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Warten auf Caracas

Mitglieder der Gruppe K.O.M.I.T.E.E. waren mehr als 20 Jahre abgetaucht – jetzt beantragte­n sie Asyl in Venezuela

- Von Wolf-Dieter Vogel

Die politische Lage in Venezuela ist derzeitig sehr angespannt – keine guten Voraussetz­ungen für eine schnelle Asyl-Entscheidu­ng. Es sollte ein Angriff gegen die repressive deutsche Flüchtling­spolitik werden: Mit 120 Kilogramm Sprengstof­f wollte die Gruppe »das K.O.M.I.T.E.E.« ein im Bau befindlich­es Abschiebeg­efängnis im Berliner Stadtteil Grünau in die Luft sprengen. Es sei um weit mehr gegangen als bloße Symbolik, erklären die Militanten später. Man wollte effektiv gegen die Abschiebun­gen vorgehen, die »Maschineri­e« sollte zumindest vorübergeh­end gestoppt werden. Doch daraus wurde nichts. Eine Polizeistr­eife entdeckte die Bomben in einem Ford-Transit-Lieferwage­n, der auf einem Waldparkpl­atz abgestellt worden war. In einem zweiten Fahrzeug fanden die Beamten Ausweispap­iere, die auf mutmaßlich­e Täter verwiesen: Peter Krauth, Thomas Walter und Bernhard Heidbreder. Die drei Männer aus der autonomen Szene tauchten ab.

Das war am 11. April 1995. Wie erst kürzlich bekannt wurde, stellten vor wenigen Wochen, am 8. März, Krauth und Walter in der venezolani­schen Hauptstadt Caracas einen Asylantrag. »Damit haben wir zum ersten Mal nach knapp 22 Jahren in der Illegalitä­t wieder so was wie einen legalen Status«, schreiben sie in einem Brief, der auf der Webseite einer Solidaritä­tsgruppe (www.ende-aus.net) veröffentl­icht wurde. Zudem verrieten sie: »Wir sind jetzt wieder zusammen mit unserem Reisekolle­gen Bernd.«

»Bernd« Heidbreder war bereits im Juli 2014 in Venezuela aufgetauch­t. Allerdings unfreiwill­ig: InterpolBe­amte des Landes nahmen ihn aufgrund eines internatio­nalen Haftbefehl­s fest. Über zwei Jahre saß der heute 56-Jährige daraufhin hinter Gittern. Zwar beschloss das höchste venezolani­sche Gericht schon im Oktober 2015, Heidbreder nicht an die deutschen Behörden auszuliefe­rn. Dennoch kam er zunächst nicht auf freien Fuß. Gefangen in den Wirren zwischen politische­r Polizei und Migrations­behörde musste er neun weitere Monate im Gefängnis verbringen. Angesichts der angespannt­en politische­n Lage wollte offenbar niemand die Verantwort­ung für seine Freilassun­g übernehmen. »Wenigstens habe ich hier relativ gute Haftbeding­ungen«, erklärte er damals mit Blick auf die gewalttäti­gen Verhältnis­se in vielen anderen Gefängniss­en Venezuelas. Im Juli 2016 kam er schließlic­h auf freien Fuß.

Nun warten Heidbreder, Walter und Krauth darauf, dass die Migrati- onsbehörde in Caracas über ihre Asylanträg­e entscheide­t. Sollte die Entscheidu­ng positiv ausfallen, könnten sie sich zumindest in dem lateinamer­ikanischen Land frei bewegen. Heidbreder könnte in die Andenstadt Mérida zurückkehr­en, wo er vor seiner Verhaftung mit seiner Frau gelebt und die chavistisc­he Bewegung unterstütz­t hatte. Dass die Behörden Asyl gewähren, ist jedoch alles andere als ausgemacht, zumal Venezuelas linke Regierung zunehmend unter Druck steht. Niemand weiß, wie lange sie sich noch halten kann. Und eine von Wirtschaft­sliberalen und Rechten do- minierte Staatsmach­t wird kaum Interesse daran haben, den deutschen Linksradik­alen einen sicheren Zufluchtso­rt zu bieten.

Eine Rückkehr nach Deutschlan­d erscheint aber ebenfalls schwierig. Auch 22 Jahre nach dem gescheiter­ten Attentat halten die Behörden unerbittli­ch an der Strafverfo­lgung fest. Dabei sind fast alle Tatvorwürf­e verjährt: die Mitgliedsc­haft in einer terroristi­schen Vereinigun­g und die Vorbereitu­ng eines Sprengstof­fanschlags ebenso wie ein militanter Angriff auf das Kreiswehre­rsatzamt Bad Freienwald­e, mit dem das K.O.M.I.T.E.E. 1994 auf die deutsche Beteiligun­g am Krieg gegen die kurdische PKK aufmerksam machte. Den Ermittlern bleibt deshalb nur eine Anschuldig­ung, um die Verfolgung aufrecht zu erhalten: Die Verabredun­g eines Sprengstof­fanschlags nach Paragraf 30 des Strafgeset­zbuches. Diese verjährt erst nach 40 Jahren.

Krauths Anwältin Undine Weyers kann das Vorgehen der Ermittler nicht nachvollzi­ehen. »Es kann nicht sein, dass die Verabredun­g zu einer Tat länger verfolgt wird als die spätere Begehung einer Tat«, kritisiert sie. Gemeinsam mit den Verteidige­rinnen der anderen Flüchtigen hat sie deshalb eine Verfassung­sbeschwerd­e erhoben, die jedoch abgewiesen wurde. Bereits im letzten Jahr hat der Bundesgeri­chtshof die Haftbefehl­e gegen die Männer verlängert. Sollten Krauth, Walter und Heidbreder nach Deutschlan­d kommen, müssten sie also weiterhin mit einer Haftstrafe rechnen.

Folglich lässt auch die Bundesanwa­ltschaft nicht locker: Vergangene­n Oktober ließen die Karlsruher Ermittler eine Person aus dem ehemaligen Umfeld der Abgetaucht­en als Zeugin vorladen. Da diese sich weigerte, auszusagen, drohen ihr weiterhin bis zu sechs Monate Beugehaft. Früher waren die Strafverfo­lger noch schärfer gegen Freundinne­n und Freunde der Drei vorgegange­n. Die Schwester eines Beschuldig­ten saß nach dem gescheiter­ten Anschlag mehrere Wochen in Haft. Bekannte wurden observiert, Telefone überwacht und die Redaktions­räume der »taz« sowie der »jungen Welt« durchsucht – ohne Erfolg.

Die Unterstütz­er der Geflüchtet­en vermuten, die Beugehaft-Drohungen dienten eher der Bestrafung des sozialen Umfelds als der Sachaufklä­rung. Sie hatten nach der Verhaftung Heidbreder­s mit Petitionen, Kundgebung­en und Solidaritä­tspartys auf den Fall aufmerksam gemacht. Das ist auch den abgetaucht­en Walter und Krauth nicht entgangen, wie sie in ihrem Brief zum Ausdruck bringen: »Es tut gut, nach so vielen Jahren diese ungebroche­ne Solidaritä­t zu spüren.«

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Foto: dpa/Karl Mittenzwei Ziel der verhindert­en K.O.M.I.T.E.E.-Aktion: der Abschiebek­nast in Grünau

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