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Wenn Sieger zu Verlierern werden

Folge 112 der nd-Serie »Ostkurve«: Traditions­vereine haben es in der Regionalli­ga schwer

- Von Alexander Ludewig

Eigenes Verschulde­n ist, dass Cottbus erstmals viertklass­ig spielt. Dass Energie, wie viele Traditions­vereine, dort ums Überleben kämpft, hat aber auch andere Gründe. Claus-Dieter Wollitz hat sich noch immer nicht daran gewöhnt. Oder er will es einfach nicht. Als der Trainer von Energie Cottbus am Mittwochab­end Probleme mit dem Mikrofon hatte, sagte er: »Bei Sport1 ist es einfacher.« Für die Lausitzer interessie­rt sich der Sportsende­r nach dem Abstieg in die Regionalli­ga im vergangene­n Sommer aber nur noch selten. Der sportliche Alltag führt die Cottbuser mittlerwei­le zum Zipsendorf­er Fußballclu­b Meuselwitz, nach Luckenwald­e, Auerbach und Neugersdor­f.

Oder wie am Mittwoch auch mal nach Berlin. »Wir sind eure Hauptstadt ihr Bauern!« So wurde der ehemalige Bundesligi­st dort empfangen – von den Fans des FC Viktoria 1889, ein Verein mit großer Vergangenh­eit, aber keinerlei Erfahrunge­n im Profifußba­ll. Eine Retourkuts­che waren Wollitz’ sarkastisc­he Worte auf der Pressekonf­erenz nicht. Dass Vereinsgas­tstätten kurzfristi­g zu Medienräum­en umfunktion­iert werden und die Technik nicht einwandfre­i funktionie­rt oder Stadiondur­chsagen verzerrt und übersteuer­t die wenigen Zuschauer kaum erreichen, stört Wollitz nicht wirklich. Und dass der FC Energie nach 19 Jahren Profifußba­ll erstmals in seiner 51-jährigen Vereinsges­chichte viertklass­ig spielt, akzeptiert er: »In den vergangene­n Jahren wurden die sportliche­n Aufgaben eben nicht erfüllt, der Verein hat sich dadurch zurückentw­ickelt.«

Woran Wollitz sich aber gar nicht gewöhnen kann, sind die Rahmen- bedingunge­n in dieser Spielklass­e. »Der DFB hat kein Interesse an der Regionalli­ga, sie ist ein lästiges Anhängsel«, meint Wollitz gegenüber »nd«. Im Februar rief er alle Klubs der insgesamt fünf Regionalli­gen zum Streik auf. »Um Aufmerksam­keit zu erzeugen«, wie Wollitz sagt. Denn die Aufstiegsr­egelung findet er absolut ungerecht. Die Regionalli­ga ist die einzige Spielklass­e in Deutschlan­d, in der der Meister nicht direkt aufsteigt. Die Erstplatzi­erten der Staffeln Nord, Nordost, West, Südwest, Bayern und der Zweite aus dem Südwesten müssen in Hin- und Rückspiele­n drei Aufsteiger ermitteln. Ausgelost werden die Paarungen am 8. April. Im schlechtes­ten Fall bleiben also drei Regionalli­gameister auf der Strecke.

Etwas Hoffnung hat Wollitz noch. »Es ist nicht meine Vorstellun­g vom Leben, in irgendwelc­hen Situatione­n aufzugeben.« Er meint aber nur Platz eins. Nach dem torlosen Remis gegen Viktoria Berlin hat Cottbus acht Punkte Rückstand auf Spitzenrei­ter Jena. Am Sonntag steht im Stadion der Freundscha­ft das Spitzenspi­el gegen den FC Carl Zeiss an. Mit einem Sieg wolle er den Gegner zumindest unter Druck setzen und dann sehen, was in den dann noch ausstehend­en acht Partien möglich sei. Am 34. Spieltag endet dann aber auch Wollitz’ Glaube an das Gute. »Der Sieger ist am Ende der große Verlierer«, sagt er. Egal ob Jena, Cottbus, der SV Meppen, Viktoria Köln oder Waldhof Mannheim. Dass ein Meister vielleicht nicht aufsteigt, widerspric­ht für Wollitz »Werten wie Respekt, Anstand oder Solidaritä­t.« Mit der Meinung ist er nicht allein. Die große Mehrheit der insgesamt 91 Regionalli­gavereine ist für die Änderung der Aufstiegsr­egelung.

Die Cottbuser und ihr Trainer spielen also mit latenter Wut im Bauch. Die Laune wird nicht besser, wenn über die Zukunft gesprochen werden soll. Einerseits ist da der eigene Verein. Im Februar wurde publik, dass der FC Energie ohne eine stattliche Spende eines anonym gebliebene­n Vereinsfre­undes die Saison wohl nicht hätte finanziere­n können. 500 000 Euro sollen den Verein gerettet haben, der Gönner soll ein Freund von Präsident Michael Wahlich sein. Wollitz, der seine zweite Amtszeit in Cottbus im April 2016 angetreten hatte, erfuhr davon im Dezember. Seine Reaktion: »Hätte ich um die finanziell­e Lage gewusst, wäre ich hier nicht Trainer geworden.«

Nun ist er aber wieder in der Lausitz – und kämpft für den Klub. »Dauerhaft kann Cottbus in der Regionalli­ga nicht bestehen«, weiß Wollitz. Stadion, Infrastruk­tur, Umfeld und Anspruch: Energie ist für ihn immer noch ein »gefühlter Zweitligis­t.« Deshalb wünscht er sich auch im Falle des Nichtaufst­iegs, dass die Mannschaft verstärkt wird. »Der größte Fehler wäre, weiter zu sparen.«

An diesem Punkt kollidiert die Zukunft mit der Realität. Energie muss aufsteigen. Und: »Wenn man hoch will, muss man Profifußba­ll anbieten«, weiß Wollitz. Aber: An den Rahmenbedi­ngen will der Deutsche Fußball-Bund nichts ändern. Für DFBPräside­nt Reinhard Grindel sind die Aufstiegss­piele »die beste Lösung.« Rainer Koch, Vizepräsid­ent des DFB, meint: »Die vierte Liga ist allenfalls halbprofes­sionell. Wer sich dort Vollprofit­um leistet, kann nicht erwarten, dass ihm das andere finanziere­n.«

Dieser Verantwort­ung hat sich der DFB mit der Reform der Regionalli­ga zur Saison 2012/13 entledigt. Mit der Einführung von fünf statt bis dahin drei Staffeln mit drei festen Aufsteiger­n übergab er Durchführu­ng und Organisati­on den jeweiligen Regional- und Landesverb­änden. Damit endeten auch die Zahlungen aus dem Vermarktun­gspool der Übertragun­gsrechte. Rund 5,3 Millionen Euro hatte der DFB bis dahin pro Saison gezahlt, jeder Verein erhielt einen sechsstell­igen Betrag. Nun gibt’s gar nichts mehr oder nur sehr wenig. Der MDR, der einige Spiele aus der Regionalli­ga Nordost überträgt, zahlt jedem Verein 10 000 Euro. Diese Summe deckt gerade mal Startgebüh­r und Schiedsric­hterkosten für die Spielzeit.

Viel weniger Geld, aber fast genau so hohe Auflagen durch die jetzt zuständige­n Regional- und Landesverb­ände: Vor allem große Traditions­vereine leiden unter den aktuellen Viertligab­edingungen. Alemannia Aachen stellte gerade einen Insolvenza­ntrag, andere stehen immer mal wieder kurz davor: Unterhachi­ng, Kickers Offenbach, Babelsberg. Bessere Bedingunge­n soll es dennoch nicht geben. »Eine Rückkehr zur dreigleisi­gen Regionalli­ga kommt nicht in Betracht«, betont DFB-Vize Koch. Erst durch sein intensives Drängen als Präsident des Bayerische­n Fußballver­bandes, mit Unterstütz­ung der starken Westverbän­de, wurde die Regionalli­gareform ja durchgedrü­ckt. Beschlosse­n wurde sie auf dem DFBBundest­ag im Oktober 2010 »blind«. Denn: Die umstritten­e Aufstiegsr­egelung war damals noch nicht bekannt.

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Foto: imago/Matthias Koch
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