Vor dem CDU-Karren
Wie kam das Burkaverbot in einen hessischen Tarifvertrag?
Nachdem im Öffentlichen Dienst Hessens ein Kuhhandel – Burkaverbot gegen Monatsticket – vollzogen wurde, belebt sich die gewerkschaftliche Debatte. Was sucht die Burkafrage in einem Tarifvertrag? Ein bemerkenswerter Coup gelang dem hessischen CDU-Innenminister Peter Beuth auf der Zielgeraden der Tarifverhandlungen für die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst des Landes Anfang März. Zum Verdruss vieler Gewerkschafter freilich. Dass die Exekutive im CDU-regierten Hessen aus ihrem tarifpolitischen Sonderweg weiterhin Nutzen ziehen will und nicht daran denkt, in den Arbeitgeberverband Tarifgemeinschaft der Länder zurückzukehren, wurde in der jüngsten Tarifrunde deutlich.
So unterzeichneten die Unterhändler von DGB-Gewerkschaften und Beamtenbund einen Passus im Vertragswerk, auf dem Minister Beuth dem Vernehmen nach ultimativ bestanden haben soll: ein explizit festgehaltenes Vollverschleierungsverbot für alle Landesbeschäftigten während der Dienstzeit. Merkwürdig nur, dass niemand, auch Beuth nicht, irgendeinen Fall aus hessischen Amtsstuben nennen konnte, in dem eine voll verschleierte Mitarbeiterin tätig wäre oder Bürger empfangen hätte. Dies legt nun den Verdacht nahe, dass die Hessen-CDU im Wahljahr um ihr Profil kämpft und der rechten AfDKonkurrenz in Sachen Rassismus und Antiislamismus Wind aus den Segeln nehmen will.
Beuths Coup basierte auf einem Kuhhandel mit den Gewerkschaften. Denn im Gegenzug zeigte sich der Innenminister großzügiger, als es ihm viele zugetraut hatten. So bot er für alle Landesbediensteten freie Fahrt in Bussen und Bahnen des Regionalverkehrs im Sechs-Millionen-Land Hessen an. Der Dienstausweis soll ab 2018 als Fahrschein dienen – eine Regelung, die nur ein Teil der Studierenden in Hessen in Anspruch neh- men kann. Damit entzückte er nicht nur ökologisch denkende Menschen und seinen grünen Koalitionspartner.
Der Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) rund um Frankfurt am Main gehört mit seinen Tarifen zu den teuersten der Republik. Viele Berufstätige zahlen Monat für Monat dreistellige Beträge für das Ticket zum Arbeitsplatz. Mit seinem Angebot schuf Beuth einen Sog, dem sich die gewerkschaftlichen Unterhändler erst gar nicht entziehen wollten. Eine breite Mehrheit der Mitglieder akzeptiert den Abschluss. Doch unter etlichen ehrenamtlichen ver.di-Funktionären wird weiter kritisch diskutiert.
»Wir sind empört und möchten diesen Abschluss nicht unkommentiert stehen lassen«, heißt es in einer E-Mail, die in der Frankfurter Stadtverwaltung die Runde machte. »Wer weiß schon, welche Forderung ar- beitgeberseitig bei den nächsten Verhandlungen aufgerufen wird und ob die Verhandlungsführung unserer Organisation jeglichen Bezug zu unseren gewerkschaftlichen Werten vermissen lässt?« Der Appell bezieht sich auch auf ver.di-Landesleiter Jürgen Bothner, der das faktische Burkaverbot mit der Aussage gerechtfertigt hatte: »Die Frage ist: Was bekommen wir? Wenn sie es im Tarifvertrag haben wollen – und Tarifverträge sind Kompromisse –, dann gibt es Preise dafür.«
»Die Vereinbarung eines Vollverschleierungsverbotes im Tarifvertrag ist mehr als befremdlich«, heißt es in einer Resolution, die vom hessischen ver.di-Fachgruppenvorstand Theater und Bühnen gewerkschaftsintern verbreitet wurde. »Ver.di hat sich sehenden Auges vor den Karren der Hessen-CDU spannen lassen, die of- fenbar zu feige war, dies politisch und parlamentarisch mit dem grünen Koalitionspartner in eigener Kompetenz zu regeln.« Das Burkaverbot sei ein rechtspopulistisches Thema, das Ressentiments schüren und die Gesellschaft spalten soll. Die Dienstleistungsgewerkschaft dürfe aber »nicht so wahrgenommen werden können, als besorgten wir das Geschäft rechter Ideologen«, heißt es in der Begründung.
»Dass diese vom Land Hessen gewollte Tarifierung, zu der ver.di die Hand gereicht hat, rein ideologischer Natur ist, zeigt auch die Tatsache, dass es real nirgends ein Problem mit Burkas im Öffentlichen Dienst in Hessen gibt«, heißt es in der Resolution weiter. »Es ist aktuell kein einziger Fall bekannt.« Tarifverträge seien jedoch dazu da, »objektive Probleme zu lösen und nicht pure Fiktionen zu tarifieren, die obendrein erheblichen politischen Schaden für ver.di anrichten können, weil wir uns mit dieser Tarifierung potenziell dem Vorwurf des Rechtspopulismus aussetzen«, so das Papier im O-Ton.
Man könne über »weltanschauliche Geschmacksfragen« wie Vollverschleierungen verschiedener Auffassung sein, die autoritäre Forderung nach einem Verbot von Burkas sei hingegen ein Spiel mit Ressentiments. »Und Ressentiments und Geschmacksfragen gehören in keinen Tarifvertrag – vor allem dann nicht, wenn sie auch noch derart rechtspopulistisch aufgeladen sind und wir uns in unseren Satzungen zu weltanschaulicher Neutralität verpflichtet haben«, argumentieren die Gewerkschafter. »Ver.di hätte dies gleich zu Beginn als rote Linie markieren und dem Arbeitgeber gegenüber unmissverständlich klar machen müssen, dass ver.di für diese Tarifierung nicht zur Verfügung stehen kann – auch dann nicht, wenn der ›Preis stimmt‹«, heißt es in Anspielung an Bothner.
Die kritischen Debatten sollen nach dem Willen ihrer Urheber die gesamte Gewerkschaft für solche Probleme sensibilisieren und dazu beitragen, dass solche »Tabubrüche« nie wieder unterlaufen. Denn sonst würden »Tür und Tor geöffnet für politische und ideologisch aufgeblasene Zusatzforderungen von Arbeitgebern«. Fazit des Papiers: »Der bei Tarifverhandlungen notwendige Realismus sollte nicht zu einem Anything-Goes-Pragmatismus werden. In Zukunft muss daher wieder gelten: keine Tarifierung von Ressentiments oder weltanschaulicher Fragen!«
»In Zukunft muss daher wieder gelten: keine Tarifierung von Ressentiments oder weltanschaulicher Fragen!« Ver.di-Landesgruppe Hessen für Theater und Bühnen