Türkei fordert lange Haftstrafen für Journalisten
Ankara übergab Bundesregierung neue Liste mit Erdogan-Gegnern
Berlin. Fünf Monate nach der Inhaftierung von 19 Journalisten und Mitarbeitern der regierungskritischen Zeitung »Cumhuriyet« hat die türkische Staatsanwaltschaft am Dienstag die Anklageschrift vorgelegt und lange Haftstrafen gefordert. Sie bezichtigt sie, seit 2013 unter Kontrolle des islamischen Predigers Fethullah Gülen zu stehen, der in der Türkei für den gescheiterten Militärputsch vom 15. Juli 2016 verantwortlich gemacht wird. Zugleich wird der Zeitung vorgeworfen, mit der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und linksradikalen Gruppen zu kooperieren. »Cumhuriyet« hat die Vorwürfe stets zurückgewiesen.
Die Bundesregierung hat am Mittwoch weitere konsularische Betreuung für den in der Türkei inhaftierten Journalisten Deniz Yücel verlangt. Wie »Die Zeit« berichtet, habe Ankara ein zweites Dossier mit Angaben über angebliche Regimegegner an Berlin übergeben.
Fünf Monate nach der Inhaftierung von Journalisten der regierungskritischen Zeitung »Cumhuriyet« hat die türkische Staatsanwaltschaft jetzt die Anklageschrift vorgelegt.
Die türkische Staatsanwaltschaft fordert bis zu 43 Jahren Haft für 19 Journalisten der Zeitung »Cumhuriyet« (Die Republik). Zehn von ihnen befinden sich bereits seit fünf Monaten in Untersuchungshaft, ein Kollege seit über drei Monaten. Ehe die Anklageschrift den Anwälten der Angeklagten mitgeteilt wurde, ging sie an die regierungsnahe Zeitung »Sabah« (Der Morgen). Diese setzte die Bilder einiger der Angeklagten in einen Balken und wählte als Überschrift: »Sie haben Atatürks Zeitung zur Sprecherin des Terrors gemacht«. Kein Vorbehalt der Unschuldsvermutung und schon gar kein Anzeichen der Solidarität mit den angeklagten Kollegen.
Das war von »Sabah« und anderen Erdogan nahen Medien auch kaum zu erwarten. Die Zeitung gehört zur Mediengruppe Turkuvaz, an deren Spitze Serhat Albayrak steht, der wiederum ein Schwiegersohn von Recep Tayyip Erdogan ist. Der türki- sche Präsident ist höchstselbst als Nebenkläger gegen den einstigen Cumhuriyet-Chefredakteur Can Dündar aufgetreten. Zuvor hatte er im Fernsehen eine schwere Bestrafung Dündars nicht nur gefordert, sondern auch gleich vorausgesagt. Dündar hält sich derzeit in Deutschland auf. An einen fairen Prozess in der Türkei glaubt er nicht.
»Cumhuriyet« ist tatsächlich so etwas wie die Zeitung Atatürks. 1924 von einem ihm nahestehenden Journalisten gegründet, war sie gewissermaßen das Sprachrohr für Atatürks Reformpolitik. Auch in späteren Jahren galt sie immer als Bannerträgerin der laizistischen Staatsauffassung von Atatürk. Um so absurder ist nun die Anklage, der eine Reihe ihrer Kolumnisten und ehemaligen Chefredakteure ausgesetzt sind. Sie sollen die in der Türkei mit dem Kürzel FETÖ bezeichnete »Fethullah Gülen Terrororganisation« unterstützt haben. Denn wenn eine Zeitung jahrzehntelang vor den Umtrieben des heute in den USA lebenden pensionierten Predigers Gülen gewarnt hat, dann war das die »Cumhuriyet«.
Der heute als FETÖ-Unterstützer inhaftierte Journalist Ahmet Sik et- wa hat einst ein Buch geschrieben, in dem er behauptete, die Gülen-Leute würden den Polizeiapparat unterwandern und falsche Anklagen gegen politische Gegner produzieren. Der damalige Regierungschef und heutige Staatspräsident Erdogan sagte damals, das heißt im Jahr 2011, über das Buch von Sik »Es gibt Bü- cher, die sind gefährlicher als Bomben«. Das Manuskript wurde in der Druckerei beschlagnahmt und Sik wanderte für ein Jahr in Untersuchungshaft. Doch seitdem sich Erdogan und Gülen in der Folgezeit überworfen haben, gilt alles, was Sik geschrieben hat, als Wahrheit – nur der Autor sitzt erneut in Untersuchungshaft.
All diese Widersprüche machen der Staatsanwaltschaft wenig Kopfzerbrechen. Im Jahr 2013 soll die Zeitung plötzlich unter den Einfluss der vorher von ihr bekämpften GülenLeute und dann auch noch der kurdischen Arbeiterpartei PKK und der maoistischen DHKP-C gekommen sein. Unter dem Mantel der Pressefreiheit und des internationalen Rechts habe die Zeitung Erdogan schwer beschuldigt und so einen »asymmetrischen Krieg« gegen die türkische Regierung und den Präsidenten geführt. Die unter den genannten Anklagepunkte mögliche Mindeststrafe beträgt 7,5 Jahre, die höchste 43 Jahre Gefängnis. Die Anklageschrift muss noch vom Gericht akzeptiert werden, was aber zu erwarten ist.
Der zweite Generalsekretär der Republikanischen Volkspartei (CHP), Bülent Tezcan, warf der Staatsanwaltschaft vor, Methoden zu gebrauchen, die früher auch die Gülen-Leute angewendet hätten. Dazu gehöre auch, dass zunächst gewisse Medien die Klageschrift zugespielt bekämen, ehe sie die Anwälte der Angeklagten gesehen hätten. So wolle man in der Öffentlichkeit eine Vorverurteilung herbeiführen.
»Wie kann ein Staatsanwalt über die redaktionelle Politik einer Zeitung urteilen?« Can Dündar, verurteilter früherer Chefredakteur von »Cumhuriyet«