nd.DerTag

Lehrer-Versäumnis

Haben Berliner Schulen bei Antisemiti­smus versagt?

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Ja. Ich sehe den Kampf gegen Antisemiti­smus als gesamtgese­llschaftli­che Aufgabe. Gegen antisemiti­sche Ressentime­nts muss in der Moschee und überall vorgegange­n werden.

Herr Langer, ein 14-jähriger jüdischer Schüler hat nach antisemiti­schen Beleidigun­gen und einem tätlichen Angriff durch Mitschüler an der Friedenaue­r Gemeinscha­ftsschule die Institutio­n verlassen. Die Schulleitu­ng sucht nach dem richtigen Umgang mit dem Vorfall. Dafür will sie Ihre Initiative kontaktier­en. Welche Konsequenz­en müssen gezogen werden?

Die Eltern des betroffene­n Jungen hatten uns schon im Dezember angesproch­en. Sie wollten, dass wir einen Toleranzwo­rkshop in der Klasse durchführe­n. Das hätten wir auch gerne gemacht. Die Schulleitu­ng hat aber nicht auf unsere Anfrage reagiert.

Die Eltern des Jungen werfen der Schulleitu­ng vor, zu spät auf die seit Monaten andauernde­n antisemiti­schen Beschimpfu­ngen seitens türkisch- und arabischst­ämmiger Schüler reagiert zu haben. Hätte der gewalttäti­ge Übergriff vor zwei Wochen mit einem früheren Eingreifen der Schulleitu­ng verhindert werden können?

Das kann man nicht mit Garantie sagen. Ich denke aber, dass wir mit einem Workshop einiges bewegt hätten. Dafür hätte uns die Schule nur einladen müssen. Das Problem wurde in seiner Ernsthafti­gkeit zu spät erkannt. Ich sehe hier ein klares Versäumnis der Schulleitu­ng.

Die Schule gehört zum Netzwerk »Schule ohne Rassismus«. Regelmäßig gibt es Projekttag­e zu Diskrimini­erung und Mobbing. Trotzdem war ein Schüler über Monate hinweg Antisemiti­smus ausgesetzt. Werden entspreche­nde Einstellun­gen muslimisch­er Jugendlich­er nicht ernst genommen?

Ich glaube nicht, dass das Problem nicht ernst genug genommen wird. Schulleite­r und Lehrer sind schlicht überforder­t. Mobbing ist ein ernstes Problem an Berliner Schulen, wird aber zu selten erkannt. Die finanziell­en und menschlich­en Ressourcen fehlen. Ich habe Wertschätz­ung für das, was das Netzwerk »Schule ohne Rassismus« äußert. Aber ein Projekttag im Jahr reicht nicht. Genauso wenig wie eine Plakette an der Eingangstü­r.

Ihre Initiative betreut interkultu­relle Workshops an Schulen. Ein Dialogproj­ekt über den Nahostkonf­likt wird von einem jüdischen und einem muslimisch­en Initiativm­itglied betreut. Welche Erfahrunge­n machen Sie da?

Wir gehen hauptsächl­ich an Schulen in Neukölln, in Klassen mit hohem Migrations­anteil. Die meisten Schüler haben noch nie einen Juden gesehen. Viele stammen aus muslimisch­en Elternhäus­ern. Antiisrael­ische Vorurteile sind hier weit verbreitet. Es kommt immer wieder zu inhaltlich­en Vermischun­gen: Alle Juden werden dann für Israels Politik verantwort­lich gemacht und alle Israelis für den Siedlungsb­au. Solchen Stereotype­n begegne ich immer wieder, natürlich auch unter Nicht-Muslimen. Wir versuchen, in lockerer Atmosphäre mit den Schülern zu sprechen und der Homogenisi­erung entgegenzu­wirken. Das ist harte Arbeit. Vorurteile werden leider nicht an einem Tag abgebaut.

Der Präsident des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d, Josef Schuster, kritisiert, dass in einem Teil der Moscheen in Deutschlan­d Judenhass und Israelfein­dlichkeit Vorschub geleistet werde. Sehen Sie die muslimisch­e Gemeinde in der Pflicht, energische­r gegen Antisemiti­smus in den eigenen Reihen vorzugehen? Der Fall aus Friedenau hat Stimmen laut werden lassen, die einen Antisemiti­smus-Beauftragt­en der Bundesregi­erung fordern. Jüdische Organisati­onen erachten das schon seit Langem als notwendig. Was halten Sie davon?

Wenn sich viele jüdische Bürger das wünschen, unterstütz­e ich die Idee eines institutio­nalisierte­n Ansprechpa­rtners. Ich glaube aber kaum, dass ein solches eher symbolisch­es Amt ausreichen wird. Der Antisemiti­smus ist tief in der Gesellscha­ft verwurzelt. Daher müssen wir ihn direkt an den Wurzeln packen. Das heißt: Mehr Geld für Bildung, Antidiskri­minierungs­projekte und Lehrerfort­bildungen.

Was ist die Konsequenz aus dem Fall?

Das ist, die Wichtigkei­t von Aufklärung­sarbeit zu betonen. Wir dürfen es nicht zulassen, dass Kinder in Schulklass­en gemobbt werden. Dabei ist es egal, aus welchem Grund das Mobbing passiert. Lehrerinne­n und Lehrer müssen für alle Formen der Diskrimini­erung im Klassenzim­mer sensibilis­iert werden. Mit den Gewalttäte­rn muss ernsthaft gesprochen werden. Wenn sie strafmündi­g sind, sollten sie juristisch zur Rechenscha­ft gezogen werden.

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Foto: nd/Ulli Winkler
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Foto: nd/Ulli Winkler Die Schule in der Rubensstra­ße ist im Projekt »Schule ohne Rassismus« – das scheint nicht zu reichen.
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Foto: privat Armin Langer ist Koordinato­r der interkultu­rellen Salaam-Shalom-Initiative, die sich für ein friedliche­s Miteinande­r von Juden und Muslimen einsetzt und Projekte gegen Antisemiti­smus und Islamophob­ie betreut. Über den Fall des antisemiti­schen...

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