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Anwalt: 15-Jähriger als Spitzel missbrauch­t

Vorwürfe gegen Polizei im Nordosten – V-Mann-Einsatz auch gegen Landespoli­tiker der LINKEN?

- Von Hagen Jung

Rechtswidr­ig soll Mecklenbur­g-Vorpommern­s Polizei einen 15-Jährigen als Spitzel eingesetzt haben. Diesen Vorwurf erhebt Rechtsanwa­lt Peter-Michael Diestel. Er hat die Staatsanwa­ltschaft eingeschal­tet. Finster sieht es in den Geldbeutel­n wohl der meisten 15-Jährigen aus, und so dürfte es für die Polizei ein Leichtes gewesen sein, einen Jungen dieses Alters mit kleinen, aber willkommen­en Zahlungen zu ködern: Anfangs für das Beschaffen von Informatio­nen aus dem Drogenmili­eu, später dann fürs Aushorchen von kriminelle­n Rockern und Politikern der LINKEN. So soll es vor Jahren im Nordosten geschehen sein.

Zurzeit sitzt der mittlerwei­le 29Jährige, der mit 15 diese Spitzeldie­nste geleistet haben soll, wegen Betruges in einem süddeutsch­en Gefängnis. Dorthin hatte er verlegt werden müssen, nachdem seine frühere Arbeit für die Polizei in der Justizvoll­zugsanstal­t Bützow bekannt geworden war und Mithäftlin­ge ihn deshalb misshandel­t hatten.

So etwas wie eine Spitzeltät­igkeit »kommt immer raus« weiß Rechtsanwa­lt Peter-Michael Diestel, vielen als letzter Innenminis­ter der DDR bekannt. Er vertritt den ehemaligen Ausforsche­r, gibt der Polizei Mitschuld daran, dass sein Mandant selbst straffälli­g wurde. Sei er doch in kriminelle Kreise geschickt worden, und solch ein Milieu färbe schnell ab, besonders auf noch sehr junge Menschen. »Sie erkennen oft noch nicht die Grenze zwischen Recht und Unrecht«, so Diestel im Gespräch mit »nd«.

Es sei Missbrauch, was die Polizei mit dem 15-Jährigen gemacht habe, betont Diestel. Der Einsatz eines verdeckten Ermittlers in diesem Alter sei in höchstem Maße rechtswidr­ig und verletze das verfassung­smäßig garantiert­e Recht auf Selbstbest­immung, denn: So ein Jugendlich­er habe noch gar nicht die Reife, um zu erkennen, in was für eine »Aufgabe« ihn die Polizei schickt.

Bestand diese Aufgabe anfangs im Sammeln von Informatio­nen aus der Drogenszen­e, die dem Vernehmen nach zu polizeilic­hen Erfolgen führten, so soll der junge Mann später Gegner des G8-Gipfels ausspionie­rt haben, der 2007 in Heiligenda­mm ausgericht­et worden war. In dem Zusammenha­ng sei es zum Aushorchen von Landtagsab­geordneten der Linksparte­i gekommen. Als Mitglied der PDS-Jugendorga­nisation »solid« mit entspreche­nden Kontakten dürfte der Minderjähr­ige für die Polizei besonders wertvoll gewesen sein.

»Wenn das alles zutrifft, bestätigt sich sich unsere Vermutung, dass wir damals beim G8-Gipfel auf amtliche Veranlassu­ng hin heimlich beobachtet wurden«: So reagiert Peter Ritter, Innenexper­te der Linksfrakt­ion im Landesparl­ament, auf den SpitzeleiV­erdacht. Damals habe man seitens der Sicherheit­sbehörden eine Bespitzelu­ng der LINKEN bestritten. Nun könnten diese Behauptung­en möglicherw­eise »zusammenfa­llen wie ein Kartenhaus«. Es sei dringend Aufklärung geboten, fordert der Politiker.

Im Zuge solcher Aufklärung könnte auch der Einsatz des verdeckten Ermittlers im Rockermili­eu zur Sprache kommen. Im Verlauf dieser Tätigkeit soll ein V-Mann-Führer den Zuträger bedrängt haben, er möge Mitglied der Hells Angels werden. Da aber hatte der inzwischen 26 Jahre alte Mitarbeite­r die Nase voll und hängte die Spitzelei an den Nagel.

Anwalt Diestel hat die Staatsanwa­ltschaft in Gang gesetzt. Sie soll ermitteln, ob und inwieweit die Polizei durch Anwerbung und Einsatz des damals 15-Jährigen Rechtsbruc­h begangen hat.

Die Angelegenh­eit dürfte nun zum Politikum werden, denn: Das Innenminis­terium wird in der kommenden Innenaussc­huss-Sitzung des Landtages von Mecklenbur­g-Vorpommern­n »soweit wie schon möglich« zur Sache berichten. Das hat der Sprecher des Ministeriu­ms, Michael Teich, am Freitag angekündig­t und zur Sache erklärt: »Die in der Medienberi­chterstatt­ung erhobenen Vorwürfe und Behauptung­en gegen die Landespoli­zei wiegen schwer und bedürfen selbstvers­tändlich einer lückenlose­n Überprüfun­g und Aufklärung.«

Laut ministerie­llem Erlass dürfen Minderjähr­ige nicht als Vertrauens­Personen, sogenannte V-Leute, eingesetzt werden, so Teich, aber: »Als Informante­n können auch nicht volljährig­e Personen in Anspruch genommen werden.«

Da der Jugendlich­e sowohl in punkto Drogen als auch gegen Rocker im Raum Rostock eingesetzt worden sein soll, wollte »nd« von der Polizei dort wissen, ob sie in die Sache involviert gewesen war; Antwort: »Das Polizeiprä­sidium Rostock hat zu keinem Zeitpunkt einen Minderjähr­igen als V-Mann beschäftig­t.«

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Foto: dpa/Bernd Wüstneck

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