Raue Hände, unbesiegbares Lächeln
Wer erbaut das neue Berlin? Erlebnisse eines rumänischen Arbeiters, der aus Spanien in die Hauptstadt kam
Osteuropäische Arbeitskräfte werden in bestimmten Branchen ausgenutzt. Daniel Gaspar Vasile ist kein spektakulärer »Fall«. Aber seine Geschichte zeigt, wie hart es in Deutschland zugeht. Die Stellenanzeige löste bei Daniel Vasile Gaspar große Hoffnungen aus. Eine Stelle als Klempnergeselle in Berlin, ein Jahr Vertrag, ein Einkommen für seine Familie! Diese besteht aus Frau, Sohn und Tochter, die vor Kurzem auch noch selbst ein Baby geboren hat. Alle fünf lebten in Aranjuez, einer Vorstadt von Madrid – und bekamen gerade 800 Euro an Familienhilfe, wie das in Spanien heißt. Die Hälfte davon überweisen sie monatlich an ihren Vermieter, die Ehefrau sucht vergeblich nach Arbeit.
»Allein für die Bücher und Schulausstattung für meinen Sohn, der gerade 15 geworden ist und das Gymnasium besucht, musste ich fast 300 Euro zahlen”, erzählt Gaspar in einem Park in Berlin von seiner Lage in Spanien. Daniels Hände sind rau, seine Kleidung ist ärmlich. Sein Lächeln sieht trotzdem unbesiegbar aus.
Daniel ist Klempnergeselle, hat aber auch Erfahrung als Erntehelfer, als Schreiner, als Bauarbeiter. Zudem ist er examinierter Krankenpfleger – und Rumäne. Nach Spanien ging er mit Frau und Tochter, weil es in Rumänien kaum Arbeit gab. Andere Mitglieder seiner großen Familie sind ebenfalls ausgewandert. Doch auch in Spanien war es nicht einfach. »Ich ha- be mich durchgeschlagen«, sagt er. Oft sei er um seinen Lohn betrogen worden, doch fand er immer wieder einen Job, er ist ja flexibel. Deshalb entschloss er sich auch, es in Berlin zu versuchen – jenseits des krisengeschüttelten Spanien. Zudem hatte er einen Bruder, der in Berlin arbeitete – wenn auch nicht lange und für wenig Geld. Auch das machte ihn optimistisch, hier Fuß zu fassen.
Im Januar 2016 war es dann soweit: Er unterschrieb einen Vertrag bei der Firma Funes GmbH. Die Bezahlung sollte mäßig sein, gerade mal Mindestlohn – und in Berlin stellte sich heraus, dass er nicht als Klempnergeselle vorgesehen war, sondern eher als Bauhelfer. »Das war nicht das, was sie gesagt hatten, aber ich wollte den Job nicht verlieren«, erzählt Daniel. Sechs Tage die Woche schuftete er auf einer großen Baustelle in Berlin. Er lebte in einer Wohnung, die seine Firma ihm gegen Bezahlung stellte. Die Kollegen waren Spanier und Polen, die Arbeit hart.
Im März wurde er im Büro vorstellig, es ging ihm um eine Lohnerhöhung. Das sei schon möglich, sagte der Vorgesetzte, er könne auf zehn Euro die Stunde kommen – aber nur als Selbstständiger. Und die Bürokratie? Kein Problem. Man könne alles für ihn vorbereiten.
Jetzt wurde Daniel also Unternehmer. Als solcher muss er Rechnungen schreiben – auch das übernahm man für ihn. Rechnungen, die »nd« vorliegen, tragen nicht einmal seine Unterschrift. Dafür hatte er zwei verschiedene »Kunden«, die tatsächlich recht eng zusammenhingen: seinen früheren Arbeitgeber, die Funes GmbH und ein Planungsbüro Klötzer GmbH. Beide Firmen sind unter derselben Telefonnummer erreichbar. Unter dieser meldet sich ein Herr Sánchez. Der sagt, dass die beiden Firmen auch denselben Eigentümer hätten. Zum Paket gehört offenbar noch eine dritte Firma, die den Arbeitern Unterkünfte vermietet.
Für Daniel selbst spielte diese seltsame Konstruktion keine Rolle. Für ihn zählte, dass er mehr verdienen konnte. Das aber lag auch daran, dass er sich falsch krankenversicherte: Man legte ihm, so stellt er es dar, eine Versicherung bei der HanseMerkur nahe. Dabei hatte er ja eine deutsche Krankenkasse, nämlich die AOK. Die neue Versicherung war nur eine Reiseversicherung, doch Daniel, der kaum Deutsch spricht, verstand das nicht. Was er wusste: Monatlich gingen 100 Euro von seinem Konto ab. Er dachte, so seine Abgabe entrichtet zu haben und arbeitete weiter. Zum Glück ohne Unfall oder Krankheit, denn gültig versichert gewesen wäre er damit natürlich nicht.
Doch schon im Oktober kam die nächste Wendung. Nun entschied sich die Firma, ihn doch wieder fest einzustellen. Vielleicht ging es dabei um die Kleinunternehmerregelung. Daniel hätte auf das Jahr gerechnet wohl mehr als 17 500 Euro verdient und wäre damit umsatzsteuerpflichtig gewesen. Dann hätte zumindest das Modell, dass er mehr verdient, wenn er »selbstständig« ist, nicht mehr funktioniert. Die Kalküle in der Branche sind nicht immer leicht nachzuvollziehen. Fest steht, dass Daniel nun vom Arbeitgeber nicht, wie beim ersten Mal, bei der AOK angemeldet wurde, sondern bei der TechnikerKrankenkasse.
Doch war auch diese Phase nur kurz. Eines Tages im November sagte ihm sein Chef ganz plötzlich, er sei gekündigt. Es gab einen Streit unter Kollegen und er sei schuld daran. Für Daniel aber blieb der Eindruck, dass es tatsächlich um seine Forderung nach höherem Lohn ging.
»Ich verpflichte mich dazu, innerhalb von 48 Stunden meine Wohnung zu verlassen und die Schlüssel zurück zu geben, wenn die Arbeitsbeziehung mit der Funes GmbH beendet ist« steht auf Spanisch in Daniels Vertrag. Plötzlich war Daniel nicht nur arbeits-, sondern auch wohnungslos. Als ich Daniel im Dezember 2016 an einer Haltestelle kennenlernte, hatte er gerade bei einem Landsmann Unterschlupf gefunden. »Hier in Deutschland läuft es nicht so gut, wie ich mir dachte«, erzählte er erst vorsichtig. Nach und nach kam dann die ganze Geschichte.
In Deutschland »boomt« die Bauwirtschaft. 2016 wuchs die Branche um fünf Prozent, für 2017 erwarte man eine Fortsetzung des Trends, jubelte im Dezember der Hauptverband der Bauindustrie. Speziell in Berlin mit seinen besonders rasant steigenden Miet- und Immobilienpreisen sieht die Branche mittelfristig in eine gute Zukunft. Wer aber erarbeitet diesen Boom? Unter welchen Bedingungen? An wen werden die Gewinne verteilt? Die endlosen Prozesse um die Löhne von rumänischen Arbeitern beim Bau der 2014 eröffneten »Mall of Berlin« stehen exemplarisch für die Bedingungen, die eben auch mit diesem Aufschwung verbunden sein können. Und ganz offensichtlich gehört auch Daniel Vasile Gaspar nicht zu den Profiteuren des Booms.
Dabei ist seine Geschichte kein besonders drastischer Fall, sondern eher harmlos bis normal für einen bestimmten Bereich gerade der Bauwirtschaft. Das sagt Íñigo Valdenebro. In einem Büro in Friedrichshain befasst sich der Spanier mit deutschem und spanischem Recht. Er arbeitet auch ehrenamtlich in der Initiative »Oficina Precaria« (Prekäres Büro), die spanische Neuankömmlinge ehrenamtlich bei Problemen mit Versicherungen oder dem Jobcenter berät. Geschichten wie die von Daniel hat er schon oft gehört, und weitaus schlimmere: »Sie haben ihm wenigstens den Lohn bezahlt, er hatte einen Vertrag und sie haben ihn angemeldet.« Valdenebro hat schon Bauarbeiter betreut, die an Unterlagen nur einen handschriftlichen Zettel hatten.
Nach dem Besuch bei Valdenebro weiß Daniel etwas mehr. Zum Beispiel, dass seine Kündigung bei Funes nicht sauber war. »Viele wissen nicht, dass eine Kündigung wirkungslos ist, solange sie nicht schriftlich mitgeteilt wird«, hat ihm Valdenebro erklärt. Doch weil Daniel dann nicht mehr zur Arbeit kam, wie sein Chef es ihm gesagt hatte, waren seine Rechte verwirkt. Dennoch will Daniel nicht versuchen, gegen seine ExFirma vorzugehen. Seinen Job dort will er nicht zurück.
»Es bleibt jetzt aber abzuwarten, was die Krankenkasse zu dem Fall sagt«, meint Anwalt Valdenebro. Denn wahrscheinlich hat Daniel zu wenig an Krankenversicherungsbeiträgen bezahlt. Weil er es nicht bes- ser wusste und niemand ein Interesse hatte, ihm die Details zu erklären – im Gegenteil. Es geht für ihn jetzt um die Frage, wer für die Monate seiner Selbstständigkeit aufkommt. Eine Nachzahlung der Krankenversicherung für ein halbes Jahr ist viel Geld, wenn man nicht so gut verdient und zudem eine Familie im Ausland finanziert.
Inzwischen ist Daniel wieder bei der AOK, denn er hat eine neue Arbeit gefunden, diesmal als Schreiner. »Die Firma ist zum Glück sehr anständig und ich fühle mich sehr wohl dort«, sagte er im Januar. Nun versucht er, seine Angelegenheiten zu ordnen. Eine AOK-Mitarbeiterin zeigte sich zunächst verständnisvoll: Es sei kaum zu glauben, sagte sie, dass es Firmen gibt, »die mit ihren Mitarbeitern auf diese Art und Weise umgehen«. Sie kopierte Daniels Dokumente, auch über die drei Versicherungen, und gab das »weiter«. Nun wartet Daniel auf eine Antwort von der AOK.
Die Kasse will ein »Clearingverfahren« einleiten. Es soll geprüft werden, ob die Firma Funes ihn auch von März bis Oktober 2016 hätte fest einstellen müssen – und seine Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung übernehmen. Denn in der Zeit, in der er selbstständig war, hat er allein die unwirksame HanseMerkur-Reiseversicherung bezahlt. Es könnten also noch erhebliche Kosten auf ihn zukommen, weil er nicht Bescheid wusste und – vielleicht gezielt – schlecht beraten wurde.
Daniel versucht nun seinerseits, Geld aus der überflüssigen Reiseversicherung zurückzubekommen, in die er als Selbstständiger eingezahlt hatte, immerhin Hunderte Euro. Eine Mitarbeiterin der HanseMerkur, die wir zusammen im Büro aufsuchen, deutet die Möglichkeit an, dass Daniel Geld zurückbekommt. Alles andere als eine Zusage, aber doch eine Erleichterung. Denn das Chaos beginnt sich zu lichten.
Über Weihnachten war Daniel in Madrid bei der Taufe des Enkels. Er war glücklich mit der Familie. Nun muss er wieder allein essen, allein leben. Er hat Angst, dass seine Familie sich an seine Abwesenheit gewöhnt. Er will sie nach Berlin holen – und irgendwann mit allen nach Rumänien zurück: ein Haus bauen. So schnell wird das wohl nichts werden, aber Daniel ist motiviert: »Ich bin immer der erste auf der Baustelle, weil ich es liebe, mit guter Laune anzufangen«. Er macht das Radio an und kocht Kaffee. Dann wird gearbeitet, bis 17 Uhr, auch samstags für einige Stunden.
Daniel glaubt jetzt wieder an seine Chance in Berlin. Aber er ärgert sich, dass es hier so viele Arbeits- und Obdachlose gibt. Kann ein Staat das nicht verhindern? »Es ist unmenschlich«, sagt Daniel. Dabei ist er harte Zeiten gewöhnt. Vor der Wende in Rumänien lebte er in einem Kinderheim, oft gab es kaum zu essen. Später hatte er keine Arbeit und musste auswandern. Daniel weiß, wie schnell man auf der Straße landen kann. Und jetzt findet er keine bezahlbare Wohnung, in die seine Familie nachkommen könnte.
Wir rufen die Firma Funes an, die nicht viel Wert auf Öffentlichkeit legt. Sie hat nicht einmal eine Webseite, nur ein Büro in Berlin. Dort verweist man auf eine »externe Mitarbeiterin«, die sich um Versicherungen und Verträge kümmere. Wir rufen auch die Firma Klötzer an und werden sogar mit dem namensgebenden Geschäftsführer verbunden. Er wisse nichts von Details, sagt er – und verweist gleichfalls an jene selbstständig arbeitende Frau, die Verwaltungsarbeiten für die Firma erledige. Diese ist telefonisch erreichbar, will aber nicht einmal ihren Namen nennen. Sie bestreitet, dass sie Daniel jene für seine Zwecke nutzlose Reiseversicherung bei der HanseMerkur empfohlen oder vermittelt habe. Sie habe für ihn auch keine Rechnungen geschrieben. Sie mache nur »Buchhaltung für Firmen«.
Die Firma Funes hat Aufträge auf großen Baustellen in Berlin. Ob andere Mitarbeiter dort unter den selben Bedingungen arbeiten wie Daniel Vasile Gaspar, können wir nicht mit Sicherheit sagen.
»Hier in Deutschland läuft es nicht so gut, wie ich mir dachte«, erzählte Daniel beim ersten Treffen vorsichtig. Nach und nach kam dann die ganze Geschichte.