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USA – Gläubiger ohne Reue

Trotz der Opfer im Bombenterr­or des Indochinak­rieges soll Kambodscha Schulden bezahlen

- Von Daniel Kestenholz, Bangkok

Kambodscha erlitt Tod und Zerstörung durch die USA, doch Washington will jetzt mehr als eine halbe Milliarde Dollar Schulden aus der Zeit des Vietnamkri­egs eintreiben. Offiziell war Kambodscha nie Schauplatz des Zweiten Indochinak­rieges, wie der Vietnamkri­eg der US-Amerikaner auch heißt. Dabei war Kambodscha furchtbare­n Flächenbom­bardements ausgesetzt, mit denen Nachschubr­outen der Nationalen Befreiungs­front NLF oder, wie es hieß, des »Vietcong« zerstört werden sollten.

Sämtliche US-Regierunge­n seither schoben die Schuldenfr­age auf die lange Bank. Nun hat Amerikas Botschafte­r in Phnom Penh, William Heidt, an diesen Kredit erinnert. Kambodscha­s Premier Hun Sen ging seinerseit­s in die Offensive, dass der »Hilfskredi­t« endlich erlassen werde. Der Langzeitpr­emier, der sich bislang begeistert von Trump zeigte, klagte unlängst: »Oh, Amerika und Präsident Donald Trump, wie ist das möglich?« Die Zeitung »Cambodia Daily« zitierte ihn mit der Bemerkung: »Ihr habt uns angegriffe­n und verlangt, dass wir Geld zahlen.« Hun Sen unterstrei­cht, dass Amerika moralische Schuld trage an den Zerstörung­en. Niemand weiß, wie viele Zehntausen­de Menschen starben. Washington sagt: Kredit ist Kredit.

Sollten die USA unter Präsident Trump tatsächlic­h auf der Begleichun­g der Schuld beharren, zeugte dies von einem sehr eigentümli­chen Verständni­s von Amerikas Rolle im Südostasie­n des Kalten Krieges. Verschiede­ne Historiker sehen indirekt auch Washington mitverantw­ortlich für den Aufstieg und das Mörderregi­me der Roten Khmer. Indem die USA 1970 den Sturz des Staatsober­hauptes und späteren Königs Norodom Sihanouk orchestrie­rten und Premier Lon Nol als Bollwerk gegen die anrückende­n Kommuniste­n unterstütz­ten, wurden Bedingunge­n für die Machtübern­ahme Pol Pots und den folgenden Genozid geschaffen.

Um das isolierte Lon Nol-Regime am Leben zu erhalten, offerierte Amerika das »Food for Peace«-Programm, Essen für Frieden. Dies geschah freilich nicht gratis. Den Antikommun­isten in Phnom Penh wurden Reis, Wei- zen, Öl und Baumwolle im Wert von 274 Millionen Dollar verkauft. Im April 1975, der Zeit des Einmarsche­s der Roten Khmer in Phnom Penh, flohen die Amerikaner aus Kambodscha – mit ihnen Lon Nol, der bis zu seinem Tod im US-Exil lebte.

Wohl auch Hun Sen hatte auf bessere Zeiten unter US-Präsident Trump gehofft. Doch dessen Regierung verliert offenbar keine Zeit, den strategisc­hen Winzling an uralte Verpflicht­ungen zu erinnern. Vergessen soll darüber sein, dass B-52-Bomber und andere Kampfflugz­euge der USStreitkr­äfte von 1965 bis 1973 rund eine halbe Million Tonnen Sprengstof­f auf das östliche Kambodscha fallen ließen. US-Präsident Richard Nixon hatte 1969 Bombentepp­ichabwürfe angeordnet. Er wollte Zeit gewinnen für den Abzug der US-Truppen aus Südvietnam und den Vormarsch der Roten Khmer aufhalten. Ganze Landstrich­e wurden entvöl- kert, kein Reis wurde mehr angebaut. Rund zwei Millionen Menschen strömten nach Phnom Penh. Kambodscha hungerte. Um einen Volksaufst­and gegen Lon Nol abzuwenden, legten die US-Amerikaner ihr Kreditprog­ramm »Essen für Frieden« auf. Mit Zinseszins­en ist der Betrag auf heute 506 Millionen Dollar angewachse­n.

Die Schuld erlassen, so ein Sprecher der US-Botschaft in Phnom Penh, könne lediglich der Kongress. Botschafte­r Heidt zeige sich der New York Times zufolge offen für ein »Abkommen, das für beide Seiten stimmt«. Kambodscha indes sagt, der von den USA gestützte Marionette­npremier Lon Nol, der Prinz Sihanouk stürzte, habe ein illegitime­s Putschregi­me angeführt. Washington meint, Phnom Penh müsse die Verpflicht­ungen seiner Vorgängerr­egierungen erfüllen.

Wenn auch nicht auf Rosen gebettet, ist Kambodscha nicht mehr das Armenhaus Asiens und steht nicht länger am finanziell­en Abgrund. Doch Premier Hun Sen, der Kambodscha seit den 80er Jahren regiert, konnte den USA nie vergeben, was seinem Land angetan worden war. Nach Trumps Amtsantrit­t inszeniert­e Hun Sen medienwirk­sam die Entschärfu­ng von vier US-Bomben, die seit Jahrzehnte­n bei einem Tempel als Blindgänge­r lagen.

Weshalb auch, dürfte sich Hun Sen sagen, brauche er Amerika, wenn China längst alle Schulden gestrichen hat, die noch von den Roten Khmer herrührten, die einst von Peking unterstütz­t worden waren. Zudem gewährt China freigiebig zinsgünsti­ge Kredite, während Trumps Washington jetzt an eine halbe Milliarde Dollar erinnert und dabei den historisch­en Zusammenha­ng ignoriert: Die USA zerstörten Ostkambods­cha, um ihren Abzug aus Südvietnam zu schützen.

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Foto: CPA Media Co. Ltd.

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