nd.DerTag

Weggesperr­t

Frankreich­s Gefängniss­e werden Wahlkampft­hema

- Von Bernard Schmid, Paris

Drei Wochen vor der Präsidents­chaftswahl, bei der mehrere Kandidaten die Verstärkun­g von Polizei und Justiz fordern, verliert die französisc­he Regierung einen hohen Justizbeam­ten in einem »sensiblen« Bereich. Nach nur einem halben Jahr im Amt erklärte Philippe Galli, Direktor der zentralen Gefängnisv­erwaltung, seinen Rücktritt. Begründung: unüberbrüc­kbare Differenze­n mit dem rechtssozi­aldemokrat­ischen Justizmini­ster Jean-Jacques Urvoas.

Urvoas nahm Gallis Rücktritt an. Dieser hatte sich darüber beklagt, keinen Einfluss auf die realen Entscheidu­ngen zu haben. Im Hintergrun­d dürfte ein Thema eine Rolle gespielt haben, für das Frankreich wiederholt durch NGOs und die »Kommission zur Vorbeugung von Folter« des Europarats gerügt worden war: die Überbelegu­ng der Haftanstal­ten. Sozialarbe­iter warnen, fehlende Unterstütz­ung für junge Insassen mache die Gefängniss­e zu einer Brutstätte für radikalen Islamismus.

Die Regierunge­n der letzten 15 Jahre setzten vor allem auf spektakulä­re Zahlen, um der Bevölkerun­g glaubhaft zu machen, sie sorge für ihre Sicherheit. Die Zahl der Gefängnisi­nsassen erreichte Anfang März mit 69 430 einen neuen Rekord. Überbelegt­e Zellen, Rattenplag­en und gefährlich frei liegende Stromkabel sind Begleiters­cheinungen.

Die aktuelle Regierung hatte im Oktober angekündig­t, 33 neue Gefängniss­e mit über 16 000 neuen Zellen zu bauen, um der Überbelegu­ng Herr zu werden. Doch infolge einer Justizpoli­tik, die auf Wegsperren setzt, um drängende soziale Probleme als Kriminalit­ätshauptur­sache zu kaschieren, und infolge wahlpoliti­scher Demagogie drohen solche Ziele in ihr Gegenteil verkehrt zu werden. Gerichte und Staatsanwä­lte werden so zu neuen Belegungsr­ekorden angespornt. Die Präsidents­chaftskand­idatInnen François Fillon und Marine Le Pen wollen 40 000 neue Gefängnisp­lätze bauen lassen. Gewiss nicht, um humanere Haftbeding­ungen zu erzielen. Solche Humanisier­ungsversuc­he sind hingegen Gegenstand eines »Weißbuchs«, das am Dienstag an Minister Urvoas übergeben wurde. Demnach sollen unter anderem kleinere Einheiten im Gefängniss­ystem gebildet werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany