Sicherheitsrat berät über Giftgasvorfall
Russland lehnt Resolutionsentwurf gegen Syrien als voreingenommen ab
New York. Der UNO-Sicherheitsrat in New York ist am Mittwoch zu einer Dringlichkeitssitzung wegen der Berichte über einen Giftgasangriff in Syrien zusammengetreten. Frankreich, Großbritannien und die USA wollten einen Resolutionsentwurf zur Abstimmung vorlegen, in dem der Angriff verurteilt und eine baldige Untersuchung verlangt wird. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, bezeichnete den Resolutionsentwurf als »antisyrisch« und »grundsätzlich unannehmbar«. Der Text greife den Ergebnissen von Ermittlungen voraus und benenne schon jetzt »die Schuldigen«, kritisierte sie.
Auch Iran beanstandete nicht erwiesene Schuldzuweisungen an Syrien. Solche Politik verhindere die von allen Seiten gewollte politische Lösung in Syrien, sagte Außenamtssprecher Bahram Ghassemi. Nach jüngsten Angaben waren in der nordwestsyrischen Stadt Chan Scheichun am Dienstag durch Giftgas mindestens 72 Menschen getötet worden.
Frankreich und Großbritannien bereiten eine UN-Resolution gegen Syrien vor – wegen des Einsatzes von Giftgas. Außenminister Gabriel hält dies noch nicht für erwiesen.
Die Wogen um die Giftgas-Katastrophe vom Dienstag in der von Rebellen kontrollierten Stadt Chan Scheichun in der nordwestsyrischen Provinz Idlib schlagen weiter hoch. Die westlichen Staaten und die syrische Opposition beschuldigen die syrische Armee direkt des Einsatzes eines geächteten Giftgases. Damaskus bestreitet das vehement. Schlüssige Fakten gibt es weder für die eine noch die andere Version. Die Zahl der Todesopfer wird von den Rebellen mit 72 angegeben, darunter 17 Kinder. Dazu kommen über 200 Verletzte.
Russland, das auf Seiten der Regierung am innersyrischen Krieg beteiligt ist, hat inzwischen eine recht detaillierte Erklärung dazu abgegeben. Laut Armeesprecher Igor Kona- schenkow habe die syrische Luftwaffe in der Nähe von Chan Scheichun »am Dienstag zwischen 11.30 und 12.30 Uhr Ortszeit einen Schlag auf ein großes Munitionslager der Terroristen geflogen, in dem Giftstoffe und Militärtechnik deponiert waren«.
Von diesem Depot aus sollen die Dschihadisten von der Fatah aschScham (vormals Nusra-Front) bereits C-Waffen nach Irak transportiert haben. Zudem sollen sich dort laut Konaschenkow Werkstätten zur Produktion von Giftstoffen befunden haben. Mit Giftgas gefüllte Geschosse hätten die Dschihadisten bereits im Kampf um Aleppo eingesetzt. Fatah asch-Scham hat kein Waffenstillstands-Abkommen mit der Regierung unterzeichnet und wird auch von den US-geführten antidschihadistischen Milizen attackiert. Insofern war der syrische Luftangriff kein Verstoß gegen das Abkommen.
Die syrische Auslandsopposition weist die russisch-syrischen Erklärungen komplett zurück. Die in Is- tanbul ansässige Syrische Nationale Koalition spricht weiter von einem Massaker in Chan Scheichun, für welches sie die syrische Regierung verantwortlich macht. Die Aussage des russischen Militärsprechers nennt der Vizepräsident des Oppositionsbündnisses, Abd al-Hakim Baschar, eine Lüge.
Die Vereinten Nationen hatten bereits am Dienstag eine Untersuchung angekündigt. Der UN-Sicherheitsrat wollte am Mittwoch auf Antrag Frankreichs und Großbritanniens zu einer Dringlichkeitssitzung zusammenkommen.
Außenminister Sigmar Gabriel machte am Mittwoch mit unterschiedlichen Aussagen zur Sache von sich reden. In Brüssel erklärte er gegenüber dpa am Nachmittag, er halte es noch nicht für erwiesen, dass syrische Regierungstruppen mit Giftgas angegriffen hätten: »Noch wissen wir nicht, wer letztlich für den Giftgasangriff verantwortlich ist. Wir müssen jetzt in die Aufklärungsarbeit gehen.« Am Vormittag klang das noch anders. Da hatte es aus dem Auswärtigen Amt geheißen, »der Giftgasangriff in Syrien ist ein barbarisches Kriegsverbrechen. Die Verantwortlichen des Assad-Regimes für diese Barbarei müssen zur Verantwortung gezogen werden.«
Deutschlands westliche Verbündete scheinen derlei Zweifel nicht zu plagen. Frankreichs Außenminister Jean-Marc Ayrault war schon am Dienstag einmal mehr vorgeprescht und hatte einen Giftgas-Angriff aus der Luft und damit ein Kriegsverbrechen durch die Armee von Präsident Baschar al-Assad als erwiesen verkündet. Der Londoner Kollege Boris Johnson schloss sich an, indem er erklärte: »Das trägt alle Anzeichen eines Angriffs durch das Regime, das wiederholt chemische Waffen eingesetzt hat.«
US-Außenminister Rex Tillerson gab erneut Rätsel über die Syrien-Linie der US-Administration auf. Vorige Woche hatte er erklärt: »Der langfristige Status von Präsident Assad wird von den Syrern bestimmt.« Jetzt verlangt er Sanktionen gegen Assad. »Die Unterstützer Assads«, so Tillerson am Dienstag in Washington, »sollten sich keinerlei Illusionen über ihn oder seine Absichten hingeben.« Und weiter in Richtung Moskau: »Als die selbst ernannten Garanten des Waffenstillstandsabkommens von Astana tragen Iran und Russland große moralische Verantwortung für diese Toten.«
Erst Stunden nach diesen Äußerungen gab es eine erste Mitteilung der Organisation für ein Verbot der Chemiewaffen mit Sitz in Den Haag. Deren Experten, so hieß es vorsichtig, sammelten und analysierten zur Zeit alle verfügbaren Informationen.
Eine westliche Geberkonferenz, die am Mittwoch tagte, hält deutlich weniger von dieser abwartenden Position. Dort versprach man zwar Milliarden. Allein Deutschland will laut Gabriel 1,169 Milliarden Euro für die Opfer des syrischen Bürgerkriegs zur Verfügung stellen. All dies gelte aber erst für die Zeit nach dem Sturz Assads.