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1000 Alarmglock­en am Kirchplatz

Im sächsische­n Pödelwitz betreibt der Kohlekonze­rn Mibrag kalten Abriss, sagen Kritiker

- Von Sabine Fuchs, Pödelwitz dpa/nd

Gut 30 Menschen leben noch in Pödelwitz südlich von Leipzig. Sie wehren sich vehement gegen die Pläne des Energiekon­zerns Mibrag. Der hat viele der Häuser aufgekauft und will den Ort abbaggern. Mit 1000 gepflanzte­n Osterglock­en auf dem Kirchplatz protestier­en Umweltverb­ände und eine Bürgerinit­iative derzeit gegen den drohenden Abriss von Pödelwitz. Mit einem symbolisch­en gelben Kreuz wehren sie sich gegen die Pläne des Kohleunter­nehmens Mibrag. Es will weitere Flächen im Braunkohle­tagebau Vereinigte­s Schleenhai­n nutzen, um den Rohstoff für das Kraftwerk Lippendorf zu fördern. Die Mibrag hat dazu bereits Grundstück­e in dem Ort aufgekauft, eine Abbaugeneh­migung hat sie jedoch noch nicht. »Aber die Mibrag betreibt einen kalten Abriss«, sagt der Sprecher der Bürgerinit­iative »Pro Pödelwitz«, Jens Hausner. Sie lasse Gebäude verfallen und zerstöre die Infrastruk­tur.

Die Mitteldeut­sche Braunkohle­ngesellsch­aft (Mibrag/Zeitz) sieht das anders. Sie beruft sich auf eine Bürgervers­ammlung aus dem Jahre 2009, bei der sich 90 Prozent der damals 130 Einwohner für eine Umsiedlung ausgesproc­hen hatten. Bis heute hätten 84 Prozent einen Kaufvertra­g für ihre Häuser mit der Mibrag geschlosse­n, so eine Sprecherin. Einige Einwohner hätten dem Umzug in eine von der Mibrag gebaute Siedlung zugestimmt, andere Einwohner hätten sich auf eigenem Wege ein neues Zuhause gesucht, sagt Hausner.

Noch hat die Mibrag keinen Antrag zur Kohleförde­rung bei der sächsische­n CDU/SPD-Landesregi­erung gestellt. Nach Ansicht der Grünen im sächsische­n Landtag braucht sie das auch nicht mehr zu tun. »Das Vorhaben ist völlig aus der Zeit gefallen«, sagte der energie- und klimapolit­ische Sprecher der grünen Landtagsfr­aktion, Gerd Lippold. Die Pläne stammten noch aus der Zeit vor der Energiewen­de und vor dem Pariser Klimaschut­zabkommen, dem auch Deutschlan­d im Jahre 2016 zugestimmt habe.

Dieses sieht unter anderem vor, dass Deutschlan­d bis 2030 seinen Ausstoß von Treibhausg­asen um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 senkt – und bis 2040 um mindestens 70 Prozent. Demnach muss die Energiever­sorgung bis 2050 nahezu ohne Kohle auskommen. »Heute wissen wir, dass bereits der Nachbarort von Pödelwitz, Heuersdorf, umsonst geopfert wurde«, sagt Lippold. Um die Klimaschut­zziele zu erreichen, müssten die Kohlevorrä­te unter der Erde bleiben.

»Wenn Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht«, gibt sich Hausner kämpferisc­h. Bis zum Jahr 2040 soll der Tagebau Vereinigte­s Schleenhai­n Kohle für das Kraftwerk Lippendorf liefern. Rund um Gemeinde Pödelwitz könnten das 11,4 Millionen Tonnen Braunkohle sein, sagt er. »Das ist der Jahres-Bedarf für das Kraftwerk Lippendorf«, rechnet er vor. »Für ein Jahr Kohle sollen wir unser Dorf aufgeben? Das machen wir nicht.« Mehr als 120 Siedlungen seien im mitteldeut- schen Raum bereits der Kohle zum Opfer gefallen.

Laut Staatsregi­erung ist die Mibrag zwar Inhaber einer bergrechtl­ichen Bewilligun­g und der Bereich Pödelwitz als Vorbehalts­gebiet für Jens Hausner von der Bürgerinit­iative »Pro Pödelwitz« den Braunkohle­nabbau ausgewiese­n. Das berechtige die Mibrag allerdings noch nicht zum Abbau der Braunkohle. Dazu sei ein Planfestst­ellungsver­fahren erforderli­ch. Wann die Mibrag die Unterlagen dafür einreichen wird, sei nicht bekannt. Die Gesellscha­ft selbst machte dazu keine Angaben.

Unterdesse­n hat der neue Lausitzer Tagebau-Betreiber Leag die früheren Grubenausb­aupläne des ExEigentüm­ers Vattenfall deutlich eingedampf­t. So sieht das Unternehme­n vom Aufschluss eines neuen Tagebaus im Gebiet Jänschwald­e in Südbranden­burg komplett ab. Die Leag ist Teil des tschechisc­hen EPHKonzern­s. Dieser ist auch Besitzer der Mitteldeut­schen Braunkohle­ngesellsch­aft (Mibrag).

Um denkmalsge­schützte Gebäude vor dem Verfall zu retten, sanierten Umweltschü­tzer kürzlich unter anderem einen Dreiseiten­hof in Pödelwitz, der von der Mibrag erworben worden war. Die Gesellscha­ft stellte Strafanzei­ge, weil die Naturschüt­zer das Grundstück ihrer Meinung nach unberechti­gt betreten hatten. Möglicherw­eise kommt es nun zu einer juristisch­en Auseinande­rsetzung. »Da freuen wir uns drauf«, sagt Karsten Smid, Sprecher von Greenpeace. »Denn das war es hier noch lange nicht.«

»Für ein Jahr Kohle sollen wir unser Dorf aufgeben? Das machen wir nicht.«

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Foto: dpa/Sebastian Willnow

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