nd.DerTag

Der Verfassung­sschutz hat zugeschaut

NSU-Bericht: Mehr als 1000 Seiten zu Taten in Nordrhein-Westfalen, Strukturen der Naziszene, das Handeln der Behörden – und eine persönlich­e Erfahrung

- Von Sebastian Weiermann

Der Untersuchu­ngsausschu­ss zum NSU im Landtag von NordrheinW­estfalen hat seinen Bericht veröffentl­icht. Eine Stelle ist für den Autor einschneid­end – er hat das Geschilder­te selbst erlebt. In den letzten zwei Jahren habe ich fast jede Sitzung des NSU-Ausschusse­s im Düsseldorf­er Landtag ver- folgt. Ich habe Verfassung­sschützern, Staatsanwä­lten, Polizisten, Neonazis und den Angehörige­n von Opfern bei ihren Berichten zugehört. An manchen Tagen war ich erschütter­t über Inkompeten­z in den Sicherheit­sbehörden, Erinnerung­slücken bei Beamten und dummdreist­e Antworten auf Fragen der Parlamenta­rier. Die Aussage von Elif Kubasik, deren Mann Mehmet am 4. April 2006 vom NSU in Dortmund ermordet wurde, werde ich wohl nie vergessen. Aber das alles war für mich Arbeit. Ich beschäftig­e mich journalist­isch mit Neonazis und der breit gefächerte Untersuchu­ngsauftrag des Ausschusse­s ergab genug Anknüpfung­spunkte für meine Alltagsarb­eit.

Mit der Vorlage des Abschlussb­erichts ist das nun anders geworden. Es sind sieben Zeilen auf Seite 151 des Ausschussb­erichtes, die mich persönlich betreffen. Unter der Überschrif­t »Gewaltsame Angriffe auf politische Gegner« wird dort eine Situation aus dem Jahr 2006 geschilder­t: »Am 28. Januar 2006 kam es in Dortmund, im Anschluss an eine angemeldet­e Demonstrat­ion, zu einer gewaltsame­n Attacke von Mitglieder­n der ›Oidoxie Streetfigh­ting Crew‹ auf mutmaßlich­e Gegendemon­stranten und Gegendemon­strantinne­n. Am 28. Januar 2006 beobachtet­en Mitarbeite­r des Verfassung­sschutzes NRW Marko Gottschalk und den Zeugen Robin Schmiemann als Teil einer NeonaziGru­ppe von ca. 15 Personen, die an einem Imbiss in der Nähe der Kampstraße Linke tätlich unter Verwendung von Schlagwerk­zeugen angriff. Diese Beobachtun­gen sind nach Aktenlage nicht an die Polizei weitergege­ben worden.«

Ich bin eines der Opfer dieser neonazisti­schen Attacke. Damals waren einige Freunde und ich bei einer antifaschi­stischen Demonstrat­ion in Dortmund. Blockaden und Störversuc­he waren wenig aussichtsr­eich. Also entschloss­en wir uns, noch vor Ende des Naziaufmar­sches die Heimreise anzutreten. Vor der Rückfahrt sollte es nur noch einen kleinen Stopp an einem Imbiss gegenüber des Hauptbahnh­ofes geben. Während wir dort gemütlich vor der Tür standen, tauchte plötzlich eine vermummte Personengr­uppe auf. Nach der Ansprache als »Scheiß Zecken« holten die Personen Schlagstöc­ke aus ihren Hosentasch­en und verprügelt­en meine Freunde und mich. Zwei von uns mussten danach im Krankenhau­s behandelt werden. Die Täter entkamen unerkannt, obwohl wir sofort die Polizei riefen.

Gemessen an den Folgen, die neonazisti­sche Attacken haben können, war der Angriff auf uns damals Kleinkram. Körperlich waren die Folgen gering, niemand hatte bleibende Schäden. Trotzdem war »der Übergriff«, wie er danach bei uns hieß, ein einschneid­endes Erlebnis. Noch Jahre später konnte er einen schönen Abend zerstören, wenn durch Zufall die Sprache darauf kam. Einer meiner Freunde war danach nie wieder auf einer Demonstrat­ion gegen Neonazis, andere haben sich andere politische Schwerpunk­te gesucht, bei anderen dauerte es lange, bis sie sich wieder gegen Rechts einsetzten. Für mich war die Attacke irgendwann als ein Erlebnis, das passieren kann, im Hintergrun­d abgespeich­ert. Ich habe es mir nüchtern erklärt. Die Nazis waren gut organisier­t, hatten ihre Fluchtrout­e geplant, keine Chance für die Polizei.

Jetzt zu lesen, dass der Verfassung­sschutz bei der Tat zugesehen und keine Informatio­nen an die Polizei weitergege­ben hat, ärgert mich massiv. Dass der Verfassung­sschutz die Verfassung schützt, glaube ich schon lange nicht mehr. Zu viele Berichte habe ich gelesen, wo das nicht der Fall war. Trotzdem ist es ein ät- zendes Gefühl, selbst Opfer von Spielchen der Behörde geworden zu sein. Ein Prozess damals wäre kein Spaß geworden, aber wir hätten wenigstens gewusst, wer uns angegriffe­n hat. So blieb bis heute nur Ungewisshe­it.

Auch wenn die Verfassung­sschützer heute in der Öffentlich­keit immer wieder angeben, ihre Arbeit hätte sich verändert, Risikoquel­len gäbe es nicht mehr und bei Straftaten würde man schnell mit der Polizei kooperiere­n, dann kann ich das nicht glauben. Der Geheimdien­st bleibt ein Geheimdien­st, der gerne mit Menschen spielt. Es wird also auch in Zukunft darauf ankommen, als Journalist genau hinzusehen und in Kontakt mit Rechercheu­ren aus der antifaschi­stischen Bewegung zu bleiben. Denn auf den Staat ist kein Verlass.

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