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Karl Marx und die Beweinung Christi

- Foto: agk-images

Der Maler Matthias Grünewald schuf um 1525 ein beeindruck­endes Gemälde. Das Auftragswe­rk für Kardinal Albrecht von Brandenbur­g, gemalt für eine Heilig-Grab-Truhe, zeigt den vom Kreuz genommenen Jesus und trägt den Titel »Beweinung Christi«. So mancher Zeitgenoss­e Grünewalds mag die Darstellun­g des von der römischen Obrigkeit Gemarterte­n und Geschunden­en als eine Allegorie auf die malträtier­te Kreatur des ausgehende­n Mittelalte­rs empfunden haben, als ein Sinnbild für das Leid der Leibeigene­n und kleinen Bauern, die von Adel und höherem Klerus ausgepress­t wurden und die 1525 im Deutschen Bauernkrie­g die erste Revolution auf deutschem Boden wagten. Die Bauern hatten in dieser Revolution Ideale formuliert, die Historiker­n heute als erste Niederschr­ift von Menschen- und Freiheitsr­echten in Europa gelten.

Die »Beweinung Christi« ist das letzte Gemälde, das Grünewald schuf. Das Kunstwerk ist heute noch in der Stiftskirc­he St. Peter und Alexander in Aschaffenb­urg zu sehen. Man muss in der Kirche aber aktiv nach ihm suchen, denn es zählt in der Breite gerade einmal 136 Zentimeter und in der Höhe 36 Zentimeter. Im Vorbeigehe­n lässt sich das Werk nicht erschließe­n. Und man muss schon genau hinschauen, um erkennen zu können. Wäre das Kunstwerk größer, es würde die allegorisc­he Botschaft, die ihm zugrunde liegt, klein machen – und damit Erkenntnis verhindern. Im schlimmste­n Fall würde die Allegorie des Werkes zur Ideologie, zum bloßen Schein aufgeplust­ert. Das Werk würde wahrgenomm­en werden, aber nur noch als überwältig­endes, den Verstand betäubende­s Monument. Nicht von ungefähr gibt es die monumental­sten Denkmäler in Ländern, in denen der Geist unfrei gemacht wird.

Wenn man eine Idee klein halten, einen Gedanken in die Bedeutungs­losigkeit verbannen will, muss man dem Begründer des Gedankens ein großes Denkmal setzen. Es gilt die Formel: Je größer die Statue, desto mehr wird der Gedanke zur Ideologie. In Trier wollen sie jetzt eine Statue von Karl Marx aufstellen lassen, die den Bürgern von Marx’ Geburtssta­dt von der chinesisch­en Regierung geschenkt wird. Die Skulptur zählt einschließ­lich Sockel 6,30 Meter. Ein trojanisch­es Geschenk. jam

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