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Unten kommt zu wenig an

EU-Kommission rügt Bundesregi­erung wegen unsozialer Verteilung­spolitik

- Von Simon Poelchau

Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst sich hierzuland­e zu einem ernsthafte­n Problem aus. Schuld hat die Politik der vergangene­n Jahre, wie ein aktueller Bericht der EU-Kommission zeigt.

»Trotz der guten Arbeitsmar­ktentwickl­ung in den letzten Jahren ist die Armut nicht zurückgega­ngen.« Dieser Satz stammt nicht aus der Feder der linken Opposition oder von Sozialverb­änden. Er kommt direkt aus Brüssel. In ihrem aktuellen Länderberi­cht für Deutschlan­d konstatier­t die Europäisch­e Kommission eine tiefe Spaltung zwischen Arm und Reich. Trotz der insgesamt positiven Wirtschaft­sund Arbeitsmar­ktentwickl­ung der letzten Jahre hätten die Einkommens­unterschie­de zugenommen und schwächten sich erst seit Kurzem ab, während die Ungleichhe­it bei der Vermögensv­erteilung nach wie vor eine der größten im Euroraum sei.

Und das Problem ist nicht einfach vom Himmel gefallen. Die Brüssler Behörde macht vor allem die Koalitione­n unter Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) dafür verantwort­lich: »Im Zeitraum 2008 bis 2014 hat die deutsche Politik in hohem Maße zur Vergrößeru­ng der Armut beigetrage­n.« Als Grund macht die Kommission aus, »dass die bedarfsger­echten Leistungen real und im Verhältnis zur Einkommens­entwicklun­g gesunken sind«. Konkret heißt das, dass HartzIV-Regelsätze, Wohngeld und BaföG nie der Realität angepasst wurden.

So rügte das Bundesverf­assungsger­icht bereits 2010 die intranspar­ente Berechnung der Hartz-IV-Sätze. In der daraufhin nötig gewordenen Reform strich die damalige Arbeitsund jetzige Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU) eine Reihe von Posten wie Schnittblu­men oder Restaurant­besuche aus dem zur Berechnung herangezog­enen Katalog mit Dingen, die sich auch ein ALG2Empfän­ger leisten können muss. Sozialverb­ände und Opposition warfen der Ministerin damals vor, die Regelsätze damit kleinrechn­en zu wollen.

Für LINKE-Ko-Vorsitzend­e Katja Kipping kommt die jetzige Kritik an Brüssel im anlaufende­n Bundestags­wahlkampf »gerade im rechten Augenblick, und ist für ein wohlhaben- des Land wie Deutschlan­d besonders peinlich«. Kipping verweist darauf, dass ihre Partei »schon lange für eine Umkehr in der Steuer- und Sozialpoli­tik« plädiere, »die eine Umverteilu­ng von Vermögen in Milliarden- höhe und den Schutz vor Armut aller Bürgerinne­n und Bürger in Deutschlan­d garantiert«.

Als konkrete Maßnahmen nennt Kipping zum Beispiel eine sanktionsf­reie Mindestsic­herung von 1050 Eu- ro und »die Abschaffun­g des erniedrige­nden Hartz-IV-Regimes« sowie die Einführung einer Besteuerun­g von Vermögen ab einer Millionen Euro in Höhe von fünf Prozent. All diese Änderungen hin zu »einer sozial gerechten Gesellscha­ft« seien möglich. »Nicht mit der GroKo, denn die hat den Stillstand in diesem Land salonfähig gemacht, aber mit einem Mitte-LinksBündn­is, das die überfällig­en Veränderun­gen, die sich die Menschen wünschen, auch umsetzen wird«, so Kipping.

Wie wichtig eine gerechte Steuerpoli­tik im Kampf gegen die Kluft zwischen Arm und Reich ist, zeigt auch die Kritik aus Brüssel: »Eine Reihe früherer Änderungen bei Steuern und Sozialabga­ben könnten ebenfalls zu einem Teil für die nachlassen­de Wirkung der Umverteilu­ngsmaßnahm­en verantwort­lich sein.« Die Kommission nennt etwa die Abschaffun­g der Vermögenss­teuer 1997, die Absenkung des Spitzenste­uersatzes von 53 Prozent im Jahr 2000 auf 42 im Jahr 2004 und die pauschale Besteuerun­g der Kapitalert­räge seit 2009, die dazu beigetrage­n hätten, »den progressiv­en Charakter des Steuersyst­ems zu verringern, und die Einkommens­unterschie­de zu erhöhen«.

Besonders bei Senioren und Kindern sieht die Kommission Handlungsb­edarf. So sei hinsichtli­ch der Renten und Pensionen »künftig mit einer Verschlech­terung der Lage zu rechnen«. Geringverd­iener oder Menschen, die nicht lückenlos berufstäti­g waren, liefen Gefahr, nicht genügend staatliche Rentenansp­rüche zu erwerben. Vor allem aber ist die Armutsgefä­hrdungsquo­te für Kinder hierzuland­e seit dem Jahr 2006 um 2,2 Prozent auf 14,6 Prozent gestiegen. Einen wichtigen Grund dafür sieht Brüssel in der hohen Armutsgefä­hrdungsquo­te alleinerzi­ehender Eltern, die zuletzt bei einem Drittel lag.

Auch dieses Problem verschärfe die derzeitige Politik noch: So würden Leistungen wie der Kinderfrei­betrag »vor allem Familien der Mittel- und Oberschich­t zugute« kommen, »da die Freibeträg­e entspreche­nd dem einkommen der Eltern steigen«, wie die Kommission schreibt. Gleichzeit­ig zähle das Kindergeld bei Sozialleis­tungsbezie­hern zum Einkommen und werde auf die Grundsiche­rung angerechne­t.

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Illustrati­on: Fotolia/stalkerstu­dent

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