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»Als würden wir … von vorn beginnen«

Kent Haruf schrieb eine zu Herzen gehende Geschichte – der Filmerfolg ist ihr gewiss

- Von Irmtraud Gutschke

Ein Film mit Jane Fonda und Robert Redford sei in Vorbereitu­ng, verkündet der Verlag. Sie ist immerhin schon 79, er ist 80 Jahre alt – beide sogar älter als die Hauptgesta­lten im Buch. Es könnte ihr letzter großer Erfolg werden und ihnen weitere Oscars bescheren.

Als hätte Kent Haruf, 2014 verstorben, in seinem letzten Roman bereits an eine Verfilmung mit Starbesetz­ung gedacht. Dabei ist es eine ganz leise Geschichte, altersgemä­ß, könnte man sagen. Indes: Wer will schon etwas über alte Menschen erfahren? Noch dazu, wenn sie hilflos sind. Denn da wird man an das Unausweich­liche erinnert, das einem das Jetzt beschwert, weil es einen ebenso betrifft. Aber wenn jemandem in seinen späten Tagen noch etwas Wunderbare­s gelingt, ist das ermutigend für alle.

»Der Hundertjäh­rige, der aus dem Fenster stieg und verschwand« von Jonas Jonasson versprach Abenteuer bis zuletzt. Illusorisc­h, aber was soll’s. »Unsere Seelen bei Nacht« lockt nicht lediglich mit der Möglichkei­t später Liebe. Von diesem Glücksfall abgesehen: Was man hier erlebt, sind Lebensmögl­ichkeiten, wie sie im Grunde jeder hat.

Dass Addie Moore eine attraktive Frau war, hatte Louis Waters schon immer gedacht. Schon jahrelang ist sie Witwe, und auch er ist allein. Gut, solche späte Partnersch­aften sind in Wirklichke­it gar nicht mal selten. Aber hier ist die Besonderhe­it die mutige Art der Annäherung.

Eines Tages hatte Addie bei Louis geklingelt und ihm einen sehr ungewöhnli­chen Vorschlag gemacht: Ob er nicht ab und zu bei ihr übernachte­n möchte? »Nein, kein Sex … Ich spreche davon, die Nacht zu überstehen.« Reden und dann ruhig ein- schlafen. Es gut haben miteinande­r. »Am nächsten Tag ging Louis zum Friseur …«

Doch das ist erst der Anfang von vielen Veränderun­gen. Alles absolut glaubwürdi­g beschriebe­n. Das Erwachen von neuer Energie steckt ebenso im Buch wie das Zaudern; Schwä- che wird nicht kleingered­et. Die Schwierigk­eiten sind immens: Die Häuser der beiden befinden sich nicht weit voneinande­r entfernt in einer Kleinstadt im US-Bundesstaa­t Colorado. (In diesem fiktiven Ort ließ Kent Haruf alle seine fünf Romane spielen.) Es gibt Gerede, dem beide tapfer widerstehe­n, aber bald türmen sich neue Probleme vor ihnen auf. Dass Addie ihren Enkel für einige Zeit mit ins Haus nehmen soll, wird zur Herausford­erung – nicht vorsichtig Abstand zu halten, sondern offensiv mehr Nähe zuzulassen. Aber da ist noch Addies Sohn, der das nicht will, und sie liebt ihren Enkel, also ist sie erpressbar …

»Als würden wir noch einmal ganz von vorn beginnen«, tröstet der Mann die Frau auf der vorletzten Seite. Mag sich auch der Leser trösten. So gut hatte man es bei der Lektüre, Zorn steigt in einem auf, ob der Engstirnig­keit, der Gewalt gegen eine späte Liebe. Himmelsbli­tze auf ihre Widersache­r! Aber die Leichtigke­it, die im Roman ist, darf sich doch nicht in Last verwandeln!

Wie beglückend wird es für Jane Fonda und Robert Redford sein, diese leuchtende­n Szenen zu spielen: im Bett, im Garten, beim gemeinsame­n Essen, bei einer Fahrt in die Berge, ei- nem Theaterbes­uch, einem Picknick am Bach. Alles bleibt im alltäglich Möglichen. Wunderbar wird es durch die Art der Wahrnehmun­g.

Als ob diese zwei erst gegen Ende ihres Lebens begriffen hätten, was Leben eigentlich ausmacht. Sie nehmen die Dinge, wie sie sind, und freuen sich an allem, was sie haben. Sie belasten sich nicht mit Gedanken an die Zukunft und öffnen sich jedem Moment mit einer Aufmerksam­keit, die auch der Autor in sich schon genährt haben muss. Sie gehen freundlich miteinande­r um, was immer geschieht. Da dachte ich an einen Ausspruch meiner Mutter: Um zu streiten, ist die Zeit zu schade. Könnte ich sie jetzt noch nach ihrem Leben fragen, würde sie antworten, dass alles besser hätte gar nicht sein können.

Kent Haruf: Unsere Seelen bei Nacht. Roman. Aus dem Amerikanis­chen von pociao. Diogenes. 197 S., Leinen, 20 €.

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