Polizeiausbildung in Gedenkstätten
Politische Erziehung am schlimmen Beispiel der Verbrechen des Faschismus
Wie Gedenkstätten zur politischhistorischen Bildung von Polizisten beitragen können, war Thema einer Tagung in Oranienburg. Sonnenwendfeier. Neonazis werfen das Tagebuch der Anne Frank ins Feuer. Alarmierte Polizisten haben keinen blassen Schimmer, dass Anne Frank eines der bekanntesten jüdisches Opfer des Faschismus war, und sie sollen auch nichts von der Bücherverbrennung 1933 auf der Berliner Opernplatz gewusst haben. Das darf eigentlich nicht vorkommen, hat sich in Sachsen-Anhalt aber doch ereignet. Dies geschah, obwohl Polizeigeschichte und die Rolle der Polizei in den Jahren 1933 bis 1945 in allen Bundesländern mehr oder weniger zur Ausbildung der Beamten gehören, und obwohl – wo es möglich ist – während der Ausbildung KZ-Gedenkstätten besucht werden.
Im Land Brandburg befindet sich die Fachhochschule der Polizei (FHPol) in Oranienburg unmittelbar neben der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen auf dem ehemaligen SSTruppenlager. Im Haus 9, das heute den Hörsaal und Seminarräume beherbergt, befand sich von 1942 bis 1945 die Kraftfahrtechnische Versuchsanstalt. Dort sind die Gaswagen entwickelt worden, mit denen die SS in Polen und in der Sowjetunion Juden und Kriegsgefangene ermordete. Gegenüber, im Haus 16, mussten KZHäftlinge Lastwagen für den Fronteinsatz umbauen. Im Haus 16, Raum 002, befasste sich am Donnerstag und Freitag eine Tagung mit der »Historisch-politischen Bildungsarbeit an NS-Gedenkstätten und NS-Dokumentationszentren mit Studierenden, Auszubildenden und Mitarbeitern der Polizei«. Angeregt hatte dies Günter Morsch, Direktor der Stiftung brandenburgische Gedenkstätten. Zum bewusst kleinen Kreis von 34 Teilnehmern gehörten Historiker und Polizisten aus mehreren Bundesländern und aus Österreich.
Stephanie Bohra von der Gedenkstätte Sachsenhausen schilderte, wie es gewesen sei, als ihre Einrichtung in den Jahren 2006 bis 2010 Blockseminare für die Polizeianwärter organisierte, wozu immer eine Führung gehörte. Bohra erzählte von desinteressierten jungen Männern, die das als nutzlose Veranstaltung ansahen und die unfähig waren, sich inhaltlich mit dem Stoff auseinanderzusetzen. Andererseits habe es auch junge Frauen gegeben, die engagiert bei der Sache waren und ausgezeichnete Arbeiten ablieferten.
2010 endete die Kooperation. Seitdem kümmert sich die FHPol im Rahmen des Fachs Polizeigeschichte selbst um die Vermittlung von Wissen über die Nazizeit. Dazu gehört immer noch ein Besuch in der Gedenkstätte. Außerdem gibt es zwölf Stunden Unterricht zur Zeit zwischen 1933 und 1945, und Dozent Wieland Niekisch unternimmt mit seinen Zöglingen Exkursionen ins polnische Częstochowa. Dort ist das im Oranienburger Schloss aufgestellte Polizeibataillon 310 im Zweiten Weltkrieg eingesetzt gewesen und hat Kriegsverbrechen verübt.
1933 stellte sich das Gros der Polizisten bereitwillig in den Dienst der Faschisten. Die Mehrheit von ihnen hegte in der Weimarer Republik deutschnationale Ansichten. SS und Polizei waren bald eng verwoben. Der Reichsführer SS Heinrich Himmler wurde zugleich Chef der deutschen Polizei und 1943 auch noch Innenminister. Polizisten bewachten in den besetzten Gebieten Ghettos und Lager und erschossen Zivilisten. Es ist heute unverständlich, wie lange sich in der Bundesrepublik die Legende hielt, abgesehen von der Gestapo sei die Polizei unter Hitler »sauber geblieben«. Für dieses Trugbild waren Seilschaften wie die des SS-Gruppenführers und Generalleutnants Adolf von Bomhard verantwortlich.
Noch 1987 erschien eine Schrift zur Polizeigeschichte, die in der Ausbildung verwendet wurde und die zur Nazizeit »Unsägliches« enthielt, erinnerte Wolfgang Schulte von der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster. Dabei wäre es nicht schwer gewesen, die Wahrheit zu erforschen. Denn in den Personalakten seien die Hakenkreuze nur mit TippEx überpinselt gewesen. Alte Nazis besetzten in den 1950er und 1960er Jahren Führungsfunktionen in der Polizei und waren häufig ausgerechnet in der Ausbildung eingesetzt. In der DDR sei es anders gewesen, wenngleich nicht ganz so sauber wie behauptet, erklärte Schulte. Er sagte, dass es den angeblichen Befehlsnotstand in der Nazizeit nicht gegeben habe, stattdessen Handlungsspielräume. 30 Fälle von Widerstand seien dokumentiert, darunter der des Wuppertaler Kriminalisten Paul Kreber, der Sinti und Roma rettete.
Um die Verantwortung des Einzelnen müsse es bei der Ausbildung gehen, findet denn auch Detlef Graf von Schwerin, der bis 2010 an der FHPol in Oranienburg lehrte und dessen Vater zu den hingerichteten Verschwörern des 20. Juli 1944 gehörte. Ihm sei kein einziger Fall bekannt, bei dem die Polizei dem Kippen eines Staates in die Diktatur widerstanden hätte, betonte Graf von Schwerin. Denn: »Die Polizei ist mit dem Staat verschwägert und verheiratet.«
Die politische Bildung soll die Beamten übrigens gar nicht vorrangig gegen eine drohende Diktatur immunisieren. Zeigt doch leider die Erfahrung, dass der Polizei ein Polizeistaat gefällt. Die Beamten sollen aber mit dem erforderlichen Rüstzeug versehen sein, um in der Demokratie sensibel und richtig zu handeln. Sie sollen beispielsweise kapieren, woher es kommt, wenn linke Demonstranten skandieren: »Deutsche Polizisten, Mörder und Faschisten.«
Polizisten müssen in der Schule keinen Leistungskurs Geschichte belegt haben, sie müssen nicht einmal Interesse für Geschichte aufbringen, meinte Herbert Trimbach, Ministerialdirigent im brandenburgischen Innenministerium. Aber über ein bestimmte Grundwissen müssten sie verfügen.