Alle müssen wählen dürfen!
Johanna Uekermann will das Wahlalter auf null Jahre absenken. Denn niemand wisse wirklich, was Kinder und Jugendliche wollen – außer sie selbst.
Fast jeder kennt diese Geschichten. Vom Jugendclub am Stadtrand, wo selten was los ist, weil er so schlecht zu erreichen ist. Von Schülern, die vor Schulstart eine Stunde im Pausenraum verbringen, weil der Schulbus nicht anders fährt. Vom Spielplatz, der als Treffpunkt bei den Eltern beliebter ist als bei den Kindern, weil die Geräte alle langweilig sind.
Diese Geschichten passieren, weil Kinder und Jugendliche mit ihren Interessen und ihrem Wissen zu oft keine Stimme haben. Und wir laufen Gefahr, dass künftig noch viel mehr solcher schlechten Entscheidungen fallen. Ist heute noch ein Fünftel der Wähler im Rentenalter, wird es 2050 ein Drittel sein. Junge Menschen werden es also zunehmend schwerer haben, sich Gehör zu verschaffen.
Jugendliche haben ein Recht darauf, selbst über ihr Leben zu bestimmen und ihr Umfeld mitzugestalten. Dazu muss zuallererst ihre Beteiligung an politischen Entscheidungen im unmittelbaren Lebensumfeld gestärkt werden. Schulen sollten Orte der Demokratie sein, in denen Schüler aktiv mitgestalten – auch in wesentlichen Fragen. Kinder- und Jugendbüros können in der Kommune Beteiligungsprozesse altersgerecht organisieren und mit Politik und Verwaltung koppeln. Die betriebliche Mitbestimmung von Auszubildenden muss gestärkt werden.
Doch es geht um mehr als um die Mitbestimmung im unmittelbaren Umfeld. Viele politische Fragen, die Kinder und Jugendliche betreffen, werden in Bund und Land entschieden. Als die Große Koalition den Mindestlohn einführte, beschloss sie Ausnahmen für Minderjährige. Eine Mindestvergütung für Auszubildende fehlt bis heute. Bei der Finanzierung von Jugendverbänden und Ju- gendarbeit muss jeder Euro hart erstritten werden und trotzdem kann von flächendeckenden Angeboten keine Rede sein. Ein Jugendcheck, der Gesetze auf ihre Wirkung für Kinder und Jugendliche prüft, ist nach wie vor Debattengegenstand statt Realität. Und die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz scheitert bisher an den nötigen Mehrheiten.
An all diesen Stellen wird es nur vorwärtsgehen, wenn Politik und Parteien gezwungen sind, sich stärker um die Interessen junger Menschen zu kümmern. Doch unser Wahlrecht schließt 14 Millionen Kinder und Jugendliche von der Wahl aus. Der Weg zum allgemeinen Wahlrecht war lang. Wir sollten ihn jetzt zu Ende gehen, die Diskriminierung von Kindern und Jugendlichen beenden und das Wahlalter auf null festlegen. Jeder unter 18 Jahren könnte dann wählen, wenn er sich eigenständig für die Wahlen registriert.
Was dagegen unangetastet bleiben muss, ist das gleiche Stimmgewicht für jeden Wähler. Ein Familienwahlrecht, bei dem Eltern treuhänderisch für ihre Kinder abstimmen, würde nicht nur dieses ele- mentare Demokratieprinzip unterwandern. Es wäre vor allem kein Beitrag, um die Selbstbestimmung von Kindern und Jugendlichen zu stärken. Statt ihnen würde ihre Elterngeneration profitieren. Statt der Mitbestimmung von Jugendlichen bekämen Ältere, die heute schon über Jugendliche entscheiden, mehr Stimmgewicht. Wer emanzipatorische Politik für junge Menschen machen möchte, muss diesen Paternalismus beenden.
Wir sollten offensiv um Mehrheiten für wirklich allgemeine Wahlen und ein Wahlrecht ab Geburt streiten. Die SPD geht, wie Grüne und Linkspartei auch, mit der Forderung nach einem Wahlalter 16 in die Bundestagswahl. Dies wäre ein erster wichtiger Schritt, damit künftig der Jugendclub an den richtigen Ort und der Bus zur richtigen Zeit kommt. Damit Spielplätze zum Lieblingsort von Kindern statt ihrer Eltern werden. Und damit die wirklich progressive Forderung nach einem Wahlrecht ab Geburt ein Stück näher rückt. Auch dafür gilt es, bei der kommenden Bundestagswahl das Kreuz an der richtigen Stelle zu machen und anschließend die richtige Koalition zu schmieden.