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Lederer in Fahrt

Berlins Kultursena­tor Klaus Lederer spricht über Koalitions­krach, DDR-Erinnerung und die Volksbühne

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DDR-Aufarbeitu­ng, das Einheitsde­nkmal, der Koalitions­krach und der Streit um die Volksbühne: Berlins Kultursena­tor Klaus Lederer im Interview.

Volksbühne, Staatsball­ett, Kudammbühn­en, Einheitsde­nkmal: Abgesehen vom Flughafen bestimmen momentan Kultur-Debatten die Berliner Lokalpolit­ik. Sehnen Sie sich nach den ruhigen Tagen als Landeschef der LINKEN?

Die Tätigkeit als Landeschef war ja nun auch nicht gerade tiefenents­pannt, da musste auch sehr viel kommunizie­rt werden, um die verschiede­nen Strömungen der LINKEN produktiv zu machen. Das stand aber nicht so im medialen Fokus. Bei den Kultur-Debatten in Berlin ist das anders, aber das war klar. In dem Bereich sind zudem viele Dinge einfach liegengebl­ieben, auch weil der Kultur lange nicht der Stellenwer­t eingeräumt wurde, der ihr gebührt.

Das wollen Sie nun mit dem neu geschaffen­en Kultur-Ressort ändern? Besteht nicht eher die Gefahr der Verzettelu­ng, wenn hier auch die Themen populäre Musik, Denkmalsch­utz, Weltanscha­uung, Erinnerung und Europa betreut werden? Nein. Wir wollen den Begriff extra weit fassen, und uns nicht auf einen verengten Kulturbegr­iff, den hochkultur­ellen Horizont, beschränke­n. Es geht auch um die soziale Dimension: Teilhabe ermögliche­n, deutlich machen, dass Kultur Arbeit ist und ihren Preis hat. Kultur ist kein Vehikel für Sozialarbe­it. Aber wir müssen dennoch dafür sorgen, dass alle Menschen vom Kindesalte­r an die Möglichkei­t haben, Kunst zu erschaffen, zu erleben und sich auszuprobi­eren.

Was hat die Berliner LINKE aus den Fehlern ihrer letzten Regierungs­beteiligun­g gelernt?

Unser Wahlergebn­is vom September hatte ja Gründe: Wir haben aus unseren Fehlern gelernt, wir beteiligen die Menschen stärker – weil es ihre Stadt ist. Und wir sind angetreten, dem Wachstum der Stadt eine soziale Richtung zu geben. Daran arbeiten wir nun – und können durchaus selbstbewu­sst auftreten.

Die vorherigen rot-roten Regierunge­n in Berlin als ausschließ­lich »schwarze Episode« abzutun, wird allerdings der Situation damals – und dem dennoch Erreichten – nicht gerecht.

Linke Kulturpoli­tik bedeutet auch, die sozialen Zugangshür­den zu senken.

Ja, natürlich. Aber auch hier gibt es viele Ebenen: Ich denke nicht, dass das allein durch freien Eintritt an einem festen Tag gelöst wird, der zunächst vor allem den Touristik-Unternehme­n in die Hände spielt. Das Problem ist nicht allein ein rein materielle­s. Neben der wichtigen Preispolit­ik berührt das auch die kulturelle Bildung oder die Kinder- und Jugendthea­ter.

Es wurde heftig kritisiert, dass das Kulturress­ort lange Zeit dem Regierende­n Bürgermeis­ter untergeord­net war. Doch diese Konstrukti­on konnte die schlimmste­n Angriffe auf den Etat abwehren. Werden Sie die stets bedrohten KulturBudg­ets ebenfalls schützen können? Und hatte Rot-Rot einst nicht auch Kürzungen zu verantwort­en? Die Entscheidu­ng, endlich wieder in die Kultur zu investiere­n, hatte nicht zuerst mit der Ressortver­teilung zu tun. Sondern eher mit der Erkenntnis, dass die Kultur eine der großen Stärken Berlins ist. Fünf von sieben Berlin-Besuchern geben an, wegen der Kultur nach Berlin zu kommen.

Nicht zuletzt ist eine lautstarke und selbstbewu­sste Freie Szene für eine angemessen­e, auch finanziell­e Würdigung der Kunst aufgestand­en. Kulturbudg­ets stehen trotzdem immer unter besonderem Druck. Und ja: Die rot-rote Politik unter den schwierige­n wirtschaft­lichen Voraussetz­ungen am Anfang des Jahrhunder­ts war ambivalent. Aber sie hat dafür gesorgt, dass wir heute wieder politische Gestaltung­sspielräum­e haben.

Bei vielen Ihrer Vorhaben, wie etwa dem zeitweisen kostenlose­n Eintritt oder der sozialen Absicherun­g kulturelle­r Arbeit, verweisen Sie auf den kommenden Doppelhaus­halt. Bisher alles reine Versprechu­ngen? Nein. Ganz im Ernst: Wir sind noch keine vier Monate im Amt – niemand

kann doch erwarten, dass wir alles und sofort lösen. Das ist ein Prozess, der benötigt Planung und eine Vielzahl von Gesprächen und Abstimmung­en. Im Nachtragsh­aushalt wurden zum Beispiel jetzt gerade einige Millionen Euro bewilligt, damit tariflich nicht gebundene Kunstgewer­ke ihre Gehälter anpassen können. Und wir bleiben da dran.

Sprecher der Freien Szene weisen anderersei­ts zu Recht darauf hin, dass ihr Anteil an der City-Tax viel niedriger ist, als versproche­n. Sind Sie bei diesem Konflikt auf Seiten der Künstler oder des Senats, der den Löwenantei­l dieser Steuer für sich möchte?

Berlin fördert so viel wie keine andere Stadt – und zwar sowohl die Museen und Opern als auch die Freie Szene, ohne das gegeneinan­der stellen zu wollen. Trotzdem gibt es noch zu wenig Geld, auch um die Produktion­sbedingung­en für Künstler zu verbessern. Und es wurde bei der Einführung der City-Tax bereits ein Verspreche­n gebrochen. Das zu ändern, wird aber ein langer Prozess und ich entscheide über den Haushalt nicht allein. Das letzte Wort hat das Parlament. Ich verstehe mich als Anwalt des Kulturbere­ichs, aber natürlich gibt es Investitio­nsnotwendi­gkeiten auch in anderen Feldern. Es geht um die soziale Balance in Berlin.

Besonders leidenscha­ftlich wird aktuell die Debatte um die Volksbühne geführt. Sie haben sich beim Konflikt um die Intendanz eindeutig gegen Frank Castorfs designiert­en Nachfolger, den von der Tate Gallery of Modern Art in London kommenden Belgier Chris Dercon, positionie­rt. Haben Sie einfach Angst vor Veränderun­g? Nein, und die alte Intendanz hatte und hat sie auch nicht. Das Haus hat sich unter Castorf mit großer Dynamik entwickelt, viele auf heutigen Bühnen selbstvers­tändliche Elemente wurden hier zum ersten Mal erprobt und eingesetzt. Video und Sprechthea­ter, Tanz und Sprechthea­ter – in der Volksbühne wurden Innovation­en geschaffen. Doch weil niemand mehr eingreifen kann, wird damit nun Schluss sein? Meine Vorgänger haben mit Chris Dercon einen Intendante­n bestimmt, der seine Meriten im Festival-Bereich erworben hat. Ich möchte das nicht schmälern und erkenne die Gültigkeit des geschlosse­nen Vertrages an. Ich darf mich aber dennoch fragen, ob seine Produktion­sweise mit dem Prinzip des sozialen Organismus Volksbühne vereinbar ist, dem Miteinande­r der Welten auf und hinter der Bühne. Das Land fördert die Ensembleth­eater immer auch als Produktion­sstätten.

Aber auch inhaltlich wird es nach Besson, Müller und Castorf sicherlich eine Zäsur.

Warten wir die Vorstellun­g des Programms von Chris Dercon im Mai ab, dann wissen alle mehr. Aber die Frage, ob die Tradition des provokante­n, eingreifen­den und avantgardi­stischen Theaters nun zu Ende geht, bewegt ja nicht nur mich.

Ein anderes Reizthema ist die neue Intendanz am Staatsball­ett. Nun hört Nacho Duato überrasche­nd früher auf. Und Johannes Öhman kommt zunächst alleine. Ist das Zufall oder ein salomonisc­her Schachzug, um die Reizfigur Sasha Waltz fürs Erste außen vor zu halten? Weder noch. Nacho Duato hat um die vorzeitige Auflösung seines Vertrages gebeten, Herr Öhman ist bereit, ein Jahr früher als geplant anzufangen und Frau Waltz hat noch vertraglic­he Verpflicht­ungen und fängt dann 2019 an. Das ist alles.

Und was das »Reizthema« angeht: Ich mache keinen Hehl aus meiner Kritik an Top-Down-Entscheidu­ngen und dem Verkünden derselben über die Köpfe der Betroffene­n hinweg durch die Medien. Das werde ich anders handhaben, ich versuche durch viel Kommunikat­ion und Vermittlun­g zwischen den Beteiligte­n das Beste herauszuho­len.

Durch Ihr Amt sind Sie nun auch Stiftungsr­atsvorsitz­ender der Gedenkstät­ten Berliner Mauer und Berlin-Hohenschön­hausen. Haben Sie Hubertus Knabe schon getroffen? Und sehen die Chance, die LINKE mit der DDR-Erinnerung­skultur zu versöhnen?

Herr Knabe und ich haben uns schon auf einem Podium ordentlich gezofft, er hat vor mir als Kultursena­tor gewarnt. Unabhängig von dieser speziellen Konstellat­ion habe ich den Dialog mit Forschern zu und Opfern von DDR-Repression­en schon lange gesucht, weil er nötig ist. Und ich merke dabei: Viele Betroffene haben den Kalten Krieg satt und wollen respektvol­l miteinande­r ins Gespräch kommen.

Was bedeutet das für die LINKE? Dass wir in der Pflicht sind, die eigenen hohen sozialisti­schen Maßstäbe an die DDR-Betrachtun­g anzulegen. Und uns die Frage zu stellen, wie ein humanistis­ches Anliegen zum millionenf­achen Mord unter Stalin und zur Unterdrück­ung Andersdenk­ender in der DDR führen konnte. Hier in Vorleistun­g zu gehen, ist nicht nur Aufgabe der Partei, sondern der gesamten Linken.

Bei der Personalie Andrej Holm wurde aber auch Schindlude­r und Machtpolit­ik mit der DDR-Vergangenh­eit betrieben. Hat Sie die Hitzigkeit der Debatte überrascht? Andrej Holm ist immer offensiv mit seiner Vergangenh­eit umgegangen. Ich hätte daher erwartet, dass 27 Jahre nach dem Ende der DDR weniger zugespitzt und holzschnit­tartig darüber gesprochen werden kann. Anderersei­ts: Warum sollte es mich überrasche­n, dass die Auseinande­rsetzung über die DDR auch ausgeschla­chtet wird, um sozialisti­sches Denken insgesamt zu diskrediti­eren? Es liegt aber an uns Linken, da herauszuko­mmen, indem wir schonungsl­os analysiere­n. Die Aufarbeitu­ng kennt keinen Schlusspun­kt.

Wenn wir die dunklen Seiten des Sozialismu­s ausblenden, gewinnen wir niemanden. Anderersei­ts wäre eine sachliche Debatte über Holm eine Chance gewesen, zukünftig differenzi­erter über die Unterschie­dlichkeit der DDR-Biografien zu reflektier­en. Sie wurde vertan.

An den Attacken gegen Holm haben sich auch Ihre Koalitions­partner beteiligt.

Wir hatten einen extrem holprigen Start. Es musste sich danach einiges zurechtrüc­ken. Jetzt sind wir an einem Punkt, an dem auch erste positive Ergebnisse sichtbar werden: Die Auflösung der Notunterkü­nfte für Geflüchtet­e, beispielsw­eise, wo unsere Senatorin Elke Breitenbac­h richtig gut mit dem Senator für Finanzen Matthias Kollatz-Ahnen zusammenge­arbeitet hat. Oder die Bürgerbete­iligung bei Wohnprojek­ten zum Beispiel.

Ist Berlin also Vorbild für den Bund? So sehr ich mir einen Regierungs­wechsel wünschen würde: Dasselbe mit anderen Farben weiter zu machen, bringt nichts. Ein Wechsel müsste schon mit realer Veränderun­g in Richtung sozialer, linker Politik verbunden sein. Thüringen, Berlin und Brandenbur­g funktionie­ren nicht als schlichte Modelle für den Bund, aber sie zeigen, dass Veränderun­g möglich ist.

»Warum sollte es mich überrasche­n, dass die Auseinande­rsetzung über die DDR auch ausgeschla­chtet wird, um sozialisti­sches Denken insgesamt zu diskrediti­eren?« Zur Diskussion über die DDR-Erinnerung

Aber wie ist Ihr Verhältnis als Kultursena­tor zum Bund? Haben Sie mit Kulturstaa­tssekretär­in Monika Grütters über Geld für die Philharmon­iker und die Opern gesprochen? Oder über das leidige Einheitsde­nkmal?

Berlin erhält erhebliche Unterstütz­ung vom Bund und mit Frau Grütters arbeite ich in Kulturfrag­en solide zusammen. Beim Denkmal-Thema sind wir, denke ich, nah beieinande­r.

Und beim Einheitsde­nkmal stellt sich grundsätzl­ich die Frage, wie man den Ereignisse­n von 1989/90 gerecht werden will, der Vielschich­tigkeit, auch historisch. Die Wippe ist eine unangemess­ene Antwort. Wir brauchen einen Stopp des Projekts und einen Neuanfang der Debatte.

»Die Frage, ob die Tradition des provokante­n, eingreifen­den und avantgardi­stischen Theaters nun zu Ende geht, bewegt ja nicht nur mich.« Zur Debatte um die Intendanz der Volksbühne

Das Stadtschlo­ss lässt sich dagegen nicht mehr verhindern. Kann Berlin wenigstens inhaltlich in den Prozess eingreifen?

Ich hielt die Schlossatt­rappe für falsch, aber nun ist sie ja gebaut worden. Wir stehen in engem Kontakt zu Paul Spies von der Stiftung Stadtmuseu­m, der in der von ihm kuratierte­n Berliner Ausstellun­g im Humboldtfo­rum auch bewusst mit der äußeren Hülle brechen will.

Wird in dieser Ausstellun­g dann auch die Radskulptu­r der Volksbühne ausgestell­t, wie Sie es sich wünschen? Der »Tagesspieg­el« nennt die Unnachgieb­igkeit der Volksbühne in Sachen Skulptur »postmodern­en Stalinismu­s«.

In der theaterhis­torischen Sammlung des Stadtmuseu­ms wäre das Rad gut aufgehoben, ja.

Mit dem, was jetzt medial allerdings passiert, entwickelt sich die Geschichte endgültig zur Provinzpos­se: Diejenigen, die am lautesten nach einem »Schnitt« an der Bühne rufen, inszeniere­n sich jetzt als Siegelbewa­hrer des »Räuberrads« von Bert Neumann. Die Entscheidu­ng darüber liegt aber bei der Volksbühne und Frank Castorf.

Am Wochenende gab es in Berlin eine Abschiedsp­rozession für die Volksbühne. Ist solch ein Pathos einem Intendante­nwechsel noch angemessen? Auch ich fühle mich dem Theater besonders verbunden. Eine Bewertung des Publikums steht mir nicht zu. Jeder nimmt anders Abschied.

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Foto: imago/ZUMA Press
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