Kulturkampf im Kanzleramt
Union lehnt vor Koalitionsgipfel die Forderung der SPD ab, die Ehe für alle zu öffnen
Der Koalitionsausschuss von Union und SPD hat am Mittwochabend über letzte gemeinsame Projekte in dieser Legislatur beraten. Kurz vor dem Wahlkampf gönnen sich die beiden Partner kaum noch etwas.
Für Martin Schulz wird es ernst. Nach langem Zögern hat sich der SPD-Chef und Kanzlerkandidat kürzlich dazu entschieden, am Mittwochabend doch am Gipfeltreffen der Großen Koalition teilzunehmen. Zunächst hatte er noch gehofft, sich mit der Teilnahme an einer Fraktionsfeier, wo der Otto-Wels-Preis für Demokratie verliehen wird, aus der Affäre ziehen zu können. Die Union warf ihm aber vor, er würde kneifen. Das konnte Schulz nicht auf sich sitzen lassen.
Dass er ein gewisses Unbehagen bei dem Treffen im Kanzleramt, an dem Fraktionsvorsitzende, Bundesminister und Parteichefs der Koalitionspartner teilnehmen werden, empfinden dürfte, ist nachvollziehbar. Denn hier kann Schulz fast nichts gewinnen und er muss den kleineren Partner repräsentieren. Bei der Wahl 2013 lag die Union fast 16 Prozentpunkte vor der SPD. Schulz hat seine Partei nun in kurzer Zeit in den Umfragen nahe an die Konkurrentin herangeführt. Dass man ihn innerparteilich deswegen schon als Retter der Sozialdemokratie feiert, wird Schulz bei den Verhandlungen mit der Union freilich nicht helfen.
Der Koalitionsausschuss soll die Themen festgelegen, welche die Regierung bis zur Sommerpause bearbeiten will. In einigen Bereichen sind die Fronten verhärtet. Das gilt etwa für die Öffnung der Ehe für alle. Die SPD fordert, dass sie auch gleichgeschlechtlichen Paaren offenstehen soll. Dagegen sperrt sich die Union. Sie behauptet, die Ehe sei nur als Ge- meinschaft von Mann und Frau möglich. Ein Herzensanliegen für die SPD ist die Ehe für alle ohnehin nicht. Das Thema liegt seit geraumer Zeit beim Rechtsausschuss des Bundestags. Dort hatte die Koalition stets gemeinsam für eine Vertagung gestimmt. Nun scheint die Eheöffnung für die SPD interessant zu werden, weil sie bei liberalen Wählern punkten will. Zudem spaltet sie die Union, wo einige den SPD-Vorstoß unterstützen.
Schwierig wird es auch für Arbeitsministerin Andrea Nahles, die Reform zur Teilzeitarbeit durchzusetzen. Die Sozialdemokratin will, dass Erwerbstätige das Recht haben, aus der Teilzeit wieder in die vorherige Arbeitszeit zurückzukehren. 750 000 Beschäftigte könnten ihren Wunsch nicht realisieren, die Arbeitszeit zu verlängern und bekämen das auf dem Gehaltszettel zu spüren, so Nahles. Dies treffe vor allem Frauen. Die Union hat sich hingegen einmal mehr auf die Unternehmerseite geschlagen und beklagt Belastungen für den »Mittelstand«. Weniger strittig ist das Anliegen der SPD, dass Unternehmen Managergehälter nur bis 500 000 Euro im Jahr steuerlich absetzen können.
Der Forderungskatalog der Konservativen umfasst vor allem Gesetzesverschärfungen in der Innenpolitik. Asylbewerber und andere Men- schen, für die das Ausländerrecht gilt, sollen leichter abgeschoben werden können, wenn sie mit falschen Angaben staatliche Hilfszahlungen bezogen haben. Zudem verlangt die Union eine härtere Bestrafung von Einbrechern. Den Sozialdemokraten gehen diese Vorhaben zu weit. Parlamentsgeschäftsführerin Christine Lambrecht warnte davor, dass Richter Spielräume verlören, um bei Urteilen auf verschiedene Situationen einzugehen.
Die weiterhin strittigen Themen werden in den Wahlkampf der Parteien einfließen. Allerdings wollen sich die Koalitionäre nicht vorwerfen lassen, in den verbleibenden drei Monaten nicht mehr regierungsfähig zu sein. Einige Einigungen wurden bereits vor dem Treffen erzielt.
Zur Kürzung des Kindergeldes für den in der Heimat lebenden Nachwuchs von EU-Ausländern ist ein Eckpunktepapier geplant. Denn die bisherigen Vorhaben verstoßen offensichtlich gegen das Europarecht.
Kommen wird das »Entgelt-Transparenz-Gesetz« der Familienministerin Manuela Schwesig (SPD). Darin ist ein Auskunftsrecht in Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten über die Bezahlung vergleichbarer Gruppen vorgesehen. Nach dem Willen der Union wurden Betriebe ausgenommen, die tarifgebunden sind oder den Tarifvertrag anwenden und einen Betriebsrat haben. Ein Teil der Unionsfraktion fürchtete »zu viel Bürokratie«, andere wollten dagegen Frauen ein »Signal für Gleichberechtigung« geben. Am Dienstagabend stimmte die Mehrheit der Unionsabgeordneten für den Entwurf. 40 Parlamentarier votierten mit Nein. Damit steht einer Verabschiedung im Bundestag am Donnerstag nichts mehr im Weg. LINKE und Grüne hatten das Vorhaben kritisiert, weil dadurch Entgeltgleichheit nicht praktisch durchgesetzt wird.