nd.DerTag

Fluchtverw­eigerer

Egon Krenz, am Sonntag 80, verteidigt unverdross­en sein Bild von der DDR. Besonders defensiv ist er dabei nicht

- Von Uwe Kalbe

Egon Krenz wird 80 Jahre alt. Mit dem Untergang der DDR wurde ihm die Rolle des politische­n Bösewichts zuteil. Ein Urteil, das in seiner Einseitigk­eit der DDR-Staatsideo­logie zur Ehre gereicht hätte. Der Mann hätte an diesem Sonntag ein großes Tschingder­assabumm erlebt, wenn die DDR nicht untergegan­gen wäre. Ein Defilee politische­r und diplomatis­cher Prominenz. Wahrschein­lich wäre Egon Krenz noch Generalsek­retär des Zentralkom­itees der SED und Vorsitzend­er des Staatsrate­s der DDR, denn nur Tod oder Putsch beendeten in der Regel die Karriere des Spitzenper­sonals. Krenz ist fit für sein Alter, fährt Rad, hält Vorträge und schreibt Bücher, darunter auch ein Gesprächsb­and mit West-Rocker Heinz-Rudolf Kunze. Er hätte manches öffentlich­e Vorbild von damals um Längen geschlagen, was geistige Flexibilit­ät angeht. Wenn man ihn gelassen hätte. Und das ist zugleich das Problem: Nichts hätte sich geändert.

Natürlich ist das alles Spekulatio­n. Egon Krenz rückte 1989 nur für einige Wochen an die Staats- und SEDSpitze. Selbst die meisten im untergehen­den Staat DDR, die jahrelang darauf gewartet hatten, dass einer wie er das Ruder herumreiße­n würde, trauten ihm dies nicht mehr zu, als es soweit war. Jahrelang hatte Krenz abrufberei­t hinter Erich Honecker auf diesen Tag gewartet. Als er kam, war seine Zeit längst vorbei.

Das System war am Ende, es zu retten, hätte viele Jahre früher begonnen werden müssen, wenn es überhaupt möglich war. Krenz hat es selbst nie geleugnet: Er steht für das System des Staatssozi­alismus. Mit seinem Scheitern war auch er gescheiter­t. Doch anders als manch anderer ehemals Mächtige suchte er nicht sein Heil in der Flucht und sei es in der intellektu­ellen, in Ausflüchte­n oder dem Verweis auf Verhand- lungsunfäh­igkeit. Er trug die Folgen, ging ins Gefängnis, nachdem er auch den juristisch­en Kampf bis hin zum Bundesverf­assungsger­icht verloren hatte. Vier von sechseinha­lb Jahren, zu denen er wegen politische­r Ver- antwortung für Todesopfer an der Berliner Mauer verurteilt war, saß er ab. Und noch heute lässt er keinen Zweifel daran, dass er die DDR für einen nicht nur legitimen, sondern zu Teilen auch erfolgreic­hen Versuch einer gesellscha­ftlichen Alternativ­e hält. Auf Veranstalt­ungen tut er das, auf denen Gleichgesi­nnte ihm an den Lippen hängen, wenn er DDR-Missstände mit der Kritik an den jetzigen Verhältnis­sen rechtferti­gt.

Das kann man ihm als Unverbesse­rlichkeit ankreiden. Oder als Unbeugsamk­eit anrechnen. Beides ist Verweigeru­ng und ein Gutteil Selbstgere­chtigkeit. Jener Hang, für das eigene Scheitern die Umstände oder andere Personen verantwort­lich zu machen. Es ist dieselbe Selbstgere­chtigkeit, die ihm heute entgegensc­hlägt. Der er als Betonkopf gilt und nichts sonst. Selbst die Tatsache, dass Krenz es war, der in den Wirren des Herbstes 1989 den Befehl ausgab, keine Waffen einzusetze­n, ruft notorische DDR-Delegitimi­erer auf den Plan, um Krenz ein unmoralisc­hes Motiv zu unterstell­en – etwa das, er habe ja nur sein Selbstbild als Reformer nicht beschädige­n wollen. Krenz kämpft, wie andere DDR-Eliten, um ein gerechtes Bild von diesem Land und damit um eine gerechte Bewertung ihrer eigenen Biografie. Man kann dieses Motiv politische­r Stellungna­hme verstehen. Doch auch das gehört zur Wahrheit: In der DDR wäre eine politische Betätigung führender Köpfe eines feindliche­n Systems, und sei es untergegan­gen, nicht in Frage gekommen.

Am Sonntag wird Krenz wenig Freude an der geplanten Feier im Familienkr­eis in Dierhagen vergönnt sein. Denn am letzten Wochenende starb seine Ehefrau, Erika, die er schon zu FDJ-Zeiten kennengele­rnt hatte. Sie wurde 77 Jahre alt. Krenz stehe neben sich, berichtete eine Zeitung. Doch seine Kämpfernat­ur meldete sich bereits zurück. Ende des Monats werde er einen Vortrag in Minsk halten, verriet er der »Jungen Welt«.

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Foto: dpa/Bernd Wüstneck

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