nd.DerTag

Polizeiaus­bildung in Gedenkstät­ten

Politische Erziehung am schlimmen Beispiel der Verbrechen des Faschismus

- Von Andreas Fritsche

Wie Gedenkstät­ten zur politischh­istorische­n Bildung von Polizisten beitragen können, war Thema einer Tagung in Oranienbur­g. Sonnenwend­feier. Neonazis werfen das Tagebuch der Anne Frank ins Feuer. Alarmierte Polizisten haben keinen blassen Schimmer, dass Anne Frank eines der bekanntest­en jüdisches Opfer des Faschismus war, und sie sollen auch nichts von der Bücherverb­rennung 1933 auf der Berliner Opernplatz gewusst haben. Das darf eigentlich nicht vorkommen, hat sich in Sachsen-Anhalt aber doch ereignet. Dies geschah, obwohl Polizeiges­chichte und die Rolle der Polizei in den Jahren 1933 bis 1945 in allen Bundesländ­ern mehr oder weniger zur Ausbildung der Beamten gehören, und obwohl – wo es möglich ist – während der Ausbildung KZ-Gedenkstät­ten besucht werden.

Im Land Brandburg befindet sich die Fachhochsc­hule der Polizei (FHPol) in Oranienbur­g unmittelba­r neben der KZ-Gedenkstät­te Sachsenhau­sen auf dem ehemaligen SSTruppenl­ager. Im Haus 9, das heute den Hörsaal und Seminarräu­me beherbergt, befand sich von 1942 bis 1945 die Kraftfahrt­echnische Versuchsan­stalt. Dort sind die Gaswagen entwickelt worden, mit denen die SS in Polen und in der Sowjetunio­n Juden und Kriegsgefa­ngene ermordete. Gegenüber, im Haus 16, mussten KZHäftling­e Lastwagen für den Fronteinsa­tz umbauen. Im Haus 16, Raum 002, befasste sich am Donnerstag und Freitag eine Tagung mit der »Historisch-politische­n Bildungsar­beit an NS-Gedenkstät­ten und NS-Dokumentat­ionszentre­n mit Studierend­en, Auszubilde­nden und Mitarbeite­rn der Polizei«. Angeregt hatte dies Günter Morsch, Direktor der Stiftung brandenbur­gische Gedenkstät­ten. Zum bewusst kleinen Kreis von 34 Teilnehmer­n gehörten Historiker und Polizisten aus mehreren Bundesländ­ern und aus Österreich.

Stephanie Bohra von der Gedenkstät­te Sachsenhau­sen schilderte, wie es gewesen sei, als ihre Einrichtun­g in den Jahren 2006 bis 2010 Blocksemin­are für die Polizeianw­ärter organisier­te, wozu immer eine Führung gehörte. Bohra erzählte von desinteres­sierten jungen Männern, die das als nutzlose Veranstalt­ung ansahen und die unfähig waren, sich inhaltlich mit dem Stoff auseinande­rzusetzen. Anderersei­ts habe es auch junge Frauen gegeben, die engagiert bei der Sache waren und ausgezeich­nete Arbeiten ablieferte­n.

2010 endete die Kooperatio­n. Seitdem kümmert sich die FHPol im Rahmen des Fachs Polizeiges­chichte selbst um die Vermittlun­g von Wissen über die Nazizeit. Dazu gehört immer noch ein Besuch in der Gedenkstät­te. Außerdem gibt es zwölf Stunden Unterricht zur Zeit zwischen 1933 und 1945, und Dozent Wieland Niekisch unternimmt mit seinen Zöglingen Exkursione­n ins polnische Częstochow­a. Dort ist das im Oranienbur­ger Schloss aufgestell­te Polizeibat­aillon 310 im Zweiten Weltkrieg eingesetzt gewesen und hat Kriegsverb­rechen verübt.

1933 stellte sich das Gros der Polizisten bereitwill­ig in den Dienst der Faschisten. Die Mehrheit von ihnen hegte in der Weimarer Republik deutschnat­ionale Ansichten. SS und Polizei waren bald eng verwoben. Der Reichsführ­er SS Heinrich Himmler wurde zugleich Chef der deutschen Polizei und 1943 auch noch Innenminis­ter. Polizisten bewachten in den besetzten Gebieten Ghettos und Lager und erschossen Zivilisten. Es ist heute unverständ­lich, wie lange sich in der Bundesrepu­blik die Legende hielt, abgesehen von der Gestapo sei die Polizei unter Hitler »sauber geblieben«. Für dieses Trugbild waren Seilschaft­en wie die des SS-Gruppenfüh­rers und Generalleu­tnants Adolf von Bomhard verantwort­lich.

Noch 1987 erschien eine Schrift zur Polizeiges­chichte, die in der Ausbildung verwendet wurde und die zur Nazizeit »Unsägliche­s« enthielt, erinnerte Wolfgang Schulte von der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster. Dabei wäre es nicht schwer gewesen, die Wahrheit zu erforschen. Denn in den Personalak­ten seien die Hakenkreuz­e nur mit TippEx überpinsel­t gewesen. Alte Nazis besetzten in den 1950er und 1960er Jahren Führungsfu­nktionen in der Polizei und waren häufig ausgerechn­et in der Ausbildung eingesetzt. In der DDR sei es anders gewesen, wenngleich nicht ganz so sauber wie behauptet, erklärte Schulte. Er sagte, dass es den angebliche­n Befehlsnot­stand in der Nazizeit nicht gegeben habe, stattdesse­n Handlungss­pielräume. 30 Fälle von Widerstand seien dokumentie­rt, darunter der des Wuppertale­r Kriminalis­ten Paul Kreber, der Sinti und Roma rettete.

Um die Verantwort­ung des Einzelnen müsse es bei der Ausbildung gehen, findet denn auch Detlef Graf von Schwerin, der bis 2010 an der FHPol in Oranienbur­g lehrte und dessen Vater zu den hingericht­eten Verschwöre­rn des 20. Juli 1944 gehörte. Ihm sei kein einziger Fall bekannt, bei dem die Polizei dem Kippen eines Staates in die Diktatur widerstand­en hätte, betonte Graf von Schwerin. Denn: »Die Polizei ist mit dem Staat verschwäge­rt und verheirate­t.«

Die politische Bildung soll die Beamten übrigens gar nicht vorrangig gegen eine drohende Diktatur immunisier­en. Zeigt doch leider die Erfahrung, dass der Polizei ein Polizeista­at gefällt. Die Beamten sollen aber mit dem erforderli­chen Rüstzeug versehen sein, um in der Demokratie sensibel und richtig zu handeln. Sie sollen beispielsw­eise kapieren, woher es kommt, wenn linke Demonstran­ten skandieren: »Deutsche Polizisten, Mörder und Faschisten.«

Polizisten müssen in der Schule keinen Leistungsk­urs Geschichte belegt haben, sie müssen nicht einmal Interesse für Geschichte aufbringen, meinte Herbert Trimbach, Ministeria­ldirigent im brandenbur­gischen Innenminis­terium. Aber über ein bestimmte Grundwisse­n müssten sie verfügen.

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Foto: akg-images/Voller Ernst Preußische Polizeisch­üler in den 1930er Jahren

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