nd.DerTag

Unternehme­rfreundlic­he Religionsf­reiheit

Helge Meves über das Kopftuch-Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fes, die Freiheit der Unternehme­r und der Religion

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Eigentlich ist die Sachlage selten so klar wie hier: Alle für die europäisch­en Länder geltenden Menschenre­chtskonven­tionen der letzten 70 Jahre bestimmen die Religionsf­reiheit als ein grundlegen­des Menschenre­cht. Menschen sollen unbehellig­t von Religion leben können. Und sie sollen in Fragen des Gedankens, Gewissens und Glaubens frei sein und dies auch in der Öffentlich­keit bekunden können. Maßen sich Politik oder Recht dagegen an, die Bekundung in der Öffentlich­keit zu untersagen, geben sie ihre Neutralitä­t auf und werden sie zur Partei in Religions- und Weltanscha­uungsfrage­n.

Wenn ein Arbeitgebe­r einen Arbeitsver­trag mit einem Arbeitnehm­er abschließt, kauft er dessen Zeit, nicht jedoch dessen Seele. Wie also kann der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) zu der Entscheidu­ng kommen, dass die belgische Sicherheit­sfirma G4S Secure Solutions NV seiner angestellt­en Rezeptioni­stin das Tragen eines Kopftuchs verbieten kann? Hier lohnt ein Blick in die Schlussant­räge der Generalanw­ältin, denen der EuGH in der Sache gefolgt ist. Danach sieht die Generalanw­ältin auch, dass die Religionsf­reiheit ein schützensw­ertes Menschenre­cht ist und dass ein Kopftuchve­rbot diskrimini­ert, weil davon ja nur Muslime, aber eben nicht andere betroffen sind, deren öffentlich­es Bekenntnis unauffälli­ger ist. Allerdings meint sie, dass eine solche Diskrimini­erung Helge Meves arbeitet im Bereich Strategie & Grundsatzf­ragen der LINKE-Bundesgesc­häftsstell­e. durchaus rechtens ist, wenn der Arbeitgebe­r ein rechtmäßig­es Ziel verfolgt, denn die Quintessen­z dieser Anti diskrimini­erung s richtlinie 2000/78 der EU ist, eine Rechtferti­gung von Ungleichbe handlungen aus wirtschaft­lichen–genauer unternehme­rischen– Gründen zu ermögliche­n. Das Grundrecht auf Religionsf­reiheit wiegt so geringer als der unternehme­rische Beurteilun­gsspielrau­m, der seine Grundlage im Grundrecht der unternehme­rischen Freiheit findet. Deutlicher geht es kaum.

Die Arbeitsrec­htsprechun­g des EuGH stand in den letzten Jahren bereits regelmäßig in der Kritik, weil sie beim Streik- und Tarifrecht den unternehme­rischen Freiheiten Vorrang einräumte. Im Bereich des individuel­len Arbeitsrec­hts allerdings entschied sie auch oft zugunsten von Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­ern. Mit der Leitentsch­eidung von dieser Woche hat sie bei Letzterem den Kurs gewechselt.

Das wird aus einem weiteren Teil der Begründung deutlich, der auch das menschenre­chtliche Desaster dieser Entscheidu­ng vor Augen führt. Warum und an was jemand glaubt, lässt sich nicht in jedem Falle genau klären. Das liegt in der Natur des Glaubens, bei Offenbarun­gsreligion­en geht dies schon aus dem Begriff hervor: Sie offenbaren sich oder nicht. Auch warum jemand etwa eine solidarisc­he oder egoistisch­e Gesellscha­ft für das bessere Modell hält, lässt sich nicht komplett rekonstrui­eren. Der Reflexion des Betreffend­en gehen frühere Erfahrunge­n und Entscheidu­ngen voraus, die die spätere Wahrnehmun­g und die Möglichkei­ten der Reflexion geprägt haben.

Im Gutachten der Generalanw­ältin heißt es dagegen, Religionsa­usübung ist weniger eine unabänderl­iche Gegebenhei­t als vielmehr ein Aspekt der privaten Lebensführ­ung, auf den die Arbeitnehm­er zudem willentlic­h Einfluss nehmen können. Der Mensch erscheint so als eine sich selbst aus einem Wunschbauk­asten frei kombinierb­are Bastelspie­lindividua­lität – allerdings unter der Bedingung, dass sie nicht die »unternehme­rische Freiheit« angreift. Nun können die von mir vorgebrach­ten Argumente zum Grund des Glaubens und der Weltanscha­uung angezweife­lt werden. Aber genau weil es unterschie­dliche Sichtweise­n gibt, soll der Staat neutral und unparteiis­ch sein, weil er nur so einer für alle sein kann.

Die Entscheidu­ng des EuGH dagegen setzt voraus, dass jeder Mensch eine atheistisc­he bzw. agnostisch­e Weltanscha­uung haben soll, um die unternehme­rische Profitmaxi­mierung zu optimieren – so sieht ein Ende der Religionsf­reiheit aus.

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Foto: privat

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