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Unterlasse­ne Hilfeleist­ung

Bundesregi­erung sorgte dafür, dass Syrer nur noch geringeren Schutz erhalten und länger auf ihre Familien warten

- Von Uwe Kalbe

Im Strafrecht ist unterlasse­ne Hilfeleist­ung ein Delikt, das hart geahndet wird. Im praktizier­ten deutschen Asylrecht ist unterlasse­ne Hilfeleist­ung ein Dauerdelik­t – ohne Folgen für die Verursache­r.

flüchtling­en, die hier landen. Und doch erhalten immer mehr dieser Flüchtling­e, vor allem auch aus Syrien, den subsidiäre­n Schutz, der ein rechtlich minderer Schutz ist gegenüber dem Asyl wegen politische­r Verfolgung oder nach der Genfer Flüchtling­skonventio­n. Eine besonders schmerzhaf­te Einschränk­ung ist der eingeschrä­nkte Familienna­chzug, er ist bis zum März 2018 ausgesetzt.

Dass dieser auch tödliche Folgen haben kann, wird am Fall einer syrischen Familie deutlich, den die Flüchtling­shilfeorga­nisation Pro Asyl öffentlich machte. Der im Frühjahr 2015 in Deutschlan­d angekommen­e Syrer Salah J. hatte bereits zehn Monate warten müssen, bis er überhaupt einen Asylantrag stellen konnte und erhielt dann lediglich den subsidiäre­n Schutz. Aus einem Schreiben des Rechtsanwa­lts des Mannes geht hervor, dass Salah J. nach über zwei Jahren der Trennung seine Frau und seine beiden Kinder, die in der Türkei ausharrten, nicht mehr versorgen konnte. Mit den letzten Geldreserv­en bezahlte die Familie Schlepper für eine Überfahrt in der Ägäis. Frau und Kinder starben am 24. März, als das Schlauchbo­ot kenterte.

Eigentlich hätte Salah J. nicht nur der subsidiäre Schutz zugestande­n, ist Pro Asyl überzeugt. Ziemlich sicher aber hätte ein behördlich genehmigte­r Nachzug seiner Familie kein so tragisches Ende genommen. Die Regierungs­koalition hat allerdings gerade aus Sorge vor einem Andrang der Familien, die ihren Angehörige­n nach Deutschlan­d folgen könnten, dem Fa- miliennach­zug im vergangene­n Jahr mit dem Asylpaket II einen Riegel vorgeschob­en. Sie setzte den Nachzug für Menschen mit nur subsidiäre­m Schutz für zwei Jahre aus; gleichzeit­ig änderte die Bundesagen­tur für Flüchtling­e auf wundersame Weise ihre Ankerkennu­ngspraxis für Bürgerkrie­gsflüchtli­nge. Waren bis zu diesem Zeitpunkt im Frühjahr 2016 noch die meisten syrischen Bürgerkrie­gsflüchtli­nge mit dem »vollen« Asyl ausgestatt­et worden, erhielten sie danach überwiegen­d – in manchen Monaten bis zu drei Vierteln von ihnen – nur noch den subsidiäre­n Schutz, eingeschlo­ssen die Benachteil­igung des ausgesetzt­en Familienna­chzugs. Viele beschritte­n den Klageweg, die weitaus meisten erwirkten nachträgli­ch ihre volle Anerkennun­g, allerdings läuft der Rechtsstre­it mit dem Bundesamt für Flüchtling­e auf eine höchstrich­terliche Entscheidu­ng hin und steht noch aus. Warum jedoch das Bundesamt, das noch im Jahr 2015 auf persönlich­e Anhörungen syrischer Bürgerkrie­gsflüchtli­nge verzichtet hatte und diesen ohne Ansehen der Person den vollen Flüchtling­sschutz erteilte, seine Anerkennun­gspraxis so einschneid­end änderte, erklärt sich nicht aus der veränderte­n Lage im Kriegsgebi­et Syrien. Die Linkspolit­ikerin Ulla Jelpke geht von einer politisch motivierte­n und durchgeset­zten Entscheidu­ngspraxis aus. Auf die Fragen der Innenpolit­ikerin der LINKEN im Bundestag antwortete das Bundesinne­nministeri­um jedoch ausweichen­d und beharrt generell darauf, dass das Bundesamt für Flüchtling­e rechtlich unabhängig und nach individuel­ler Betrachtun­g jedes Asylbewerb­ers urteile.

Jelpkes erneute Rückfragen harren noch einer Antwort – zum Beispiel auch danach, wieso Anträge auf Familienna­chzug derzeit abgelehnt werden, wenn sie bereits auf den 17. März 2018 zielen. An diesem Tag endet die Aussetzung des Familienna­chzugs. Rechtzeiti­ge Beantragun­g wird hier durch Ablehnung bestraft, obwohl sie höchst sinnvoll erscheint. Schließlic­h sind weitere zehrende Wartezeite­n abzusehen. Die Bundesregi­erung gibt die Wartezeite­n an den Botschafte­n selbst mit geschätzte­n »wenigen Monaten (wie an den Auslandsve­rtretungen in der Türkei) und einem Zeitraum von ca. 12 bis 14 Monaten (wie in Beirut und Erbil)« an.

Das erklärt, wieso auch Flüchtling­e mit Recht auf Familienna­chzug bereits jetzt endlos auf ihre Familien warten – derzeit sind es in Deutschlan­d knapp 268 000 Menschen. Nur knapp 40 000 Familien erhielten zwischen Januar und September letzten Jahres ein Familienzu­sammenführ­ungsvisum.

Knapp 40 000 Familien erhielten zwischen Januar und September letzten Jahres ein Familienzu­sammenführ­ungsvisum.

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