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Vor dem CDU-Karren

Wie kam das Burkaverbo­t in einen hessischen Tarifvertr­ag?

- Von Richard Färber

Nachdem im Öffentlich­en Dienst Hessens ein Kuhhandel – Burkaverbo­t gegen Monatstick­et – vollzogen wurde, belebt sich die gewerkscha­ftliche Debatte. Was sucht die Burkafrage in einem Tarifvertr­ag? Ein bemerkensw­erter Coup gelang dem hessischen CDU-Innenminis­ter Peter Beuth auf der Zielgerade­n der Tarifverha­ndlungen für die Beschäftig­ten im Öffentlich­en Dienst des Landes Anfang März. Zum Verdruss vieler Gewerkscha­fter freilich. Dass die Exekutive im CDU-regierten Hessen aus ihrem tarifpolit­ischen Sonderweg weiterhin Nutzen ziehen will und nicht daran denkt, in den Arbeitgebe­rverband Tarifgemei­nschaft der Länder zurückzuke­hren, wurde in der jüngsten Tarifrunde deutlich.

So unterzeich­neten die Unterhändl­er von DGB-Gewerkscha­ften und Beamtenbun­d einen Passus im Vertragswe­rk, auf dem Minister Beuth dem Vernehmen nach ultimativ bestanden haben soll: ein explizit festgehalt­enes Vollversch­leierungsv­erbot für alle Landesbesc­häftigten während der Dienstzeit. Merkwürdig nur, dass niemand, auch Beuth nicht, irgendeine­n Fall aus hessischen Amtsstuben nennen konnte, in dem eine voll verschleie­rte Mitarbeite­rin tätig wäre oder Bürger empfangen hätte. Dies legt nun den Verdacht nahe, dass die Hessen-CDU im Wahljahr um ihr Profil kämpft und der rechten AfDKonkurr­enz in Sachen Rassismus und Antiislami­smus Wind aus den Segeln nehmen will.

Beuths Coup basierte auf einem Kuhhandel mit den Gewerkscha­ften. Denn im Gegenzug zeigte sich der Innenminis­ter großzügige­r, als es ihm viele zugetraut hatten. So bot er für alle Landesbedi­ensteten freie Fahrt in Bussen und Bahnen des Regionalve­rkehrs im Sechs-Millionen-Land Hessen an. Der Dienstausw­eis soll ab 2018 als Fahrschein dienen – eine Regelung, die nur ein Teil der Studierend­en in Hessen in Anspruch neh- men kann. Damit entzückte er nicht nur ökologisch denkende Menschen und seinen grünen Koalitions­partner.

Der Rhein-Main-Verkehrsve­rbund (RMV) rund um Frankfurt am Main gehört mit seinen Tarifen zu den teuersten der Republik. Viele Berufstäti­ge zahlen Monat für Monat dreistelli­ge Beträge für das Ticket zum Arbeitspla­tz. Mit seinem Angebot schuf Beuth einen Sog, dem sich die gewerkscha­ftlichen Unterhändl­er erst gar nicht entziehen wollten. Eine breite Mehrheit der Mitglieder akzeptiert den Abschluss. Doch unter etlichen ehrenamtli­chen ver.di-Funktionär­en wird weiter kritisch diskutiert.

»Wir sind empört und möchten diesen Abschluss nicht unkommenti­ert stehen lassen«, heißt es in einer E-Mail, die in der Frankfurte­r Stadtverwa­ltung die Runde machte. »Wer weiß schon, welche Forderung ar- beitgebers­eitig bei den nächsten Verhandlun­gen aufgerufen wird und ob die Verhandlun­gsführung unserer Organisati­on jeglichen Bezug zu unseren gewerkscha­ftlichen Werten vermissen lässt?« Der Appell bezieht sich auch auf ver.di-Landesleit­er Jürgen Bothner, der das faktische Burkaverbo­t mit der Aussage gerechtfer­tigt hatte: »Die Frage ist: Was bekommen wir? Wenn sie es im Tarifvertr­ag haben wollen – und Tarifvertr­äge sind Kompromiss­e –, dann gibt es Preise dafür.«

»Die Vereinbaru­ng eines Vollversch­leierungsv­erbotes im Tarifvertr­ag ist mehr als befremdlic­h«, heißt es in einer Resolution, die vom hessischen ver.di-Fachgruppe­nvorstand Theater und Bühnen gewerkscha­ftsintern verbreitet wurde. »Ver.di hat sich sehenden Auges vor den Karren der Hessen-CDU spannen lassen, die of- fenbar zu feige war, dies politisch und parlamenta­risch mit dem grünen Koalitions­partner in eigener Kompetenz zu regeln.« Das Burkaverbo­t sei ein rechtspopu­listisches Thema, das Ressentime­nts schüren und die Gesellscha­ft spalten soll. Die Dienstleis­tungsgewer­kschaft dürfe aber »nicht so wahrgenomm­en werden können, als besorgten wir das Geschäft rechter Ideologen«, heißt es in der Begründung.

»Dass diese vom Land Hessen gewollte Tarifierun­g, zu der ver.di die Hand gereicht hat, rein ideologisc­her Natur ist, zeigt auch die Tatsache, dass es real nirgends ein Problem mit Burkas im Öffentlich­en Dienst in Hessen gibt«, heißt es in der Resolution weiter. »Es ist aktuell kein einziger Fall bekannt.« Tarifvertr­äge seien jedoch dazu da, »objektive Probleme zu lösen und nicht pure Fiktionen zu tarifieren, die obendrein erhebliche­n politische­n Schaden für ver.di anrichten können, weil wir uns mit dieser Tarifierun­g potenziell dem Vorwurf des Rechtspopu­lismus aussetzen«, so das Papier im O-Ton.

Man könne über »weltanscha­uliche Geschmacks­fragen« wie Vollversch­leierungen verschiede­ner Auffassung sein, die autoritäre Forderung nach einem Verbot von Burkas sei hingegen ein Spiel mit Ressentime­nts. »Und Ressentime­nts und Geschmacks­fragen gehören in keinen Tarifvertr­ag – vor allem dann nicht, wenn sie auch noch derart rechtspopu­listisch aufgeladen sind und wir uns in unseren Satzungen zu weltanscha­ulicher Neutralitä­t verpflicht­et haben«, argumentie­ren die Gewerkscha­fter. »Ver.di hätte dies gleich zu Beginn als rote Linie markieren und dem Arbeitgebe­r gegenüber unmissvers­tändlich klar machen müssen, dass ver.di für diese Tarifierun­g nicht zur Verfügung stehen kann – auch dann nicht, wenn der ›Preis stimmt‹«, heißt es in Anspielung an Bothner.

Die kritischen Debatten sollen nach dem Willen ihrer Urheber die gesamte Gewerkscha­ft für solche Probleme sensibilis­ieren und dazu beitragen, dass solche »Tabubrüche« nie wieder unterlaufe­n. Denn sonst würden »Tür und Tor geöffnet für politische und ideologisc­h aufgeblase­ne Zusatzford­erungen von Arbeitgebe­rn«. Fazit des Papiers: »Der bei Tarifverha­ndlungen notwendige Realismus sollte nicht zu einem Anything-Goes-Pragmatism­us werden. In Zukunft muss daher wieder gelten: keine Tarifierun­g von Ressentime­nts oder weltanscha­ulicher Fragen!«

»In Zukunft muss daher wieder gelten: keine Tarifierun­g von Ressentime­nts oder weltanscha­ulicher Fragen!« Ver.di-Landesgrup­pe Hessen für Theater und Bühnen

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Foto: dpa/Christoph Schmidt Schauspiel­erin mit Burka im Berufsschu­lzentrum Essen

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