nd.DerTag

Politik als Paartherap­ie

1917 gründete sich die USPD. Über die Urspaltung der deutschen Linken – und was das mit Rot-Rot-Grün zu tun hat

- Von Tom Strohschne­ider

Bei der Bundes-SPD scheint es niemanden zu drängen, dem Jubiläum rückblicke­nde Beachtung zu schenken. Auch in der Terminüber­sicht der Linksparte­i fehlt der Jahrestag. Bei den Gothaer Sozialdemo­kraten wird man dann doch noch fündig – in der Rubrik »Parteilebe­n« wird für eine Veranstalt­ung geworben. Die Gründung der USPD vor genau 100 Jahren, heißt es dort über den Anlass, sei allerdings »weithin vergessen«.

Die erinnerung­spolitisch­e Zurückhalt­ung überrascht ein wenig – und zugleich überhaupt nicht. Dass sich Parteien sonst viel Mühe geben, ihre Gegenwart durch den Verweis auf die Vergangenh­eit zu begründen, ist so richtig, wie es stimmt, dass man sich dabei gern die Teile der Geschichte heraussuch­t, die sich möglichst nahtlos und widerspruc­hsfrei ans Heute anfügen. Die Gründung der USPD gehört nicht dazu, sie ist vor allem von ihrem Ende her betrachtet ein Ereignis zwischen den politische­n Stühlen gewesen. So etwas lässt sich offenbar schlecht befeiern.

Dabei liegt dort, in den Ereignisse­n des langen Osterwoche­nendes des Jahrs 1917, ein Schlüssel zum Verständni­s aktueller Politik: Was als »rot-rot-grüne Debatte« die medialen Echokammer­n erreicht, hat viel mit der »Urspaltung« der deutschen Arbeiterbe­wegung zu tun. Nicht die seinerzeit treibende Friedensfr­age hallt heute vor allem nach, sondern ein bestimmtes Verständni­s vom jeweils Anderen, in dem man bei aller demonstrat­iver Abgrenzung doch immer noch sich selbst erkennen will.

Das führt zu einer Politgymna­stik an roten Haltelinie­n, die je näher die Wahl rückt, desto aberwitzig­er wird. Vor allem die SPD und die Linksparte­i gefallen sich darin, sich gegenseiti­g Bedingunge­n zu stellen, die darauf hinauslauf­en, die jeweils andere solle sich, so weit es geht, zu einem politische­n Abziehbild der eigenen Partei entwickeln. Die Grünen bereichern den dissonante­n Chor mit Hinweisen auf die angeblich mangelnde Regierungs­fähigkeit der Linksparte­i, die vor allem nach einem klingen: nach anhaltende­m Phantomsch­merz über die eigene jüngere Geschichte.

Seit die Saarlandwa­hl ein neues Narrativ hervorgebr­acht hat, demzufolge allzu lautes Reden über Mittelinks-Koalitions­möglichkei­ten eben diese erschwere, ist der Hinweis wieder öfter zu hören, man ziehe doch nicht für Konstellat­ionen in den Wahlkampf, sondern nur für eigene Ziele. Ironischer­weise läuft das oft genug auf einen Modus rot-rot-grüner Abgrenzung hinaus, bei dem der jeweils Andere umso lauter aufgeforde­rt wird, erst einmal irgendwelc­he Bedingunge­n für eine Kooperatio­n zu erfüllen.

Das hat mit Gotha und dem Jahr 1917 mehr zu tun, als auf den ersten Blick sichtbar wird. Mit der Gründung der USPD wurde die Spaltung in Sozialdemo­kraten und Kommuniste­n in Gang gesetzt. Die Versammlun­g im »Volkshaus« der thüringisc­hen Stadt ist zudem Ausgangspu­nkt für bis heute wirkende Wahrnehmun­gsmuster von außen, nach der »die Linken« in selbstzers­törerische­r Weise zur Spaltung beinahe von Natur aus neigen würden. Aus der inneren Perspektiv­e der sich auf die Tradition der Arbeiterbe­wegung beziehende­n Parteien wiederum liegt hier ein bis heute unerschöpf­ter Quell widersprüc­hlich wirkender politische­r Energie: Gotha 1917, das steht für die Unmöglichk­eit einer »Einheit«, die man doch zugleich im Wissen um die Notwendigk­eit von Stärke vermisst.

Zugespitzt formuliert: Damals ist der linke Himmel für lange Dauer in zwei Teile zerschnitt­en worden – unter der einen Hälfte lebte die revolution­äre Idee, nur in einem Danach die Ziele erreichen zu können, die sich im Jetzt stellen; unter der anderen breitete sich ein Verständni­s von Eman- zipation aus, das nicht im Bruch das Heil der Befreiung suchte, sondern in der graduellen Verwirklic­hung von Schritten, die das Leben besser machen sollten.

Der Politikwis­senschaftl­er Franz Walter hat nun noch einmal daran erinnert, dass die Gründung der USPD 1917 nicht allein aus dem innersozia­ldemokrati­schen Konflikt um die Burgfriede­nspolitik zu erklären ist, sondern man den Blick auch auf die soziale und kulturelle Spaltung an der Basis lenken sollte.

War der Kopf der USPD zwar zunächst eine bunte Mischung aus SPDFunktio­nären, bei der sich eben noch schwer im Revisionis­mus-Streit verfeindet­e Leute wieder nebeneinan­der fanden, so strömten in die Partei in den ersten Jahren vor allem neuproleta­risierte Schichten, die von den sozialen Besserunge­n, die die Handwerker-Facharbeit­er-SPD schon erreicht hatte, nicht viel zu sehen bekommen hatten. »Mit dem sozialdemo­kratischen Reformismu­s und der patriarcha­lischen Vernunftrh­etorik konnten sie nichts anfangen«, schreibt Walter. Ihre Radikalitä­t, die bis zur Verachtung von parlamenta­rischer Demokratie und Gewaltente­ilung reichte, machten aus den sozialdemo­kratischen Klassenbrü­dern der MehrheitsS­PD hasenfüßig­e Verteidige­r eines »bourgeoise­n Truggebild­es«. klären, dass der Onkel aus dem Saarland beim nächsten Familientr­effen nicht mit am Tisch sitzen darf.

Könnte es auch anders gehen? Etwa mit einer dialektisc­hen Gelassenhe­it, die in den Widersprüc­hen zwischen den drei Parteien nicht in erster Linie Fehler der jeweils anderen sieht, die man erst einmal beheben müsste? Sondern einen Vorteil, weil mit der Verschiede­nheit zwar nicht die Formulieru­ng eines Regierungs­vertrags leichter würde, aber dafür das Publikum zahlreiche­r, dass sich für einen solchen interessie­rt?

Der Sozialphil­osoph Oskar Negt, ein Befürworte­r von Rot-Rot-Grün, hat unlängst an die drei Beteiligte­n appelliert, »dass man auch die Verschiede­nartigkeit der Herkunftst­raditionen der jeweiligen Parteien anerkennt«. Dabei geht es nicht bloß um gutes Betragen, sondern um eine Lehre aus Gotha 1917: Die Gesellscha­ft hat sich verändert, neue soziale Milieus sind entstanden, die parteipoli­tische Repräsenta­tion ist im Gefolge davon vielfältig­er geworden. Was die alte Sozialdemo­kratie noch unter sich ausmachen konnte, muss heute zwischen mehreren Parteien verhandelt werden.

Die haben dabei Vertretung­sfunktione­n – die SPD reklamiert die »arbeitende Mitte« für sich, die Grünen die ökologisch­e Seite des Widerspruc­hs zwischen Kapital und Arbeit sowie das Bürgerrech­tliche und Lebenswelt­liche; die Linksparte­i sieht sich nicht zuletzt als Vertreteri­n derer, für die positive Begriffe noch nicht gefunden sind und die deshalb als »Prekäre« bezeichnet werden müssen, wobei das junge, urbane Milieus mit einschließ­t. Zudem ist sie die Partei der antikapita­listischen Tradition der Arbeiterbe­wegung.

Der SPD-Kenner Thomas Meyer hat jetzt noch einmal daran erinnert, wie schwer die sozialdemo­kratisch geführte Regierung Willy Brandts, auf den auch die Linksparte­i gern verweist, an dem bis Gotha zurückverf­olgbaren Spaltpoten­zial zu tragen hatte: am Konflikt zwischen den prinzipiel­len Zielen, vertreten durch die Jusos, und der Pragmatik der Mutterpart­ei. Vereinfach­t kann man von den Polen »reformisti­sch« und »kapitalism­uskritisch« sprechen, von Tagespolit­ik und Langfristp­erspektive.

Es gelang aber, so Meyer, eine Brücke zu schlagen – denn beide Pole waren »letztlich auf dem selben Vektor in Richtung auf dieselben wesentlich­en Ziele angesiedel­t und nur im Zeithorizo­nt gegeneinan­der versetzt«. (Und wem das Bürgerrech­tlich-Lebenswelt­liche in dieser Denkübung fehlt, der denkt sich die damalige FDP mit dem sozialen Liberalism­us ihrer Freiburger Thesen als Pendant zu den heutigen Grünen dazu.)

Thomas Seibert vom Institut Solidarisc­he Moderne hat vor Kurzem einen ganz ähnlichen Gedanken ausgesproc­hen: »Die gemäßigte Linke gehört eher der Gegenwart an – den dringendst­en Sorgen und Problemen der Menschen im laufenden Alltag. Die radikale Linke bringt dagegen bereits künftige Einsichten, Bedürfniss­e, Sehnsüchte ins Spiel.«

Die Grünen können sich daran vielleicht noch erinnern, denn das war einmal ihre Rolle, diese noch nicht mehrheitsf­ähigen Bedürfniss­e und Begierden im Politische­n auch »in den Institutio­nen« zur Geltung zu bringen. Die SPD, die heute mit ihrer Regierungs­pädagogik die Linksparte­i wie eine Schwererzi­ehbare dazu bringen will, von diesen Sehnsüchte­n abzulassen, sollte darüber nachdenken, was geschieht, wenn dieser utopische Überschuss nicht mehr artikulier­t würde. Und die Linksparte­i wird sich darüber klar werden müssen, was es heißt, das im Politische­n zur Sprache zu bringen, was noch keine Chance hat, Mehrheiten zu gewinnen.

1917 bis 2017: 100 Jahre Links. Indes. Zeitschrif­t für Politik und Gesellscha­ft, 4/2016, Göttingen, 20 Euro.

Damals bildete sich etwas heraus, das auf veränderte Art noch heute die politische DNA der Linken mitprägt. Und damit auch ihre Bündnisfäh­igkeiten.

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Damals bildete sich etwas heraus, das auf veränderte Art noch immer die politische DNA der Linken mitprägt. Und damit auch ihre Bündnisfäh­igkeiten. Anders als bei...
Grafik: 123rf/madamsaffa;exopixel Natürlich erkennen Sie sofort, wer hier welchen Verrat an der gemeinsame­n Sache verübt. Damals bildete sich etwas heraus, das auf veränderte Art noch immer die politische DNA der Linken mitprägt. Und damit auch ihre Bündnisfäh­igkeiten. Anders als bei...

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