Sixtus-Affäre
Am 21. November 1916 starb der Kaiser von Österreich und König von Ungarn Franz Joseph I. Sein Neffe folgte ihm als Karl I. auf den Thron. Bereits wenige Wochen nach seiner Thronbesteigung streckte Karl geheime Friedensfühler nach Frankreich aus. Dabei bediente er sich der verwandtschaftlichen Beziehungen seiner Frau Zita.
Am 21. März 1917 reisten die Prinzen Sixtus und Xavier von Bourbon-Parma – Schwäger des Kaisers und Brüder von Zita - konspirativ nach Österreich. Die Prinzen dienten in der belgischen Armee und hatten für ihre Reise die Genehmigung des belgischen Königs und der französischen Regierung eingeholt. Am 24. März übergab Karl ihnen ein streng vertrauliches Schreiben, das später als »Sixtus-Brief« berühmt werden sollte. Darin versicherte der Kaiser dem französischen Staatspräsidenten Raymond Poincaré, er werde all seinen Einfluss auf den deutschen Verbündeten geltend machen, um die »gerechten Ansprüche Frankreichs auf Elsass-Lothringen« zu unterstützen. Eineinhalb Wochen später, am 3. April 1917, reiste Karl, begleitet von Zita und Außenminister Czernin, nach Bad Homburg zu Kaiser Wilhelm II. Er wollte den deutschen Verbündeten zu einem Verständigungsfrieden drängen. Österreich werde dafür Deutschland ganz RussischPolen sowie Galizien überlassen. Sein Vorschlag wurde abgelehnt.
Im Frühjahr 1918 wurde der hochgeheime »Sixtus-Brief« publik. Außenminister Czernin hatte am 2. April in der Öffentlichkeit die geheimen Kontakte zur französischen Regierung vom Frühjahr 1917 erwähnt und gemeint, Österreich-Ungarn habe damals Avancen der Franzosen abgewiesen. Premier Georges Clemenceau stellte klar, dass Kaiser Karl damals den Kontakt gesucht und die Ansprüche Frankreichs auf Elsass-Lothringen ausdrücklich anerkannt hatte. Czernin, der den »SixtusBrief« nicht kannte, fühlte sich düpiert. Karl seinerseits bestritt dummerweise die Existenz des Geheimbriefes, woraufhin Clemenceau ihn veröffentlichen ließ. Czernin trat zurück. Kaiser Karl jedoch musste einen demütigen Canossagang zum Hauptquartier Wilhelms II. antreten. Der Skandal war perfekt.
Die Veröffentlichung des »Sixtus-Briefes« rief in der deutschen Presse einen Sturm der Entrüstung über den »verräterischen« Karl und seine »welsche« Gattin hervor. Dabei war das Anliegen Karls allemal vernünftiger als die Haltung der deutschen Militärführung und der Reichsregierung, die noch immer dem Phantom eines »Siegfriedens« nachjagten. Es musste doch jedem denkenden Menschen klar sein, dass Deutschland und Österreich-Ungarn nicht gegen die ganze Welt den Krieg gewinnen konnten. Folglich mussten die Regierenden dieser beiden Mächte sehen, wie sie aus dem Krieg herauskamen. Da sie nun einmal in der schwächeren Position waren, galt es, den Gegnern ein passables Angebot zu machen.