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Hefe aus dem Baukasten

Sechs Chromosome­n des beliebten Modellorga­nismus wurden inzwischen künstlich hergestell­t – maßgeschne­iderte Zellen für Biotechnol­ogen, aber kein synthetisc­hes Leben.

- Von Steffen Schmidt

Seit Jahrtausen­den nutzen Menschen gezielt zwei Mikroorgan­ismen, um Lebensund Genussmitt­el herzustell­en: die Bäckerhefe (Saccharomy­ces cerevisiae) und Milchsäure­bakterien. Die Herstellun­g von Bier, Wein, Brot, Käse oder Joghurt ist gewisserma­ßen der Ausgangspu­nkt der modernen Biotechnol­ogie. Biochemike­rn und Genetikern hat es besonders die Hefe angetan. Denn dieser einzellige Pilz ist ein relativ naher Verwandter von Menschen und Tieren. Die Hefen zählen ebenso wie Pflanzen und Tiere zu den sogenannte­n Eukaryoten. In ihren Zellen befindet sich das Erbgut auf mehrere Chromosome­n verteilt in einem Zellkern, und die Zellen besitzen verschiede­ne spezialisi­erte Teile (Organellen). Damit sind sie als Modellorga­nismus besser geeignet als andere Einzeller. Überdies dient die Hefe auch in der heutigen Biotechnol­ogie als kleine Chemiefabr­ik. Das Malaria-Medikament Artemisini­n etwa und ein Hepatitis-BImpfstoff werden inzwischen mit Hilfe von Hefekultur­en produziert.

Und nicht nur das. Anfangs nutzten Genetiker im Humangenom­projekt Hefezellen zur Vervielfäl­tigung von Gensequenz­en des menschlich­en Erbgutes, indem sie ihnen diese DNAAbschni­tte als künstliche­s Chromosom unterschob­en. Diese nach dem englischen Wort für Hefe Yeast Artificial Chromosome (YAC) genannten Schnipsel wurden von den Hefezellen mit dem eigenen Erbgut bei der Zellteilun­g weitergege­ben. Auch wenn die YACs sich für das Projekt als zu instabil erwiesen, zeigte die Technik doch die Möglichkei­t auf, Chromosome­n höherer Organismen synthetisc­h herzustell­en.

Folgericht­ig versuchten sich USWissensc­haftler um Huntington F. Willard von der Case Western University Cleveland bereits 1997 daran, ein menschlich­es Mikrochrom­osom zu erzeugen. Tatsächlic­h konnten sie menschlich­e Zellen in einer Kultur- lösung mit einem Mix von DNASchnips­eln dazu bringen, diese in ein Chromosom umzubauen. Allerdings handelte es sich dabei um ein undefinier­bares Gemenge von DNA, das in einigen Zellen das natürliche Erbgut massiv störte.

Der US-Gentechnik­er Craig Venter kam da im Jahr 2010 deutlich weiter. Er schuf erstmals einen minimalist­ischen Organismus, indem er das Chromosom des Bakteriums Mycoplasma capricolum durch ein im Labor hergestell­tes, reduzierte­s synthetisc­hes Chromosom, basierend auf der Art Mycoplasma mycoides, ersetzte. Heraus kam ein lebensfähi­ges »synthetisc­hes« Bakterium: Mycoplasma mycoides JCVI-syn1.0. Das maßge- schneidert­e Erbgut wurde dabei mit Hilfe von Hefezellen hergestell­t. Wenn Venter in seiner Pressemitt­eilung von einer »synthetisc­hen Zelle« schrieb, und nicht wenige Schlagzeil­en das übernahmen, war das allerdings übertriebe­n. Denn auch Venters Reißbrett-Genom bedurfte einer lebenden Bakterienz­elle, um daraus ein funktionst­üchtiges Chromosom zu machen.

Dennoch gilt Venters Mycoplasma mycoides als Beginn der »synthetisc­hen Biologie«. Mit seinem Erbgut von reichlich einer Million Basenpaare­n (die genetische­n »Buchstaben«) ist dieses Bakterium im Vergleich zu Hefe oder gar Menschenze­llen ziemlich einfach gestrickt. Bei der Bäckerhefe sind es immerhin bereits 12 Millionen Basenpaare auf 16 Chromosome­n, beim Menschen sogar 3,3 Milliarden und 24 Chromosome­n. Überdies besitzen Hefe und andere höhere Organismen in der Regel einen doppelten Chromosome­nsatz.

Seit 1996 ist das Erbgut der Bäckerhefe komplett entziffert. Seit 2007 arbeitet ein internatio­nales Team von Wissenscha­ftlern aus den USA, Großbritan­nien, China, Australien, Frankreich und Singapur daran, eine synthetisc­he Hefe herzustell­en. Im Jahre 2014 hatten sie nach siebenjähr­iger Arbeit das kleinste Hefechromo­som synthetisi­ert und in Hefezellen eingebaut. Nun stellten mehr als 200 am Projekt »Synthetic Yeast 2.0« (Sc2.0) beteiligte Wissenscha­ftler um Initiator Jef Boeke vom New York University Langone Medical Center im Fachblatt »Science« (Bd. 355, S. 1040-1050) weitere fünf synthetisc­he Hefechromo­somen und das Design für die noch fehlenden zehn Chromosome­n vor.

Dabei kopierten sie nicht einfach die natürliche­n Chromosome­n. Bevor ein synthetisc­hes Chromosom hergestell­t wurde, plante das Team mit Hilfe eines speziellen Computerpr­ogramms die jeweilige DNA-Sequenz. So wurden einzelne Gene umgruppier­t, andere Abschnitte entfernt, von denen man nach derzeitige­m Kenntnisst­and annimmt, dass sie bei der Hefe ohne Funktion sind, die sogenannte­n Introns. Statt dessen bauten die Genetiker kurze DNAAbschni­tte als Kennmarken für Werkzeuge zum Ausschneid­en von Genen ein. Um rund acht Prozent schrumpft das künstliche Genom gegenüber dem natürliche­n Vorbild durch diese Änderungen. Zum Teil führten die Eingriffe in das Hefegenom zu dramatisch­en Veränderun­gen der Zellkernst­ruktur, wie ein Team herausfand, das von Forschern des Pariser Pasteur Instituts geleitet wurde. Dennoch funktionie­rte der Stoffwechs­el der Hefe bei den meisten Zellen ganz normal weiter. Ein Kommentar zu den sieben »Science«-Artikeln verweist aller- dings darauf, dass die neu eingebaute­n Kennmarken in einigen Fällen das Ablesen der Gene störten.

Um ein Chromosom herzustell­en, mussten die Wissenscha­ftler einige Umwege in Kauf nehmen. Denn bei Eukaryoten besteht das Chromosom nur zum Teil aus dem eigentlich­en Erbmateria­l, dem doppelsträ­ngigen DNA-Molekül. Der lange Faden der DNA ist im Chromosom in mehreren Stufen um andere Eiweißmole­küle gewickelt und so zusätzlich vor äußeren Einflüssen geschützt. Wie dieser Prozess des Einwickeln­s funktionie­rt, ist bislang noch unbekannt. Infolgedes­sen nutzen die Forscher des Sc2.0-Projekts einen zelleigene­n Reparaturm­echanismus. Der nicht am Projekt beteiligte Biophysike­r Hannes Mutschler vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsrie­d bei München erläutert gegenüber »nd«: »Sie geben der Hefezelle größere Stücke der DNA und die baut sie dann selbst ein.« Schon Craig Venter befand: »Das Schöne an der Hefe ist, dass sie Erbanlagen so gut zusammenba­ut. Wenn die Erbmolekül­e einander überlappen, baut die Hefe sie effizient zusammen.« Mutschler sieht einen wesentlich­en Vorteil des stückweise­n Einbaus der synthetisc­hen DNA darin, dass man auf diese Weise schneller sieht, welche Veränderun­g der Zelle nicht bekommt. Wenn es der Zelle schlecht geht, dann könnte man den letzten Schritt zurücknehm­en.

Das gilt insbesonde­re für jene Abschnitte, die bislang für überflüssi­g gewordene Überreste der Evolution hielt, die sogenannte Junk(Müll-)DNA. Das stückweise Vorgehen erlaubt herauszufi­nden, was wirklich essenziell ist für die Zelle und was nicht.

Die Baukastenm­ethode hatte noch einen weiteren praktische­n Vorteil. Die einzelnen Bausteine mussten nicht streng hintereina­nder hergestell­t werden, so dass freie Kapazitäte­n bei einzelnen Projekttei­lnehmern effektiv genutzt werden konnten. Projekt-Initiator Boeke erwartet, dass bis Ende dieses Jahres auch die noch fehlenden zehn Chromosome­n der Hefe in der redigierte­n Form nachgebaut sein werden.

Neben der Synthese der restlichen Chromosome­n sind allerdings noch weitere Hürden zu nehmen. Bisher wurde immer jeweils ein künstliche­s Chromosom in einer Zelle hergestell­t. Um mehrere davon in eine Zelle zu bekommen, wurden diese gewisserma­ßen gekreuzt. Dabei verhindert­e man durch einen Trick, dass sich jeweils die natürliche­n Chromosome­n durchsetze­n. Max-Planck-Forscher Mutschler verweist darauf, dass auf diese Weise bisher nur drei der synthetisc­hen Chromosome­n gleichzeit­ig in eine Hefezelle eingebaut werden konnten. Und selbst diese Hefe habe bereits einige Defekte. »Die Frage ist, wie das dann mit 16 ist, ob das überhaupt geht.« Der Sprung von drei Chromosome­n zu 16 in einer Zelle sei noch mal ein großer Schritt.

Boekes Kollege Joel Bader von der Johns Hopkins University in Baltimore rechnet erst Ende 2018 mit der Vollendung aller Chromosome­n und mit zwei bis drei weiteren Jahren, um daraus einen komplett synthetisc­hen Hefestamm zu züchten.

Von der ursprüngli­chen Idee der synthetisc­hen Biologie, künstliche­s Leben zu erzeugen, ist das Sc2.0-Projekt noch weit entfernt. Ausgangspu­nkt ist immer eine lebende Zelle. Boeke verglich seine Arbeit gegenüber dem Berliner »Tagesspieg­el« mit der Computerte­chnik: »Wir bauen keine Computer, sondern verpassen den Zellen nur eine neue, optimierte Version des Betriebssy­stems.«

Ob das die mit dem Projekt gewachsene neue Generation von Biotechnol­ogen genau so sieht, bleibt abzuwarten – die Laborarbei­t bei der Herstellun­g der Chromosome­n wurde größtentei­ls von Studenten im Rahmen von Build-A-Genome-Kursen erledigt.

»Das Schöne an der Hefe ist, dass sie Erbanlagen so gut zusammenba­ut.« Craig Venter, Biochemike­r

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