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Das Kreuz mit der Asse

Vor einem halben Jahrhunder­t begann die Atommüllei­nlagerung im Schacht Asse – heute droht er abzusaufen

- Von Reimar Paul

Vor 50 Jahren begann die wilde Atommüllei­nlagerung.

Die Asse ist wohl das Paradebeis­piel dafür, wie Atommüllla­gerung auf keinen Fall gemacht werden darf: An einem wegen Wassereinb­rüchen ungeeignet­en Standort wurden riesige Mengen strahlende­n Abfalls gelagert. Womöglich befindet sich darunter auch hoch radioaktiv­er Müll.

Offiziell sollte im alten Salzbergwe­rk Asse in Niedersach­sen die Atommüllla­gerung nur erprobt werden. Das Lager ist aber zum Dauerzusta­nd geworden, denn die Bergung ist fast unmöglich. Ein fünf Meter hohes »A« wollen Umweltschü­tzer heute oberhalb des Dörfchens Remlingen aufstellen. Das Konstrukt aus Holz steht für »Asse«, für »Atommüll« und für »Achtung!«. Es soll darauf hinweisen, dass hier vor Jahrzehnte­n radioaktiv­e Abfälle unter der Erde vergraben wurden.

Die Einlagerun­g begann vor genau 50 Jahren. Am 4. April 1967 wurden die ersten 80 Fässer mit strahlende­n Rückstände­n aus dem Kernforsch­ungszentru­m Karlsruhe im früheren Salzbergwe­rk Asse II im Kreis Wolfenbütt­el versenkt. Zuletzt gelangten hier im Jahr 1978 strahlende Abfälle unter die Erde. Insgesamt lagern 125 787 Fässer und Gebinde mit schwach- und mittelradi­oaktiven Abfällen sowie mit Chemiemüll in den einsturzge­fährdeten Kammern – 50 000 Kubikmeter strahlende und teils hoch giftige Rückstände.

Der Standort wurde seinerzeit für Lagerungst­ests auserkoren, obwohl er offenbar ungeeignet war. Um 1900 hatte auf dem bewaldeten Höhenzug Asse nördlich des Harzes der Salz- bergbau begonnen. Während die Schächte I und III schon früh voll Wasser liefen und aufgegeben werden mussten, förderten Bergleute im Schacht II noch bis 1964 Steinsalz. Ein Jahr später kaufte der Bund das Bergwerk und ließ es von der Gesellscha­ft für Strahlenfo­rschung (heute: Helmholtz Zentrum München) zum »Versuchsen­dlager« herrichten.

Der Lehrer Walter Randig schrieb damals einen Leserbrief an die Lokalzeitu­ng: »Auch der in Frage kommende Asse-Schacht hat bereits einen kleinen Wassereinb­ruch, der bisher laufend unter Kontrolle gehalten werden musste. Wenn das Grundwasse­r durch den Atommüll verseucht ist, dürfte es für Überlegung­en zu spät sein.« Der verantwort­liche Gutachter Professor Klaus Kühn hielt dagegen, dass »die Gefahr von Wasser- oder Laugeneinb­rüchen als minimal anzusehen bzw. mit an Sicherheit grenzender Wahrschein­lichkeit sogar auszuschli­eßen« sei. 1990 erhielt Kühn das Bundesverd­ienstkreuz.

Die Abfälle, darunter rund 100 Tonnen radioaktiv­es Uran, 87 Tonnen strahlende­s Thorium, 28 Kilogramm Plutonium und 500 Kilo extrem giftiges Arsen, wurden in 13 unterirdis­che Kammern gepackt. Teilweise kippten Gabelstapl­er die Fässer einfach über Abhänge oder quetschten sie in bereits volle Hohl- räume. Bis heute halten sich Gerüchte, dass in der Asse auch Kadaver von Affen und anderen Säugetiere­n vermodern, mit denen in der Vergangenh­eit radioaktiv­e Versuche gemacht wurden.

Unklar ist zudem, ob entgegen offizielle­n Beteuerung­en nicht auch hoch radioaktiv­er Müll verklappt wurde. Am 29. Juli 1974 zitierte die »Hannoversc­he Allgemeine Zeitung« den stellvertr­etenden Asse-Betriebsle­iter mit der Aussage, 1967 seien »als erstes radioaktiv­e Abfälle aus dem letzten Krieg versenkt« worden. Es habe sich dabei um Uranabfäll­e gehandelt, »die bei der Vorbereitu­ng der deutschen Atombombe anfielen«. Die Behörden hatten davon aber keine Kenntnis.

Die Einlagerun­g endete nach der Änderung des Atomgesetz­es. Dieses schreibt als Voraussetz­ung für die Endlagerun­g radioaktiv­er Abfälle ein atomrechtl­iches Planfestst­ellungsver­fahren vor. Es dauerte jedoch noch lange, bis Informatio­nen über den dramatisch­en Zustand der Asse nach außen drangen. Heute bestreitet dies niemand mehr: Seit 1988 läuft Wasser in das Bergwerk, täglich rund 12 000 Liter. Die Kammern mit dem Atommüll sind instabil, einige Zwischende­cken bereits eingebroch­en, sagen Experten. Sie befürchten auch massive Wassereinb­rüche: »Die weitere Entwicklun­g des Zutritts ist nicht prognostiz­ierbar«, heißt es in einer kürzlich erschienen­en Broschüre des Bundesamte­s für Strahlensc­hutz (BfS). »Ein unkontroll­iertes Volllaufen des Grubengebä­udes (Absaufen) kann nicht ausgeschlo­ssen werden.«

2008 beschlosse­n der Bund und das Land Niedersach­sen, die Asse künftig wie ein Endlager zu behandeln. Das BfS wurde Betreiber und mit der sicheren Schließung der Grube beauftragt. Nach einem Vergleich verschiede­ner Varianten spricht sich das Amt für die Bergung sämtlicher Abfälle aus. Ein ambitionie­rtes Unterfange­n, denn ein nukleares Endlager wurde noch nirgends auf der Welt geräumt.

Ohnehin droht die angekündig­te Rückholung der Fässer zu scheitern, bevor sie überhaupt begonnen hat. Mit dem Heraushole­n wäre es nämlich nicht getan: Ein neuer Schacht muss in den Berg getrieben, ein oberirdisc­hes Zwischenla­ger gebaut und eine dauerhafte Lagerstätt­e für den Asse-Müll gefunden werden. Das in Bau befindlich­e Endlager Schacht Konrad, räumt der langjährig­e BfSChef Wolfram König ein, könne die Abfälle angesichts der schieren Menge ohne neues Genehmigun­gsverfahre­n nicht aufnehmen. Umweltschü­tzer vermuten, dass manche Politiker Bilder von zerfressen­en Fässern und einem strahlende­n Brei aus Salzlauge und Atommüll lieber nicht sehen wollen.

Ab 2009 beschäftig­te sich ein Untersuchu­ngsausschu­ss des niedersäch­sischen Landtags mit der Asse. Viele weitere Pannen und Missstände kamen in den Anhörungen ans Licht. So wurden radioaktiv belastete Laugen ohne Genehmigun­g in tiefere Bereiche gepumpt, Studien über die Baufälligk­eit des Bergwerks zurückgeha­lten. Der als Zeuge vor den Ausschuss geladene ehemalige Bundesumwe­ltminister und Niedersach­sens Ex-Ministerpr­äsident Sigmar Gabriel (SPD) nannte die Asse »einen der größten Problemfäl­le, die wir in Europa haben«. Es sei skandalös, dass die Atomindust­rie ein Bergwerk »löcherig wie ein Käse« für eine »Billigents­orgung« genutzt habe. BfS-Chef König sagte: »Wir haben 2009 ein Bergwerk übernommen, in das nie radioaktiv­e Abfälle hätten eingelager­t werden dürfen.«

Ende 2016 teilte der Landkreis Wolfenbütt­el mit, dass in der Umgebung des Atommüllla­gers mehr Menschen an Schilddrüs­enkrebs als im landesweit­en Durchschni­tt erkrankt seien. In der Samtgemein­de Elm-Asse gab es zwischen 2010 und 2014 neun statt der statistisc­h zu erwartende­n 3,8 neuen Fälle. Umweltschü­tzer vermuten seit langem, dass radioaktiv­e Strahlung aus dem maroden Bergwerk Krebs auslöst und andere Gesundheit­sschäden verursacht. Beweisen lässt sich das aber nicht.

»Wir haben 2009 ein Bergwerk übernommen, in das nie radioaktiv­e Abfälle hätten eingelager­t werden dürfen.« Wolfram König, Bundesamt für Strahlensc­hutz

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Foto: 123rf/mrdoomits
 ?? Foto: dpa/Wolfgang Weihs ?? Atommüllei­nlagerung in der Asse im November 1971: Da dieser Müll Wärme entwickelt, herrschten dabei Treibhaust­emperature­n.
Foto: dpa/Wolfgang Weihs Atommüllei­nlagerung in der Asse im November 1971: Da dieser Müll Wärme entwickelt, herrschten dabei Treibhaust­emperature­n.

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