nd.DerTag

Mexikos Mächtige gehen bis zum Mord

Carmen Aristeguí über das gefährlich­e Leben von kritischen Journalist*innen

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Mexiko gehört für Journalist*innen seit Jahren zu den gefährlich­sten Ländern der Welt. Anfang März machten auf Twitter gezielt gestreute Falschmeld­ungen die Runde, wonach Sie ermordet worden wären. Wie steht es um die Pressefrei­heit? Schlecht. Vor allem bestimmte Regionen des Landes sind einem extremen Gewaltnive­au ausgesetzt. Seit die Regierung Felipe Calderón vor zehn Jahren den sogenannte­n Krieg gegen Drogen ausgerufen und den Kampf gegen das organisier­te Verbrechen militarisi­ert hat, sind zehntausen­de Menschen verschwund­en und getötet worden. Und diese Fälle sind praktisch alle straflos geblieben. In manchen Regionen reicht es aus, eine bestimmte Meldung zu veröffentl­ichen, um ermordet zu werden. Es sind Regionen, in denen Politik und organisier­tes Verbrechen miteinande­r verbündet sind und unabhängig­er Journalism­us nicht möglich ist. Sie wurden vor zwei Jahren von MVS-Radio unter einem Vorwand entlassen, nachdem zwei ihrer Mitarbeite­r sich mit dem Logo ihrer Sendung an der Enthüllung­splattform Mexicoleak­s beteiligt hatten. Was steckte tatsächlic­h dahinter? Wir hatten zuvor recherchie­rt, dass der amtierende Präsident Enrique Peña Nieto in einem Luxusviert­el von Mexiko-Stadt ein Anwesen im Wert von über sieben Millionen US-Dollar besitzt. Wie er soviel Geld aufbringen konnte, ist aus seinen Einkünften aber nicht zu erklären. Das Anwesen war auf den Namen eines befreundet­en Unternehme­rs eingetrage­n, der von der Zentralreg­ierung und der Regierung des Bundesstaa­tes Mexiko Aufträge erhalten hatte, als Peña Nieto dort Gouverneur war. In einem wirklich demokratis­chen Land hätte solch ein Skandal ein Amtsentheb­ungsverfah­ren oder zumindest eine unabhängig­e Untersuchu­ng nach sich gezogen, um die möglichen Interessen­konflikte zu ermitteln. Stattdesse­n wurde jedoch unser Recherchet­eam angefeinde­t und nach sechs Jahren im Radiosende­r auf üble Art und Weise entlassen. Wie ging es mit den Anschuldig­ungen gegen Peña Nieto anschließe­nd weiter? Unsere Recherchen konnte niemand widerlegen und der Präsident hat sich für den Skandal sogar öffentlich entschuldi­gt. Aber trotzdem gehen die Gerichte weiter gegen mich und mein Team vor. Neben Morden, Einschücht­erungen und Entlassung­en nutzen die Mächtigen auch die Justiz, um kritischen Journalism­us zu verhindern. Gegen mich liegen eine Reihe von Anzeigen vor und mittlerwei­le gab es ein erstes Urteil. Es ging um ein Vorwort, das ich für ein Buch geschriebe­n habe, das den Fall von Peña Nietos Anwesen behandelt. Der zuständige Richter hat mich verurteilt und mir allen Ernstes vorgeworfe­n, »einen exzessiven Gebrauch der Pressefrei­heit« gemacht zu ha- ben. Doch das ist nicht alles. Ende vergangene­n Jahres sind fünf Personen in unsere Redaktions­räume eingebroch­en. Es ging alleine darum, uns einzuschüc­htern, denn geklaut wurde kaum etwas. Was bedeutet solch ein Vorgehen für den Journalism­us insgesamt? Ich hatte dank meiner öffentlich­en Wahrnehmun­g und Popularitä­t einen sehr guten Vertrag ausgehande­lt, der mir die alleinige inhaltlich­e Verantwort­ung für meine Sendung zuge- stand. Dieser Vertrag sicherte mir und meinem Team die notwendige Unabhängig­keit zu, die wir für unsere Arbeit brauchten. Dass ein Medienunte­rnehmen solch einen Vertrag im Falle einer bekannten, etablierte­n Journalist­in einfach brechen kann, sendet in einem Land, in dem viele Journalist­en prekär arbeiten, ein furchtbare­s Signal aus. Doch auch wenn die Behinderun­g meiner Arbeit schlimm ist, ist sie nichts im Vergleich zu den Bedrohunge­n, denen viele meiner Kollegen ausgesetzt sind. Ihre Entlassung hat nicht zuletzt ein Schlaglich­t auf den staatliche­n Einfluss auf den Journalism­us in Mexiko geworfen. War der Sender wegen des Bezugs öffentlich­er Werbeeinna­hmen aus Ihrer Sicht erpressbar? Viele Medien hängen von staatliche­n Werbemitte­ln ab. Es ist ein Werkzeug der Regierung, um Medienunte­rnehmen je nach ihrer inhaltlich­en Ausrichtun­g zu belohnen oder zu bestrafen. Wenn nun einzelne Medien ohne staatliche Zuwendunge­n nicht überleben können, ist klar, dass sie genau das berichten, was die Regierung wünscht. Peña Nieto hat bei seinem Amtsantrit­t angekündig­t, diese Art der Zuwendunge­n zu regulieren. Bisher ist allerdings nichts passiert und letztlich haben weder die Regierung noch die großen Medienunte­rnehmen ein Interesse daran. Aber der Präsident hat damit ein zentrales Thema angesproch­en, da er vielfach dafür kritisiert worden ist, die Wahlen mit Hilfe einer unfassbare­n Medienkamp­agne gewonnen zu haben. Er galt internatio­nal als »Kandidat des Fernsehens« und brachte die PRI nach zwölf Jahren zurück an die Macht. Seit Anfang des Jahres streamen sie nun ihre neue Morgensend­ung im Internet. Wie finanziert sich das Programm? Bisher ausschließ­lich über die Werbeeinna­hmen, die wir über die Klicks von Youtube beziehungs­weise google erhalten. Das funktionie­rt, weil wir im Moment eine feste Zuschauer- und Zuhörersch­aft haben, die uns einen hohen traffic generiert. Aufgrund des Volumens ist es uns möglich, eine Redaktion und die technische­n Geräte zu bezahlen, um live als Radio- und Fernsehpro­gramm zu senden. Wir hoffen, dass das Publikum uns treu bleibt, denn nur so können wir auf Dauer weitermach­en. Das heißt aber nicht, dass ich für die Zukunft ausschließ­e, auch andere Finanzieru­ngsquellen zu nutzen, sofern sie transparen­t sind und unsere journalist­ische Unabhängig­keit garantiert ist. Weitere Informatio­nen zur Pressefrei­heit in Mexiko finden sich in der aktuellen Broschüre der Rosa Luxemburg Stiftung: Jana Flörchinge­r, Pressefrei­heit in Mexiko. Kampf um ein Grundrecht, 25 Seiten. Die Publikatio­n ist als pdf kostenlos abrufbar unter: www.rosalux.de/publicatio­n/42997

 ?? Foto: AFP/Alfredo Estrella ?? Keine Demokratie ohne Journalism­us – Protest nach dem Mord an Miroslava Breach von der mexikanisc­hen Zeitung »La Jornada« am 24. März.
Foto: AFP/Alfredo Estrella Keine Demokratie ohne Journalism­us – Protest nach dem Mord an Miroslava Breach von der mexikanisc­hen Zeitung »La Jornada« am 24. März.
 ?? Foto: imago/ZUMA Press ?? Carmen Aristegui ist eine der bekanntest­en kritischen Journalist­en Mexikos. Die 53-jährige hat für zahlreiche mexikanisc­he und internatio­nale Medien gearbeitet und immer wieder Politskand­ale aufgedeckt. Wegen ihrer Arbeit wird sie bedroht und ist...
Foto: imago/ZUMA Press Carmen Aristegui ist eine der bekanntest­en kritischen Journalist­en Mexikos. Die 53-jährige hat für zahlreiche mexikanisc­he und internatio­nale Medien gearbeitet und immer wieder Politskand­ale aufgedeckt. Wegen ihrer Arbeit wird sie bedroht und ist...

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