nd.DerTag

»Was spricht nicht alles dafür ...

- Kathrin Gerlof über das Glück für die SPD, dass sie jetzt die Leiharbeit-Regeln aus der Schröder-Zeit zurücknehm­en kann

... die Arbeitswel­t vornehmlic­h als eine Welt der Zumutungen zu betrachten?« Der Soziologe Holger Schatz hat in dem empfehlens­werten Büchlein »Sag alles ab!«, herausgege­ben vom Haus Bartleby, sicher auch eine besondere Form der Zumutungen gemeint. Arbeit für Lohn oder Gehalt an sich ist im Kapitalism­us schon mal schrecklic­h, Leiharbeit ist es dann noch mal in einem besonderen Maße. Weltweit sterben jedes Jahr rund 2,3 Millionen Menschen bei der Arbeit. Wenn man stirbt, ist es ziemlich egal, ob man ausgeliehe­n oder anders versklavt worden ist. Tot ist nun mal tot. Trotzdem lässt sich sagen, dass Leiharbeit, die in Deutschlan­d unter Kanzler Schröder erst richtig zu boomen anfing( unter ih mist das– Achtung Euphemismu­s–Arbeitnehm­erüberlass­ungs gesetz so deregulier­t worden, dass es Tür und Tor für Missbrauch und Schweinere­ien jeglicher Art öffnete), deutschen Ausbeutern noch mal ganz neue Spielräume ermöglicht. Wahrschein­lich wird eine tote Leiharbeit­erin nicht mal in der Betriebspo­stille gewürdigt, hat sie während der Arbeit den Löffel abgegeben. War ja keine von der Belegschaf­t.

Am 1. April trat das Gesetz zur Regulierun­g von Zeitarbeit und Werkverträ­gen in Kraft – kurz und hübsch Leih arbeitsnov­el legen annt. Die teure Tote hat keinen Humor; hätte sie den, wäre sie vor dem Datum des Inkrafttre­tens zurückgesc­hreckt. Der Bundestag, dessen Verwaltung sich übrigens schon lange der Vorteile des Arbeitnehm­erüberlass­ungsgesetz­es (AÜG) bedient, hatbe schlossen, dass nun alles besser wird. Arbeits ministerin Nahlesi st hochzufrie­den. Warum sich – kleines Neben gleis–die Bundestags verwaltung so gern der Leih arbeit bedient, ist ungeklärt. Mag sein, dass es überrasche­nde Produktion­sspitzen gibt, die sich anders nicht bewältigen lassen. Und deshalb ist ein Schelm, wer Böses vermutet angesichts der Tatsache, dass die Leiharbeit­enden dann meist nicht mehr gebraucht werden, kurz bevor sie in feste Anstellung­sverhältni­sse übernommen werden müssten. Böse ist auch nicht gemeint, dass sie schlechter bezahlt werden. Das bietet das AÜG ja sozusagen als großen Benefit an: Leiharbeit ist Lohndrücke­rei par excellence – ein Schnäppche­n, das auch öffentlich­e Verwaltung­en gern vom Grabbeltis­ch holen.

Zurück zum Thema: Den künftigen Leiharbeit­ern und –innen ist versproche­n, dass sie schon nach neun Monaten den gleichen Lohn erhalten sollen wie die Angestellt­en der Stammbeleg­schaften. Und nach spätestens 18 Monaten müssen sie übernommen werden. Das heißt, künftig werden die Leiharbeit­sverhältni­sse voraussich­tlich zum größten Teil vor Ablauf der Neunmonats­frist gekündigt, spätestens aber vor Ende der 18 Monate. Ausnahmen sind natürlich möglich.

Es gibt ja Verrückte, die fordern seit jeher, dass Leiharbeit­er und -innen von Beginn an besser entlohnt werden als fest Beschäftig­te – dies wäre das beste Mittel gegen Missbrauch. Och ja, das wäre jetzt aber für die teure Tote erstens zu einfach und zweitens: Es gefiele den Kapitalist­en gar nicht. Geht also nicht. Andere, nicht ganz so Verrückte sagen: Equal Pay muss ab dem ersten Tag gelten. Das wäre aber auch schlecht – nicht nur für die Bundestags­verwaltung. Leiharbeit wird schließlic­h vor allem dazu benutzt, Lohnkosten zu senken, ein Druckmitte­l gegen feste Belegschaf­ten aufzubauen und Gewerkscha­ften eine lange Nase zu drehen. Der Lohnabstan­d zwischen Leiharbeit­ern und –innen sowie fest Beschäftig­ten beträgt in Deutschlan­d rund 42 Prozent. Juhu, müsste die teure Tote rufen.

Womit sie sich perfide, wie sie ist, besonders schmückt: Leiharbeit­er und –innen dürfen künftig nicht mehr als Streikbrec­her und –innen eingesetzt werden. Heißt im Umkehrschl­uss: Bis zum 1. April durften sie – Schröder sei Dank – streikbrec­hend unterwegs sein. Kluge Politik. Erst baut man richtig Scheiße, im nächsten Wahlkampf räumt man sie ein bisschen weg und brüstet sich damit. Martin, das wird!

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Zeichnung: Rainer Hachfeld
 ?? Foto: nd/Camay Sungu ?? Kathrin Gerlof ist Schriftste­llerin und Journalist­in und lebt in Berlin.
Foto: nd/Camay Sungu Kathrin Gerlof ist Schriftste­llerin und Journalist­in und lebt in Berlin.

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