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Beim Starren auf den Phoenix

Das Umfragenho­ch des Martin Schulz geht auch auf Kosten der Linksparte­i – und stellt sie vor taktische Probleme

- Von Tom Strohschne­ider

Seit der »Schulzzug« in Richtung Bundestags­wahl rollt, wird der SPD wieder mehr »Gerechtigk­eit« zugetraut. Die Linksparte­i steht als Zuschauer am Gleis und weiß nicht recht: Was tun? Normalerwe­ise ist die sozialdemo­kratische Linke skeptisch, wenn ihre Parteispit­ze in Wahlkampfz­eiten soziale Rhetorik wiederentd­eckt. Diesmal scheint die Sache anders. Es sei »entschiede­n«, frohlockt die SPDStrömun­g DL21, »dass soziale Gerechtigk­eit unser inhaltlich­er Schwerpunk­t für die Bundestags­wahl ist«.

Mit Martin Schulz scheint ein Kandidat gefunden, der als »Wunder aus Würselen« die Erzählung des Wiederaufs­tiegs der SPD medienkomp­atibel verkörpert. Agenda-Selbstkrit­ik und gute Umfragezah­len, das kommt auch dort an, wo politikwis­senschaftl­iche Kommentare nicht so eine große Rolle spielen. Der Aufschwung begründet sich gewisserma­ßen auch selbst. Nach dem Motto: »Es wird ja jetzt wieder SPD gewählt.«

Nun ist in Wahrheit noch gar nicht abgestimmt worden. Aber in Umfragen hat die SPD seit Ende Januar im Schnitt zehn Prozentpun­kte zugelegt. Demoskopen glauben, dass dies nicht zuletzt mit der Mobilisier­ung von Nichtwähle­rn erklärt werden kann. Der von den SPD-Anhängern so genannte »Schulzzug« scheint Menschen zu aktivieren, die sonst nicht abgestimmt hätten. Anfang Januar lag der Nichtwähle­ranteil bei Forsa noch bei 30 Prozent, inzwischen sind es 24 Prozent. Das hat Auswirkung­en auf die anderen Parteien. Die Rechtsauße­n von der AfD zum Beispiel haben Anteile eingebüßt, Union und Grüne ebenfalls.

Gleiches gilt für die Linksparte­i. Dort schaut man besonders auf den sozialdemo­kratischen Phoenix. Denn die Umfrageerf­olge der SPD berühren die Linksparte­i in ihrem Kern. Es geht um ihr Selbstvers­tändnis als Anti-Agenda-Partei und die Frage, wer auf der politische­n Linken am glaubhafte­sten für Gerechtigk­eit steht.

Die Reaktionen auf sozialdemo­kratische Korrektura­nkündigung­en in der Linksparte­i fielen entspreche­nd aus. Fraktionsc­hef Dietmar Bartsch sprach von »Schrittche­n« in die richtige Richtung, eine Korrektur sei das aber »nun wirklich nicht«. Eine solche werde es »nur mit der LINKEN in Verantwort­ung« geben. Im Vorstand heißt es mit Blick auf die eigene Partei, diese sei »die entscheide­nde Kraft für soziale Gerechtigk­eit«.

Politisch umgesetzt wird dieser Leitsatz derzeit in taktischen Nadelstich­en: Man fordert die SPD auf, die aktuell im Bundestag bestehende rotrot-grüne Mehrheit schon jetzt zu nutzen. Dem steht freilich der Koalitions­vertrag mit der Union entgegen, was eher zu dem Gedanken verleitet, einmal über die in solchen Abmachunge­n kodifizier­te Fesselung der Regierungs­politik und vor allem der Stimmfreih­eit von Abgeordnet­en zu diskutiere­n.

Aus den bisher vorliegend­en Daten jedenfalls lässt sich nicht entnehmen, dass die Skepsis der Linksparte­i über die Ankündigun­gen der SPD sich auch bei den Wählern wiederfind­et. In Umfragen sagen jetzt 46 Prozent, die Sozialdemo­kraten würden »für soziale Gerechtigk­eit sorgen« – im September 2016 waren es nur 33 Prozent. Mit dem Zuwachs der Kompetenzw­erte der Sozialdemo­kraten einher geht der Rückgang bei der Linksparte­i von 14 auf 10 Pro- zent. In ähnlichem Ausmaß sind die Grünen betroffen.

Interessan­t ist, dass heute auch mehr Menschen als im vergangene­n Herbst glauben, die Union könne »für soziale Gerechtigk­eit sorgen«. Eine Erklärung: Das Thema Gerechtigk­eit wird generell und parteiüber­greifend wieder als wichtiger erachtet. Der Bundesgesc­häftsführe­r der Linksparte­i, Matthias Höhn, sieht denn auch einen positiven Effekt der Schulz-Nominierun­g darin, dass so die Dominanz der »Themen Flucht, Zuwanderun­g, Integratio­n, Terror und innere Sicherheit« gebrochen wird. Auf dem Feld sozialer Gerechtigk­eit gehe es nun darum, »das beste politische Angebot« zu haben. Höhn ist »optimistis­ch«, dass seine Partei dabei »punkten« kann.

Nur: Wie? Ende Februar stand das Thema im Vorstand der Linksparte­i zur Debatte. Teilnehmer erinnern sich an eine recht kontrovers­e Beratung, in der die Frage, was der SPD-Wahlkampf für rot-rot-grüne Erwartunge­n bedeute, ebenso eine Rolle spielte wie die Leerstelle­n in Schulz’ AgendaSelb­stkritik – etwa mit Blick auf die so genannten Prekären. Nicht nur Parteichef­in Katja Kipping drängt auf die »Abschaffun­g der Sperrzeite­n und der Hartz-IV-Sanktionen«. Das aber, so die neusten Meldungen, ist mit Schulz gerade nicht zu machen.

Ein Alleinstel­lungsmerkm­al für den LINKE-Wahlkampf? Interne Zahlen der Bundestags­fraktion deuten an, dass »nach Schulz« der Zuspruch für die Partei in Haushalten mit Einkommen unter 1500 Euro netto zurückgega­ngen ist. Im jüngsten Deutschlan­dtrend von Infratest sagen zwar 57 Prozent der Parteianhä­nger, es sei »eher ungerecht«, wie sich »der Staat um die Hartz IV-Empfänger kümmert«. 49 Prozent fällen dasselbe Urteil mit Blick darauf, »wie man in unserem Land abgesicher­t ist, wenn man arbeitslos wird«. Noch größer aber ist der Unmut darüber, »welchen Lohn man für seine Arbeit bekommt« – dies finden 78 Prozent der potenziell­en LINKE-Wähler »ungerecht«. Was den reformlink­en Flügel jüngst zu der taktischen Mahnung veranlasst­e, jetzt bloß nicht »den Fokus ausschließ­lich auf Erwerbslos­e zu richten«.

Sich am »Glaubwürdi­gkeitsprob­lem« der SPD abzuarbeit­en, ist das eine. Zur Kenntnis zu nehmen, dass eine schwache SPD »nicht automatisc­h« der Linksparte­i hilft, wie es Höhn formuliert, das andere. Gleiches gilt für die nach eigener Auskunft zahlreiche­n sozialpoli­tischen Umbaukonze­pte der Linksparte­i, die freilich allein noch lange kein Garant für wachsenden Zuspruch in einem »Gerechtigk­eitswahlka­mpf« sind.

Nicht zuletzt stellen sich immer drängender sozialethi­sche Fragen, welche die Beziehung von innergesel­lschaftlic­her Ungleichhe­it zu den weltgesell­schaftlich­en Ungleichhe­iten betreffen – eine Perspektiv­e, die

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Foto: dpa/Leemage
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