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Fingerhake­ln am Lagerfeuer

Sachsen-Anhalt: Die bundesweit erste Kenia-Koalition hat ihr erstes Jahr überstande­n

- Von Hendrik Lasch, Magdeburg

Es gibt viele Sticheleie­n und grundsätzl­iche Gegensätze; trotzdem hält das ungewöhnli­che Regierungs­bündnis aus CDU, SPD und Grünen in Sachsen-Anhalt besser als von vielen anfangs erwartet.

Wenn Reiner Haseloff an Afrika denkt, kommt ihm wohl doch noch zuerst eine Safari in den Sinn. Als er jetzt das erste Jahr des von ihm geführten Regierungs­bündnisses aus CDU, SPD und Grünen resümierte, das wegen Übereinsti­mmung der Parteifarb­en mit der Fahne des afrikanisc­hen Landes den Beinamen »Kenia-Koalition« trägt, lobte Sachsen-Anhalts CDU-Ministerpr­äsident deshalb die gute Stimmung am »Lagerfeuer«. Tags darauf musste sein Parteifreu­nd Siegfried Borgwardt, Chef der Fraktion im Landtag, dann aber doch noch etwas gegen die Grünen sticheln: Er sitze gern am Feuer, »aber nicht bei veganem Barbeque«. Die grüne Fraktionsc­hefin Conny Lüddemann erwiderte trocken, es sei gleichgült­ig, ob es »vegetarisc­hen Käse oder Bio-Fleisch« gebe: »Satt geworden ist Herr Borgwardt bei uns immer.«

Derlei verbales Fingerhake­ln gab es im ersten Jahr der bundesweit zuvor nie erprobten Koalition regelmäßig – vor allem zwischen Schwarzen und Grünen und manchmal auch weniger augenzwink­ernd. So bekam der CDUGeneral­sekretär von der Basis in der Altmark unlängst ein Gewehr überreicht – zum Kampf gegen Wölfe und gegen den »politische­n Gegner«. Bei der Öko-Partei, die den geschützte­n Wolf gegen Abschussge­lüste von Jägern und Schäfern verteidigt, erregte die symbolisch­e Geste Empörung.

Allerdings: In der Koalition hat es zwar wiederholt geknirscht und gekracht, aber gebrochen ist sie nicht – und das, obwohl es ein Bündnis unter eher schwierige­n Vorzeichen war. Die Fortsetzun­g der langjährig­en schwarzrot­en Koalition scheiterte am Absturz der SPD, die nach der Wahl vom 13. März 2016 zeitweilig überlegt hatte, ob eine Erholungsp­ause in der Opposition nicht angebracht­er sei als erneute Regierungs­beteiligun­g. Wegen der Stärke der AfD, die gut ein Viertel der Sitze im Magdeburge­r Landtag eroberte, gab es indes zu einem neuen Bündnis kaum eine Alternativ­e – für das gar die Grünen als dritter Partner gebraucht wurden. Die wiederum hatten, anders als etwa in Hessen, mit der CDU im Land bis dato wenig Berührungs­punkte – im Gegenteil: Der Zwist um die Verlängeru­ng der Autobahn 14 in der Altmark war lange als verbissene­r Grabenkamp­f zwischen Naturschüt­zern und Wirtschaft­slobbyiste­n geführt worden.

Nach einem Jahr Kenia ist der zähe Streit beigelegt, nicht zuletzt dank der Vermittlun­g der grünen Umweltmini­sterin Claudia Dalbert. Das zeige, dass »trotz ideologisc­her Unterschie­de auch strittige Projekte bewegt werden können«, lobte Borgwardt. Davon gibt es freilich weiter genügend – aktuell ein Skigebiet bei Schierke im Harz, ein Gewerbepar­k auf einer Fläche in Sangerhaus­en, auf der ge- schützte Feldhamste­r siedeln, oder der Hochwasser­schutz am Fluss Selke. Auch die Flüchtling­spolitik hat immer wieder das Zeug, koalitions­interne Krisen auszulösen. Als es um die Einstufung der Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsl­änder ging, setzten die Grünen kürzlich eine Enthaltung im Bundesrat durch; Teile der CDU schäumten und forderten, die 5,2Prozent-Partei dürfte im Bündnis nicht faktisch die Linie vorgeben.

Trotz solcher Kabbeleien sieht es im politische­n Alltag derzeit aber eher so aus, als habe man sich miteinande­r arrangiert. Gleiches gilt für CDU und SPD, bei denen es anfangs schien, als wolle man nicht gemeinsam regieren, sondern alte Rechnungen aus früheren Zeiten begleichen. Beim erzwungene­n Rücktritt des CDU-Landtagspr­äsidenten Hardy Peter Güssau spielte der SPD-Landeschef Burkhard Lischka eine entscheide­nde Rolle; im Gegenzug musste mit Jörg Felgner der SPD-Wirtschaft­sminister gehen.

Inzwischen aber haben die ungleichen Partner ihre Rollen gefunden – und arbeiten den Koalitions­vertrag ab. Der 22 Milliarden Euro schwere Haushalt für 2017/18 ist beschlosse­n, mehr Stellen für Polizisten und Lehrer sind geschaffen. Die LINKE beklagt die mangelhaft­e Unterricht­sversorgun­g und den Lehrermang­el an den Schulen – ein Punkt, den etwa SPD-Fraktionsc­hefin Katja Pähle selbst als größte Baustelle der Koalition im nächsten Jahr ausmacht.

Das derzeitige Selbstvers­tändnis der Koalition illustrier­t ein Bild, das CDU-Fraktionsc­hef Borgwardt wählt: Er vergleicht die Koalition mit einem Elektromot­or, bei dem mit Stator, Rotor und den Bürsten drei Baugruppen harmoniere­n müssten. Die Grüne Lüddemann versucht es derweil mit einer Anleihe beim Eiskunstla­uf. Beim künstleris­chen Ausdruck hapere es gelegentli­ch, sagt sie. Aber die A-Note der Koalition sei gut.

 ?? Foto: dpa/Jens Wolf ?? Hand in Hand? CDU-Ministerpr­äsident Reiner Haseloff (2.v.l.) und die Landespart­eichefs Christian Franke (Grüne), Burkhard Lischka (SPD) und Thomas Webel (CDU) (v.l.n.r.) bei einem Presseterm­in in der Staatskanz­lei
Foto: dpa/Jens Wolf Hand in Hand? CDU-Ministerpr­äsident Reiner Haseloff (2.v.l.) und die Landespart­eichefs Christian Franke (Grüne), Burkhard Lischka (SPD) und Thomas Webel (CDU) (v.l.n.r.) bei einem Presseterm­in in der Staatskanz­lei

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