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»Wut und Empörung geben mir Kraft«

Pia Eberhardt von der NGO Corporate Europe Observator­y setzt sich kritisch mit Einfluss und Machenscha­ften von Großkonzer­nen in Europa auseinande­r

- Von Kay Wagner, Brüssel

Sie wurde durch Anne Will zum »deutschen Gesicht des Widerstand­s gegen TTIP«. Heute würde Pia Eberhardt nicht noch einmal in die Talkshow gehen. Ihr Anti-Lobby-Engagement setzt sie fort. Es war der 14. Mai 2014, als Pia Eberhardt mit einem Schlag Millionen von Deutschen bekannt wurde. Damals saß Eberhardt in der ARD-Talkshow von Anne Will. Thema: das geplante Freihandel­sabkommen zwischen der EU und den USA, TTIP. »Eine klare Gegnerin des Freihandel­sabkommens«, so präsentier­te Will Eberhardt. Auf dem Bildschirm erschien das Gesicht einer jungen Frau mit Kurzhaarfr­isur und Piercing über der Oberlippe. Hellgraue Feinstrick­jacke über einem türkisfarb­enen Shirt, schmales Lächeln, offene braune Augen. Mädchenhaf­te Stimme, klare Aussagen, interessan­te Geschichte­n.

Die Sendung machte Eberhardt zum »deutschen Gesicht des Widerstand­s gegen TTIP«, wie sie einige Medien in der Folge bezeichnet­en. »Das wollte ich nie werden, und ich würde auch nicht noch mal in so eine Talkshow gehen«, sagt Eberhardt heute. Solche Sendungen seien ihr zu oberflächl­ich, eben mehr »Show« als Diskussion. Obwohl sie auch erkennt, dass ihr Auftritt bei Anne Will viel Positives für die Anti-TTIP-Bewegung ausgelöst habe.

Aus privaten Gründen ist sie gerade von Köln nach Berlin umgezogen. Wieder in eine Wohngemein­schaft. Das sei ihre Welt, sagt die 38Jährige im Gespräch mit »nd«. Ihrer Arbeit bei der Nichtregie­rungsorgan­isation Corporate Europe Observator­y (CEO) mit Büro in Brüssel bleibt sie treu. Dort hatte Eberhardt 2008 angefangen. Aus Überzeugun­g. Sich kritisch mit Einfluss und Machenscha­ften von Großkonzer­nen in Europa auseinande­rzusetzen und Kam- pagnen zu organisier­en, wenn Gemeinwohl und Demokratie von diesen Großkonzer­nen umgangen werden, auch das ist ihre Welt.

Immer mal wieder führt sie Journalist­en in Lobby-Spaziergän­gen durch das Brüsseler Europavier­tel und berichtet vor den Büros von zum Beispiel Goldman Sachs, BASF und Vattenfall über die Beeinfluss­ung der EU-Politik durch Großuntern­ehmen. Dinge, die normalerwe­ise nicht an die Öffentlich­keit dringen. Gastbeiträ­ge in der »Zeit«, der »Frankfurte­r Rundschau«, aber auch dem »Manager Magazin« hat sie über ihre Position zu den Freihandel­sabkommen veröffentl­icht. Zwei Jahre lang fertigte sie bei CEO eine Studie zu Investitio­nsschutzab­kommen an. Titel: »Profiting from Injustice«, deutsch: Von Ungerechti­gkeit profitiere­n. Mehrere hundert Gerichtspr­ozesse aus der internatio­nalen Handelswel­t hatte sie dafür studiert. Eine Frau, die weiß, wovon sie spricht.

Als Tochter eines Metzgers und einer Drogistin aus Groß-Umstadt bei Darmstadt ist Eberhardt aber erst Anfang ihres Studiums auf das Thema gestoßen, das sie heute beruflich verfolgt. Ihre Eltern hätten sich politisch nie engagiert. Musikalisc­h bewegte sie sich als Jugendlich­e zwar in Subkulture­n wie Punk und Hardcore – aber ein Engagement erwuchs auch daraus nicht. »2001 oder 2002 habe ich dann ein Praktikum bei einer entwicklun­gspolitisc­hen Organisati­on gemacht, die sich mit der Nord-SüdPerspek­tive kritisch auseinande­rgesetzt hat«, erzählt Eberhardt.

Bis dahin hatte sie mit internatio­nalem Handel noch wenig zu tun. »Ich wusste gerade mal, dass es die Welthandel­sorganisat­ion gab«, sagt sie. Doch dann war ihr Interesse geweckt, sie blieb am Thema dran. Sie schloss sich dem globalisie­rungskriti­schen Netzwerk ATTAC an, das zu der Zeit gerade viel Zulauf in Deutschlan­d erfuhr. In »Hunderten von Vorträgen, manchmal nur vor fünf Leuten«, schulte sie ihre Fähigkeit, vor Publikum zu sprechen. Dem Magister in Politikwis­senschaft an der Uni Köln – »eher konservati­v in diesem Fachbereic­h« – setzte sie noch einen »kritischer­en« Master an der Uni Kassel zum Thema »Politische Ökonomie« drauf und forschte danach ein Jahr zum Thema »Geschlecht und Migration«. Von da aus ging es zu CEO.

Im vergangene­n Jahr nahm Eberhardt sich eine Auszeit. Kein Kampf gegen TTIP, CETA und Co., sondern Nachdenken über ihr eigenes Engagement. »Das war eine sehr gute Zeit«, sagt sie. Viele Fragen, ob die Arbeit bei CEO noch das Richtige für sie sei, habe sie mit Ja beantworte­n können. Deshalb könne sie sich auch vorstellen, in zehn Jahren noch immer gegen unfaire Welthandel­spraktiken und übermächti­gen Einfluss von Großkonzer­nen zu arbeiten. »Wut und Empörung geben mir die Kraft«, sagt Eberhardt, die dieses Engagement auch nicht als aussichtsl­osen Kampf gegen Windmühlen betrachtet, sondern als ihren Beitrag im Bemühen um eine gerechtere Welt. »Ich profitiere heute von Kämpfen, die andere vor mir gekämpft haben«, erinnert sie an das Frauenwahl­recht, den Acht-StundenArb­eitstag oder die Anti-Atom-Bewegung.

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Foto: privat Pia Eberhardt

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