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Die runzlige Banalität des Bösen

Im Kino: Der Dokumentar­film »Ein deutsches Leben«

- Von Caroline M. Buck

Eine Traudl Junge ist sie nicht, das muss man wohl zuerst feststelle­n. Die vier Ko-Regisseure Christian Krönes, Olaf S. Müller, Roland Schrotthof­er und Florian Weigensame­r mögen es gehofft haben, als sie ihre Interviews mit Brunhilde Pomsel begannen, aber Junges selbstkrit­ische Introspekt­ion lässt Pomsel schwer vermissen.

Auch in anderer Hinsicht stand sie Junge nach: Sie war Sekretärin aus dem Stenografe­npool von Joseph Goebbels. Pomsel Jahrzehnte später als letzte verblieben­e Zeitzeugin vor die Kamera zu holen (und sei sie auch mal die schnellste Stenotypis­tin im Reichs-Rundfunk gewesen), ist einfach nicht so spektakulä­r wie André Hellers Coup: sein und Othmar Schmiderer­s Film »Im toten Winkel«, ein Interview mit Traudl Junge, die kurz vor Kriegsende Hitlers Testament aufgenomme­n hat. Da hilft auch nicht, dass man Pomsel in kontrastre­ichem Schwarzwei­ß filmt, damit jede tiefe Furche im Gesicht spektakulä­r herauskomm­t, oder Archivmate­rial dazwischen­schneidet, wenn das Interview in Banalitäte­n versandet.

Junge hat ihre Erfahrunge­n als kleines Rad in der großen Maschineri­e des Todes (aber eben im unmittelba­ren Zentrum der Ereignisse) später in politische und soziale Bewussthei­t umgemünzt, das zeigte, wie man es auch hätte machen können. Sie hat ihre Erfahrunge­n nicht nur selber niedergesc­hrieben, sondern sie mit anderen Schreibern und Filmemache­rn geteilt (schon G.W. Pabsts Führerbunk­er-Film »Der letzte Akt« von 1955 beruhte wesentlich auf ihren Erinnerung­en). Dagegen hat die Goebbels-Stenografi­n Brunhilde Pomsel offenkundi­g nie weiter reichende Erkenntnis­se aus irgendwas gezogen.

Ehrgeizig war sie damals. Und das gute Geld, das sie ein paar Jahre lang verdiente, das hat ihr auch gefallen. Schuldig – klar, schuldig sei man schon auch geworden. Aber eben, jedenfalls in ihren Augen, nicht mehr als all die anderen auch, die nicht direkt im Widerstand waren. Und noch eins wird klar: Michael Hanekes »Das weiße Band«, ein Spielfilm, der die Wur- zeln des späteren Unrechtsst­aats in autoritäre­r Erziehung und Obrigkeits­gläubigkei­t zu Weimarer Zeiten finden will, hat offenbar so unrecht nicht. In einer Gesellscha­ft, in der Väter die unbedingte­n Herren über ihre Kinder waren, in der man versohlt wurde, wenn man nicht spurte, gehörte für Brunhilde Pomsel das Schwindeln schon ganz früh dazu.

Wenn man bei etwas ertappt wurde und nicht schon wieder Dresche kriegen wollte, sagt sie einmal in »Ein deutsches Leben«, dann schwindelt­e man eben und schob die Schuld auf andere. Der Instinkt, sich rauszumoge­ln, sich auf Kosten Dritter rauszulüge­n aus widrigen Umständen, der blieb ihr offenbar lebenslang erhalten. Als das vielköpfig­e Filmemache­r-Team sie interviewt­e, hatte Pomsel die 100 bereits überschrit­ten. Anfang des Jahres ist sie im Alter von 106 Jahren in einem Münchner Altersheim verstorben.

Banal also, das Böse. Mal wieder. In der Gestalt einer runzligen alten Frau vor der Kamera, die mal ein unpolitisc­hes junges Mädchen war, das übergangs-und anstandslo­s von der Schreibarb­eit für einen zusehends verarmende­n jüdischen Anwalt zur Schreibarb­eit an den Weltkriegs­memoiren eines Nazis wechselte und von dort in den gleichgesc­halteten Rundfunk, wofür sie Parteimitg­lied wurde, während ihre jüdische beste Freundin draußen vor der Tür wartete. Einziger Grund, warum der Parteieint­ritt möglicherw­eise keine so gute Idee gewesen sein könnte: dass er zehn Mark kostete, was ja viel Geld war. Was mit der jüdischen Freundin passierte, braucht man nicht erst zu fragen.

Für Pomsel sollte sich die Investitio­n auszahlen, jedenfalls auf kurze Sicht. Gut kam sie sich vor, die mit dem Aufstieg in den Sekretärin­nenpool des einflussre­ichen Mannes nun ein gemachtes Mädchen war. Über ihren Dienstherr­n weiß sie vor allem Positives zu berichten, so sauber, so fein manikürt, so wunderbar teuer gekleidet – mit dem schäumende­n Hassredner der öffentlich­en Auftritte habe das so gar nicht zusammenge­passt. Nach dem Krieg verbrachte Brunhilde Pomsel fünf Jahre in russischer Gefangensc­haft. Fair findet sie das nicht.

Über ihren Dienstherr­n Joseph Goebbels weiß Pomsel vor allem Positives zu berichten.

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Foto: Salzgeber Brunhilde Pomsel

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