Was die Behörden im Fall Amri verunsichert hat
Vertreter des Innenministeriums sagt im NRW-Untersuchungsausschuss aus
Im Fall des Attentäters vom Breitscheidplatz Anis Amri offenbaren sich schwerwiegende Fehler auf mehreren Ebenen. Der Bund und das Land NRW weisen sich gegenseitig die Schuld zu.
Es ist Amri-Woche im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Am Montag stellte die Landesregierung ihren »unabhängigen Bericht« zum Agieren der Behörden im Land vor. Am Dienstag sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss aus. Für Mittwoch war die Aussage von NRW-Innenminister Ralf Jäger geplant.
Bislang steht fest: Auf Bundesund Landesebene lagen offenbar stark unterschiedliche rechtliche Bewertungen vor, wie mit Anis Amri umzugehen sei. Der CDU-Politiker Thomas de Maizière erklärte am Dienstag, man hätte Amri in Haft nehmen können. Im Oktober habe Tunesien, zumindest die Interpol-Außenstelle in dem Land, die Identität Amris bestätigt. Daraufhin wäre eine Abschiebehaft für drei oder sechs Monate möglich gewesen.
Doch Amri kam nicht in Abschiebehaft. Burkhard Schnieder, der im NRW-Innenministerium die Abteilung für Ausländerangelegenheiten leitet, erklärte im Ausschuss, dies habe man nicht machen können, da die Ausstellung von Ersatzpapieren nicht in Aussicht gestanden habe und die Abschiebe- haft kein Repressionsinstrument sei. Auch über eine Abschiebung nach Paragraf 58a, die nur bei Gefährdern möglich ist, wurde im Innenministerium von NRW nachgedacht. Umgesetzt wurde sie allerdings nicht. Dies wurde brisanterweise ohne das Hinzuziehen von Juristen entschieden.
Burkhard Schnieder ließ in seiner Aussage durchblicken, dass sich die NRW-Behörden damit auf Neuland begeben hätten, davor schreckten sie offenbar zurück. Warum man in dieser Entscheidung so unsicher war, offenbarte sich ebenfalls in Schnieders Aussage. Mehrfach zog er die Bewertung des Landeskriminalamtes, das Amri als sehr gefährlich eingestuft hatte, in Zweifel. Für die Kooperation innerhalb des Innenministeriums werfen diese unterschiedlichen Bewertungen Fragen auf.
Am Mittwoch wurde im Landtag auch der Chef des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes, Burkhard Freier, befragt. Freier betonte, dass seine Behörde im Fall Amri quasi keine eigenen Informationen hatte. Man habe, ausnahmsweise, deutlich weniger Informationen als das Landeskriminalamt gehabt. Passend dazu sagte Freier eher Allgemeines zur Arbeit des Verfassungsschutzes und zu Entwicklungen im Bereich Islamismus. Wegen der hohen Anzahl an Gefährdern müssten die Sicherheitsbehörden eine genauere Einstufung durchführen, welche Gefahr von einzelnen Personen ausgehe. Diese müssten dann besser überwacht werden. Der Fall Amri sei allerdings, so Freier, ein Beispiel dafür, dass mehr Kompetenzen im Sicherheitsbereich an Bundesbehörden gegeben werden sollten. Für den Leiter eines Landesamtes eine erstaunliche Aussage.
Schwächen festgestellt hat auch eine Ermittlergruppe des Bundestages. Im Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum (GTAZ), in dem alle Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern zusammenkommen, sei das Verfahren zur Bewertung von islamistischen Gefährdern unzureichend. Ein Bericht der Ermittler, der am Mittwoch dem geheim tagenden Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) des Bundestages vorgelegt wurde, kommt zu folgendem Schluss: Das GTAZ befasse sich nicht umfassend genug mit der persönlichen Gefährlichkeit einzelner Islamisten. Ein öffentlich zugänglicher Bericht des PKGr soll in den nächsten Wochen erarbeitet werden.
Während der Untersuchungsausschuss in NRW seine Arbeit am Freitag beendet, da in der kommenden Woche die letzten Sitzungen des Landtags stattfinden, gibt es in Berlin Streit um die Aufklärung des Falles Amri. FDP und AfD hatten einen Antrag auf die Einsetzung eines Ausschusses gestellt. Ohne die Stimmen einer weiteren Fraktion ist dies aber nicht möglich. Doch die rot-rot-grüne Regierungskoalition in der Hauptstadt scheint kein Interesse an der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu haben.