Europa retten, indem wir es ändern
Jan Korte gibt die EU nicht auf und unterstützt alle, die für die linke Idee eines geeinten Kontinents auf die Straße gehen
Ich gehöre zu einer Generation, die wie selbstverständlich mit und in Europa groß geworden ist. Mit 18 hatte ich das große Glück und Privileg, das Großartige an Europa zu erleben: Im Sommer ging es mit Freunden und Rucksäcken wochenlang kreuz und quer durch Europa. Man erfuhr etwas über die Sorgen, Nöte und politischen Kämpfe, aber eben auch über die Freuden, in diesem oder jenem Land Europas zu leben. Die positiven Assoziationen zu Europa, Freizügigkeit, Internationalität und die Absage an den elenden Nationalismus sind auch der Grund, warum derzeit erfreulich viele junge Menschen für dieses Europa auf die Straße gehen und es gegen den Angriff von Rechts verteidigen: Den der Brexit-Betreiber, des ungarischen Premiers Viktor Orban, der Regierungspartei PiS in Polen, Frankreichs rechter Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen, der deutschen AfD und CSU sowie der weiteren Egoisten, denen es eben um das Gegenteil geht: um Abschottung, Mauern und Nationalismus.
Richtig ist aber auch, dass meine Interrailfreunde im Süden heute von einer gigantischen Arbeitslosigkeit betroffen sind. Gemeinsame politische Projekte der Europäischen Union beschränken sich auf Abschottung nach außen und Überwachung nach innen. Sie hat sich den Konzernen und Interessen des großen Geldes unterworfen. Aber: Das geschieht doch vor allem auf Druck von Deutschland. Die größten EuropaZerstörer sind Angela Merkel und Wolfgang Schäuble mit ihrer Aufrüstung, mit ihren sozialen Verwüstungen in Griechenland und ihrem Kommandoton. Sie sind mitverantwortlich für die größte Krise, in die Europa seit Beginn seines Bestehens gebracht wurde.
Die Aufgabe der Linken ist es, Europa besser, menschlicher und demokratischer zu machen. Und über allem steht die soziale Frage. Die Gründe für die große Zustimmung von Arbeitern zum Brexit liegen mehr bei den von Thatcher und Blair verursachten sozialen Verwerfungen, der Arbeiterentrechtung oder der Privatisierung und weniger bei der EU. Und auch in Deutschland hat nicht die EU die Agenda 2010 durchgesetzt, sondern SPD und Grüne mit Flankierung der Konservativen. Aber es war der Wille der Regierungen, allen voran der Bundesregierungen Gerhard Schröder und Angela Merkel, das neoliberale Grundprinzip in Europa ebenfalls durchzusetzen. Das Recht des Stärkeren, die Entsolidarisierung, die falsche Prioritätensetzung zwischen Mensch und Wirtschaft, eine im Alltag lästige Demokratie, die nur in Sonntagsreden hochgelebt wird.
Was wir mit Europa haben könnten, finden wir in Artikel 2 des EUVertrags: »Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.«
Im Moment ist es allerdings schon ein Kampf, die positiven Errungenschaften der EU, bei all ihren Schwächen, gegen Rechts zu verteidigen, obwohl wir als Linke natürlich weit darüber hinauswollen. Aber so ist nun mal gerade die Kampflinie in Europa. Neustarts und Neugründungen der EU sind mit den Regierungen in Polen und Ungarn, um nur zwei Beispiele zu nennen, nicht zu machen. Kleinere Schritte, wie zum Beispiel Schäuble als Bundesfinanzminister in Rente zu schicken, schon.
Die Idee eines sozialen, friedlichen und solidarischen Europas ohne Stacheldraht ist eine im Kern linke Idee. Wer sich dafür einsetzt und auf die Straße geht, wie privilegiert oder benachteiligt er oder sie auch sein mag, hat offenbar eine Peilung dafür, was gerade passiert. Die Gegenseite ist die politische Rechte, die mehrfach bewiesen hat, dass sie dieses Europa nicht will.
Ein Europa, das seine eigenen Werte lebt, wäre zum Vorteil sowohl derer, die innerhalb seiner Grenzen leben und arbeiten, als auch derer, die faire Wirtschaftsbeziehungen erwarten oder Schutz vor Verfolgung suchen. Wir sollten dafür kämpfen, dass alle Menschen positive Erfahrungen mit Europa und seinen Bewohner*innen verbinden, nicht nur kulturell und touristisch, wie ich sie mit 18 Jahren machen durfte, sondern vor allem im Alltag.