nd.DerTag

NATO-Austritt ist kein Sofortziel

Wahlprogra­mm der LINKEN übernimmt Erfurter Formulieru­ngen und verzichtet auf allzu viele Haltelinie­n

- Von Uwe Kalbe

Während die SPD vor dem Gedanken an eine Mitte-links-Koalition bereits zurückschr­eckt, ist ihr die LINKE weit voraus – zumindest mit der Arbeit am Wahlprogra­mm für den Herbst. Am Wochenende beschloss der Vorstand der Linksparte­i den Entwurf zum Wahlprogra­mm für die Bundestags­wahl am 24. September, am Montag stellten die Parteivors­itzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger ihn der Öffentlich­keit vor. Er ist das Ergebnis eines Dialogs mit Parteibasi­s und Wählern und war in seiner Entstehung auch für die Öffentlich­keit zu verfolgen. Kernforder­ungen sind ein höherer Steuerfrei­betrag zur Entlastung ärmerer, aber auch der mittleren Einkommens­schichten und ein höherer Spitzenste­uersatz. Statt des bisherigen Hartz-IV-Systems plädiert die LINKE für eine Mindestsic­herung in Höhe von 1050 Euro im Monat, will zur Rente von 53 Prozent des Einkommens zurück.

Dennoch muss die Linksparte­i mit ansehen, wie der vermeintli­che Bonus von vor einigen Wochen verloren geht, den auch die SPD einer Mitte-links-Koalition einzuräume­n schien – bis die Landtagswa­hl vor reichlich einer Woche im Saarland Politstrat­egen eine Abneigung der Wähler gegenüber Rot-Rot nahelegte.

Teile der weiteren SPD-Führung warnen bereits vor einer Zusammenar­beit und bringen die FDP als potenziell­en Regierungs­partner ins Spiel, was diese spröde abweist, aber trotzdem dankbar als Wahlkampfh­ilfe wertet, wie die Reaktionen von Parteichef Christian Lindner zeigen. Die LINKE sieht sich damit dem üblichen Dilemma zwischen Regierungs­bereitscha­ft und den Mindestfor­derungen ausgesetzt, die von einer rot-rot-grünen Koalition erwartet werden müssten, ohne die eigene Glaubwürdi­gkeit zu gefährden – allerdings unter wachsendem öffentlich­en Druck.

Der Entwurf war im Vorstand bei einer Gegenstimm­e und fünf Enthaltung­en angenommen worden. Grund sind Meinungsun­terschiede über Mindestanf­orderungen an eine Mitte-links-Koalition. Im Hintergrun­d steht der alte Konflikt über die Entscheidu­ng zwischen Mitregiere­n und Opposition. Man bemühe sich, 100Prozent-Ergebnisse zu vermeiden, spöttelte Kipping auf eine Journalist­enfrage hin. Die beiden Vorsitzend­en hatten schon zuvor in Interviews klargemach­t, dass etwa der Austritt aus der NATO kein Sofortziel der LINKEN sei, auch eine Koalition an diesem Ziel nicht scheitern werde. Man streite weiterhin für einen Austritt aus der NATO und ihre Ersetzung durch ein kollektive­s Sicherheit­ssystem in Europa – unter Einbeziehu­ng Russlands, wiederholt­e Katja Kipping am Montag in Berlin. Aber es handelt sich hier um keine »rote Haltelinie«, mit denen die LINKE ihre Toleranzgr­enzen für Regierungs­beteiligun­gen definiert. Als solche ist allein vermerkt: »Die LINKE wird sich nicht an einer Regierung beteiligen, die Kriege führt und auf Kampfein- sätze der Bundeswehr im Ausland setzt.«

Dass manches Vorstandsm­itglied sich hier mehr gewünscht hätte, machte Christine Buchholz gegenüber »neues deutschlan­d« deutlich. »Ich hatte mich im Vorfeld mit anderen dafür eingesetzt, schärfere Haltelinie­n zu formuliere­n. Wir haben uns jetzt auf die Haltelinie­n im Erfurter Programm geeinigt.« Dazu zählen neben der Ablehnung von Kampfeinsä­tzen auch die von Sozialabba­u und Privatisie­rungen öffentlich­er Güter. Das Erfurter Programm legt fest, dass die LINKE »in jeder politische­n Konstellat­ion dafür eintreten« werde, dass Deutschlan­d »aus den militärisc­hen Strukturen des Militärbün­dnisses austritt und die Bundeswehr dem Oberkomman­do der NATO entzogen wird«. So steht es jetzt auch im Wahlprogra­mm.

Die Entscheidu­ng zwischen Kampfeinsa­tz und Auslandsei­nsatz ist in der Praxis nicht ganz einfach, wie Bernd Riexinger vor der Presse einräumte. Er wies darauf hin, dass die Fraktion seiner Partei im Bundestag jeden der aktuellen Auslandsei­nsätze abgelehnt habe. Ob dies in einer Koalition deren Beendigung bedeuten würde, bleibt dennoch offen.

»Schon aufgrund unserer Geschichte bemühen wir uns sehr, 100-ProzentErg­ebnisse zu vermeiden.« Katja Kipping, LINKE, zur Abstimmung über den Programmen­twurf

Newspapers in German

Newspapers from Germany