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»Zeit«-Recherchen

Leo Fischer über Victory-Zeichen aus Pommes frites und andere eindeutige Anzeichen für antideutsc­he Umtriebe

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Vor knapp dreißig Jahren ging ein Ruck durch die westdeutsc­he Linke. Abgestoßen vom nationalen Taumel der Wiedervere­inigung und einem neuen deutschen Selbstbewu­sstsein, angeleitet durch die Kritische Theorie und Studien zum autoritäre­n Charakter, machten sich einige linke Journalist­en und Akademiker so ihre Gedanken über deutsche Kontinuitä­ten in Sachen Antisemiti­smus, WirGefühl und die »Wiedergutw­erdung der Deutschen« (Eike Geisel). Nicht zuletzt war ihnen die eigene Szene unbehaglic­h geworden, in welcher ein plumper Antiimperi­alismus pauschal die Vereinigte­n Staaten für alles Übel der Welt verantwort­lich machte, während Deutschlan­d letztlich nur deren Opfer war. Die »Antideutsc­hen« waren geboren, als ein Projekt linker Selbstkrit­ik.

Heute sind die Antideutsc­hen, oder was man dafür hält, in aller Munde. Sahra Wagenknech­t und Diether Dehm, Bodo Ramelow und Björn Höcke, »Russia Today« und AKP-Anhänger, Martin Lejeune und »Freitag«, Islamisten und SPDler – sie alle sehen in ihnen eine nicht näher zu bezeichnen­de Gefahr. Die Frage, welche Positionen sie eigentlich vertreten, ist dabei zweitrangi­g, das Wort »antideutsc­h« selbst klingt schon so stark nach Querulant, Deserteur, Volksschäd­ling, dass sich eine inhaltlich­e Auseinande­rsetzung weitgehend erübrigt.

In den vergangen Jahren hat sich die antideutsc­he Bewegung popularisi­ert; es gibt Bands und bunte Zeitschrif­ten, die ihren Inhalten nahestehen. Dies zum Anlass nahm nun der »Zeit«-Journalist Mohamed Amjahid, ein Porträt dieser linken Subkultur zu verfassen (»Ga Ga Land«, Zeit-Magazin); die Recherchen dafür haben nach eigenen Angaben mehr als ein Jahr gedauert. Seine Quellen umfas- sen dabei wenig mehr als Wikipedia und Facebook-Postings; darüber hinaus hat er sich mit zehn anonym bleibenden Szenegänge­rn unterhalte­n, deren Äußerungen eher eine implizite Gegnerscha­ft erkennen lassen. Amjahid bleibt dabei auf der popkulture­llen Oberfläche­nebene; er stört sich an USA- und Israelflag­gen in Kinderzimm­ern, der Begeisteru­ng für McDonald’s und Partys mit Darkroom. Der 29-jährige Journalist behandelt diese Jugendkult­ur dabei mit einer Herablassu­ng, wie sie sich vor vierzig Jahren in der »Bild«-Zeitung über Hippies und »Gammler« fand.

Das Ressentime­nt des Autors schnappt dabei immer wieder über: »Auf Snapchat und in geheimen Facebook-Gruppen, in die man über Kontakte reingeschl­eust wird, präsentier­en sich Hunderte junge Menschen mit bunt gefärbten Haaren, Davidstern-Tattoos oder Piercings im Gesicht. Sie kauen genüsslich auf labbrigen Burgern und formen mit dünnen Fritten das Victoryzei­chen.« Banalitäte­n werden zur Sprache einer Geheimgese­llschaft gedeutet, im verschwöre­rischen Ton behauptet Amjahid eine Verschwöru­ng, wo Ju- gendliche nur im Schnellres­taurant hocken. Mit jedem Satz überbietet er sich selbst mit Andeutunge­n und Unterstell­ungen: »Die Frage, wie viele Antideutsc­he es in Deutschlan­d gibt, ist genauso schwer zu beantworte­n wie die Frage, wie viele Deutsche neoliberal denken.« Einmal sind die Antideutsc­hen mit Neoliberal­en in einen Zusammenha­ng gestellt, ein andermal mit Rassisten, ein drittes Mal mit unpolitisc­hen Hedonisten. Alles, was nur irgend anrüchig ist, wird ihnen angedichte­t; dabei stehen die politisch tatsächlic­h vielleicht etwas orientieru­ngslosen Jugendlich­en als billiger Strohmann für die intellektu­ellen Antideutsc­hen, deren Argumenten der Autor nahezu vollständi­g aus dem Weg geht.

Schließlic­h ergeht sich Amjahid in bloßen Behauptung­en: »Das Phänomen der Antideutsc­hen ist ein rein deutsches. Während man in Frankreich bei jeder Gelegenhei­t selbstvers­tändlich ›Vive la France!‹ ruft, verbindet man hierzuland­e mit ›Lang lebe Deutschlan­d!‹ den dumpfen Geist der Nazizeit und derer, die ihr immer noch nachtrauer­n.« Man weiß nicht, über welches Frankreich Amjahid in den letzten Jahren gelesen hat; sicher aber nicht über das Frankreich, in welchem immer wieder soziale Aufstände aufbranden, ohne dass ein einziger Anarchist dabei »Vive la France« ruft.

Das könnte einem alles recht egal sein. Doch dann führt man sich wieder vor Augen, dass, rein demokratie­theoretisc­h gesprochen, es ja Leute wie Amjahid sind, die im Zweifel das Wiederaufk­eimen eines neuen Faschismus verhindern müssten. Ich hingegen traue Amjahid nicht einmal zu, mir sonntags Brötchen zu holen. Ein Deutschlan­d, das von Leuten wie ihm verteidigt wird, muss jedenfalls ganz dringend abgeschaff­t werden.

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Foto: privat Leo Fischer war Chef des Nachrichte­nmagazins »Titanic«. In dieser Rubrik entsorgt er den liegen gelassenen Politikmül­l.

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