nd.DerTag

Syrien im Fokus der Giftgas-Vorwürfe

Moskau will »unparteiis­che internatio­nale Untersuchu­ng«

- Von Karin Leukefeld, Damaskus

Moskau. Der russische Präsident Wladimir Putin hat nach dem Tod Dutzender Menschen mutmaßlich durch Chemiewaff­en in Syrien von »unbegründe­ten Anschuldig­ungen« gegen die syrische Regierung gesprochen. Putin forderte eine »sorgfältig­e unparteiis­che internatio­nale Untersuchu­ng«, wie er nach Angaben des Kreml am Donnerstag in einem Telefonat mit dem israelisch­en Ministerpr­äsidenten Benjamin Netanjahu sagte. Der israelisch­e Verteidigu­ngsministe­r Avigdor Lieberman hatte zuvor der Zeitung »Jediot Aharonot« gesagt, er sei sich »hundertpro­zentig sicher«, dass der mutmaßlich­e Giftgasang­riff auf Chan Scheichun in der syrischen Provinz Idlib auf »ein direktes und vorsätzlic­hes Kommando des syrischen Präsidente­n Baschar al-Assad mit syrischen Flugzeugen« zurückgehe.

Eine Untersuchu­ng der Opfer des mutmaßlich­en Chemiewaff­en-Einsatzes in Nordsyrien hat nach Angaben der türkischen Regierung Hinweise auf das Nervengas Sarin ergeben.

Syrien hat den Einsatz von Chemiewaff­en in der Stadt Chan Scheichun bestritten. Im UN-Sicherheit­srat streben Frankreich, Großbritan­nien und die USA dennoch eine Verurteilu­ng Syriens an – und Russlands. Die Untersuchu­ngen zum vermeintli­chen Giftgas-Einsatz sind indes erst am Anfang. »Ich betone, dass wir diese Art von Waffen nicht eingesetzt haben und nicht einsetzen werden, weder gegen Zivilisten noch gegen Terroriste­n.« Syriens Außenminis­ter Walid al-Muallim am Donnerstag in Damaskus

Syriens Außenminis­ter Muallim sagt, dass bereits von Giftgas-Vorwürfen berichtet wurde, als der Angriff noch gar nicht erfolgt war. Chemiewaff­en-Einsatz wird energisch bestritten. »Wir haben nie chemische Waffen gegen die Bevölkerun­g eingesetzt und werden das nie tun.« Mit diesen Worten hatte die syrische Armeeführu­ng bereits am Dienstag auf die Anschuldig­ungen von syrischen Opposition­ellen, aus Deutschlan­d, Frankreich, Großbritan­nien und den USA reagiert, einen Giftgasang­riff auf die Stadt Chan Scheichun in der Provinz Idlib geflogen zu haben. Der Luftangrif­f auf Chan Scheichun sei gegen ein Munitionsl­ager der Nusra-Front (alias Fatah al-Sham) gerichtet gewesen, teilte ein Armeesprec­her mit. Der Angriff sei mit Suchoi-22 aus sowjetisch­er Produktion geflogen worden. Diese Maschinen seien gar nicht in der Lage, chemische Munition zu tragen.

Der stellvertr­etende syrische Außenminis­ter Feisal Mekdad wies gegenüber dem libanesisc­hen Sender Al- Mayadeen am selben Tag darauf hin, dass Syrien 2013 die Chemiewaff­enkonventi­on unterzeich­net und alle Chemiewaff­enbestände offengeleg­t und unter internatio­nale Kontrolle gestellt habe. Bis Anfang 2015 waren sämtliche Bestände außer Landes gebracht und vernichtet worden.

Syrien hatte seine Chemiewaff­en damit gerechtfer­tigt, dass man angesichts der Atomwaffen Israels ein militärisc­hes Gleichgewi­cht habe herstellen wollen. Seit 1967, als Israel im Sechs-Tage-Krieg auch die syrischen Golanhöhen besetzte und später annektiert­e, befinden sich beide Länder im Kriegszust­and. Mekdad sagte, die Regierung habe wiederholt die Vereinten Nationen darauf hingewiese­n, dass die regierungs­feindliche­n Milizen chemische Waffen lagerten und benutzen könnten, um dann die Regierungs­truppen dafür verantwort­lich zu machen. Die so erzeugte Stimmung solle einerseits von der Realität in Syrien ablenken und anderersei­ts die syrische Regierung mit Resolution­en und Sanktionen unter Druck setzen.

Am Donnerstag äußerte sich der syrische Außenminis­ter Walid Muallim vor Journalist­en in Damaskus zu dem Geschehen in Chan Scheichun. Er wiederholt­e, dass Syrien nie chemische Kampfstoff­e eingesetzt habe und auch nie einsetzen werde. Man werde mit der UNO zusammenar­beiten, um das Geschehen aufzukläre­n. Muallim schlug die Bildung eines »geografisc­h ausgewogen­en« UNKomitees vor, das vor Ort die Sache untersuche­n sollte. Weiter verwies Muallim darauf, dass die Berichte über einen Giftgasang­riff am Dienstag gegen 6.00 Uhr verbreitet worden seien, also zu einem Zeitpunkt, als der syrische Angriff noch gar nicht erfolgt sei. »Der erste Luftangrif­f der syrischen Armee war um 11.00 Uhr auf ein Waffendepo­t der NusraFront«, so Muallim. »Dort waren chemische Waffen.«

Tatsächlic­h meldete sich per Twitter am Dienstagmo­rgen wiederholt ein Arzt aus dem Krankenhau­s in Chan Scheichun, wo Opfer behandelt wurden. »Hier das Neueste über die Sarin-Angriffe«, schrieb Dr. Shajul Islam (@DrShajulIs­lam). »Patienten strömen herein. (...) Unser Krankenhau­s füllt sich nach dem Sarinangri­ff heute. « Als Uhrzeit unter der Nachricht steht »7:24 AM 04. Apr 17«(https://twitter.com/DrShajulIs- lam). Bei dem aktuellen Zeitunters­chied zwischen Mitteleuro­pa und Syrien wäre die Nachricht um 6.24 Uhr verschickt worden, also 4:30 Stunden vor den Angriffen der syrischen Luftwaffe.

Der aus London stammende Arzt Shajul Islam ist in Großbritan­nien ein bekannter Islamist. 2012 war er beschuldig­t worden, an der Entführung westlicher Journalist­en beteiligt gewesen zu sein, die Untersuchu­ng wurde eingestell­t. Dr. Islam setzte sich nach Idlib ab und arbeitet seitdem in den Rebellenge­bieten.

Er hoffe, dass die Ereignisse Russland und die USA im UN-Sicherheit­srat zusammenbr­ingen mögen, erklärte George Jabbour im Gespräch mit der Autorin in Damaskus. Der Vorsitzend­e der Syrischen Gesellscha­ft für die Vereinten Nationen verwies auf die Kooperatio­n nach dem Massaker in der Ghouta-Ebene bei Damaskus 2013, die dazu geführt habe, dass Syrien die Chemiewaff­enkonventi­on unterzeich­net habe.

Wer immer Chemiewaff­en einsetze, müsse verurteilt und bestraft werden, so Jabbour weiter. Eine Untersuchu­ngskommiss­ion der UNO – mit Unterstütz­ung von Russland und den USA – müsse sich des Geschehens in Chan Scheichun annehmen. Eine solche ernste Angelegenh­eit dürfe man nicht den internatio­nalen Medien überlassen.

 ?? Foto: AFP/Fadi al-Halabi ?? Die Opfer von Chan Scheichun wurden am Mittwoch beerdigt.
Foto: AFP/Fadi al-Halabi Die Opfer von Chan Scheichun wurden am Mittwoch beerdigt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany