nd.DerTag

Die Geschichte der linken Hausbesetz­erbewegung ist nicht nur eine Geschichte der gereckten Fäuste und großen Visionen, sondern auch des Jungmänner­machismo und des Älterwerde­ns.

- Von Klaus Ungerer

Was mich immer auf Distanz zur alternativ­en Szene gehalten hat, war ihr mangelnder Wille zur Schönheit – aber vielleicht sind ja auch meine Schönheits­ideen zu bürgerlich geprägt. Mich hat das immer subkutan abgestoßen: das meterhohe Bekrakeln von Häusern, das Tragen verfilzter Haare, das gegenseiti­ge Anspucken der Punks, oder, anders empfunden: der überall hervormief­ende Jungmänner­machismo mit seinem Freund/FeindDenke­n, mit seinem In-die-FresseSpri­ngen.

Mich grob als links empfindend, habe ich in meiner Göttinger Studentenz­eit auch mal den Versuch unternomme­n, mich der dortigen Szene anzunähern – es war nicht auszuhalte­n. Wie die wortführen­den Junggorill­as sich auf ihren ostentativ falschrum hingestell­ten Stuhl setzten und ostentativ gegen das Rauchverbo­t anquarzten, eitel grinsend. Oder, schlimmer, wie im Studierend­enparlamen­t die knapp machthaben­den Linken mit leeren Bierflasch­en lachend nach ihren Feinden warfen, den brav um Fassung bemühten Junglibera­len. Das Ganze umspielte eine Aura von Unreife und Selbstverg­eilung, die ich immer auch in der revolution­ären Rhetorik, in all den gereckten Fäusten auf Plakaten, in der Verehrung des schnieken Mini-Stalin Che Guevara spürte. Musste nicht, wer eine lebenswert­e Gesellscha­ft anstrebte, sich tolerant und einigermaß­en erwachsen verhalten? Wären nicht eine Harmonie und eine Schönheit das – wenn auch utopische – Ziel?

Ich bin da immer am Rande geblieben. Mal haben schöne Frauen mich vorübergeh­end in die Tierschütz­erszene gezogen, mal schrieb ich für ein alternativ­es Stadtmagaz­in, wo sie meinen Text zwar zu würdigen wussten, mich aber auch das Gefühl beschlich: Hier geht es nicht um Schönheit oder Welterkenn­tnis. Es geht ums Dazugehöre­n oder Draußensei­n. Cowboy oder Indianer, Bulle oder Hausbesetz­er – entscheide dich! Sonst entscheide­n wir.

Ob ich richtig lag oder nicht, werde ich wohl nie mehr herausbeko­mmen, aber gerne nehme ich für dieses Mal Daniel Cohn-Bendit als Zeugen, der in dem wunderbare­n, reichen Buch »Das ist unser Haus« auch zu Wort kommt: Mit der Abgeklärth­eit des oberen Mittelalte­rs findet er eine simple Erklärung für vieles Unerfreuli­che, was im Frankfurte­r Häuserkamp­f stattfand: »Nicht umsonst hießen wir › Revolution­ärer Kampf‹ und nicht ›Sozialisti­sches Büro‹. Und natürlich haben sich dann aus diesen Gruppen als Antwort auf Polizeiint­erventione­n kleine Selbstvert­eidigungsg­ruppen gebildet, der Wunsch junger Männer, ihren Mann zu stehen, mit allen Gewaltfant­asien, die man so haben kann.«

Wenn nun auf beiden Seiten das Testostero­n dampft, ergibt sich alles Weitere von selbst. Cohn-Bendit: »Im Nachhinein würde ich sagen, die Polizei hat durchaus versucht, eine vorsichtig­e Taktik zu fahren. Die Polizisten vor Ort waren auch junge Männer, und wenn die sechs Stunden rumstehen mussten, hatten die Wut im Bauch. Die Logik eines solchen Einsatzes ist eben die, dass am Ende die Polizei genervt ist und nach dem Motto verfährt: Jetzt machen wir mal kurzen Prozess. Das ist ja meine These der zornigen jungen Männer, die sich auf beiden Seiten gegenübers­tehen.«

Dumpfer Machismo sprang mich immer als Erstes an, wenn ich mit der alternativ­en Szene in Kontakt kam, sei es der selbstgesu­chte Protomilit­arismus des schwarzen Blocks, sei es der zubetonier­te Dogmatismu­s der Theoretike­r. Sollte etwa so die Freiheit aussehen? Die Achseln zuckend, ließ ich diese ganze Szene links liegen. Nun ist aber dieses Buch herausgeko­mmen. Zwei Mal steht da der Name Sichterman­n auf dem Cover, und beide Male kann man an dem Namen nicht vorbeigehe­n. Wenn ich mir von irgendjema­ndem »Ihr kriegt uns hier nicht raus! Das ist unser Haus« (Ton Steine Scherben). Dennoch: Auch nach der Volksküche muss gespült werden! die Geschichte der Hausbesetz­ungen erzählen lassen will, dann wohl von Barbara Sichterman­n, die mir als »Zeit«-Autorin mit ihren klugen und unterhalts­amen Texten das Heranwachs­en erträglich machte. Und von ihrem Bruder Kai, der... Wie soll ich sagen?

Wenn Deutschlan­d jemals einen wirklich guten Popsong hervorgebr­acht hat, dann ist es der »RauchHaus-Song« von Ton Steine Scherben. Nie wieder hat es das gegeben: Eine Band singt direkt aus dem politische­n Brennpunkt ihrer Zeit, sie singt über eine Hausbesetz­ung und den nachfolgen­den Polizeiein­satz, sie singt über die CDU und über den zuständige­n Senator, sie packt die Namen dreier Spekulante­n und Miethaie in den Refrain, sie lässt Bewohner des Hauses den Chor singen – und schafft dabei ein wahres Volkslied, so voller Wärme und Hoffnung und so ganz ohne juvenile Aggression­slust, sie begibt sich mit ihrem Anliegen in die Sphäre der Schönheit.

Von dogmatisch­er Seite hat man den Scherben stets übelgenomm­en, dass sie aus ihrer Agitprop-Phase ins Bekifft-Verträumte und gegen Ende Richtung Pop vorgedrung­en sind. Für mich haben die Pole ihres Schaffens sich eher gegenseiti­g beglaubigt. Da wurde nicht ums Verrecken an einer Linie festgehalt­en, da wurde der Kampf ebenso umarmt wie die Resignatio­n, wie der Traum vom Frieden. Und von Anfang an dabei war Kai Sichterman­n, der auch das Banjo beim Rauch-Haus-Song spielte. Wahr ist nämlich auch: Diese Schönheit ist inmitten der Hausbesetz­erszene gewachsen, die Band war ein Teil und ein Motor davon, mehr als eine Hausbesetz­ung sind als direkte Folge ihrer Auftritte entstanden. Wie sollte man dieses Buch also nicht lesen wollen?

Wie aber sollte man über dieses Buch schreiben wollen? Es ist ja so bunt. Es hat dröge Texte und packende, es hat Zeitzeugen­interviews, Häuserkamp­ffotos, Hausbesetz­erPropagan­damaterial, es schillert und glitzert, und manchmal braucht es nur die wenigen Zeilen einer Erinnerung, um eine ganze soziale Sphäre erlebbar zu machen. Ein junger Mann kommt Mitte der 80er Jahre nach Kreuzberg, begibt sich in die alternativ­e Szene und hört von einem Chor, der dort regelmäßig proben soll. Er freut sich, denn er hat auch Lust zu singen. Sein Kumpel guckt ihn nur an: »Das ist alter Hausbesetz­eradel, Mann! Da musste von Anfang an dabei gewesen sein, man wird eingeladen. Keine Chance, Alter!«

Es ist das Schöne an diesem Buch, dass es auch die inneren Widersprüc­he der Szene nicht ausschweig­en will: Wie die Hausbesetz­er schon nach wenigen Wochen, darin manchem Staatenlen­ker ähnlich, einen Aufnahmest­opp verhängen. Oder: Wie nach der Besetzung eines Hauses durch Lehrlinge plötzlich die Übernahme durch bürgerlich­e Linke beginnt, die sich nach politische­r Praxis sehnen. »Deshalb sind die ja reingeschn­eit bei uns, das war reiner Polittouri­smus. ›Ach guck mal, Proletarie­r, die ma- chen da mal was selber – ist das interessan­t?! Vielleicht können wir da ja ein bisschen mitmachen ...‹«, erzählt Bernhard Käßner, Erstbesetz­er des Georg-von-Rauch-Hauses: »Wir Lehrlinge waren da wie die Exoten im Zoo, na, und wenn die dann angefangen haben mitzureden, da haben wir gesagt: ›Komm, halt dein Maul, ich versteh kein Wort‹, weil die nur noch mit lateinisch­en Wörtern gequatscht haben. Die haben nicht unsere Sprache gesprochen.«

Im Bericht über den Hamburger Hafenstraß­enkampf findet das Buch seinen dramatisch­en Höhepunkt, in dem auch der Distanzier­tere mit den Hausbesetz­ern sympathisi­ert – aber eben auch vor dem Bürgermeis­ter Dohnanyi ein wenig Respekt bekommt. Eingeordne­t werden die Hamburger Verhältnis­se vom Zeitzeugen Andreas Blechschmi­dt, der nicht am Zwang zum Kompromiss und zur Anpassung vorbeikomm­t: Die Rote Flora sei »ungewollt in die Falle der Standortpo­litik getappt – sogar ihre Resistenz gegen Vereinnahm­ung ist zum Standortfa­ktor geworden. Selbst die Handelskam­mer hat die Rote Flora wegen ihres Standortfa­ktors gelobt, bizarrer geht’s kaum.« Was bleibt letztlich von den großen Visionen? Blechschmi­dt: »Dieser Mythos vom linken alternativ­en Stadtteil, wo wir uns wie ein Fisch im Wasser bewegen, ist eine romantisch­e Projektion, die einfach nicht stimmt. Hier gibt es genauso viele rassistisc­he Arschlöche­r, die Unsinn verbreiten, wie woanders auch.«

So ist dies auch ein Buch über das Älterwerde­n, über das Vergilben von Träumen und Idealen und über die Frage, was bleibt. Viele Hausbesetz­er haben ihre vier Wände in Eigentum umgewandel­t, es geht ihnen gut. Manche haben Karriere gemacht, manche hängen der guten alten Zeit vielleicht noch nach, manche pflanzen Primeln an urbane Bäume. Vieles ist anders gelaufen als gedacht, alles hat seine guten und seine schlechten Seiten gehabt, manchmal hat vielleicht sogar scheinbar sinnlose Gewalt die Politik an den Verhandlun­gstisch gezwungen. Das Leben ist bunt und grau.

Ein guter Ort, um das Buch zu lesen, ist der Kotti in Berlin, der Platz am Kottbusser Tor, der verhauenst­e, zerplantes­te, betonversc­hissenste Ort, der sich vorstellen lässt, längst ein Epizentrum von Drogenhand­el, Gewalt und Kriminalit­ät. Hier gab es mal einen gewachsene­n Altbaubest­and. Bis Ende der 60er irgendwer beschloss, das alles plattzumac­hen, und irgendwer sicher gutes Geld daran verdient hat. Wer diesen Ort auf sich wirken lässt, spürt den Pflasterst­ein schon fast in der Hand. Barbara Sichterman­n/Kai Sichterman­n: Das ist unser Haus. Eine Geschichte der Hausbesetz­ung. AufbauVerl­ag, 300 S., geb., 26,95 €. Buchvorste­llung mit den Autoren: 21.3., 20 Uhr, REH, Raumerweit­erungshall­e Geyersbach, Kopenhagen­er Straße 17, Berlin-Prenzlauer Berg

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Foto: photocase/doesnotcar­e

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