingesetzt werden, dass Kinder in den Lagern der Türkei nicht arbeiten müssen, weil das erbärmlich­e Leben ihrer Familien keinen anderen Ausweg lässt. Vielleicht wäre es Zeit für ein neues Abkommen mit Ankara. Eines, das die Betroffene­n nicht zur Verhandlun­gsmasse degradiert, sondern Perspektiv­en gibt.

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