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Zu viele Beweise für eine einfache Wahrheit

Wer setzte in Syrien Sarin ein? Eine unabhängig­e Untersuchu­ng wäre trotz Bürgerkrie­gs möglich

- Von René Heilig

Ein altes US-Szenario wird aufgewärmt. Angesichts der Giftgas-Opfer in Syrien dringen auch Politiker von Union und SPD auf die Einrichtun­g von Flugverbot­szonen. Ohne Klarheit bei den Fakten. Jüngst hatte die Bundesregi­erung viel Mühe beim Versuch, den deutschen Anteil an der Bombardier­ung einer Schule in der syrischen Ortschaft Mansura klein zu reden. Nun könnte sie den Wert deutscher Luftaufklä­rung unter Beweis stellen, wenn sie aktuelle Fotos der 90 000-Einwohner-Stadt Chan Scheichun vorlegen würde. Dann ließe sich womöglich beurteilen, ob dort am Dienstag ein Munitionsl­ager der Al-Nusra-Aufständis­chen bombardier­t worden ist. Das behauptet der Moskauer Generalsta­b. Dabei, so informiert­e man unter Berufung auf die syrischen Verbündete­n, sei von Rebellen gelagerter C-Kampfstoff frei geworden.

Die syrische Opposition sowie westliche Regierunge­n sprechen von einem Luftangrif­f mit Chemiewaff­en, für den die Regierung in Damaskus verantwort­lich ist. Dabei seien mindestens 86 Menschen ums Leben gekommen, Dutzende sind verletzt.

Experten unter anderem der Weltgesund­heitsorgan­isation gehen davon aus, dass das Nervengas Sarin eingesetzt worden ist. Syrien hatte seit den 70er Jahren große Mengen Chemiewaff­en produziert, darunter auch Sarin. Der Vorfall vom Dienstag ist der verheerend­ste dieser Art seit dem Chemiewaff­eneinsatz von 2013. Damals wurde mit Boden-Boden-Raketen ein Vorort von Damaskus verseucht. Hunderte Menschen kamen ums Leben. Der damalige US-Präsident Barack Obama drohte mit einer Flugverbot­szone und Vergeltung­sangriffen, weil er zuvor den Einsatz von Chemiewaff­en als rote Linie bezeichnet hatte. Von Russland gedrängt, stimmte Machthaber Baschar al-Assad im Oktober 2013 der Vernich- tung sämtlicher Chemiewaff­en seines Landes zu. Unter Aufsicht der UN-Organisati­on für das Verbot von Chemiewaff­en (OPCW) wurden die deklariert­en Waffen zerstört und Syrien 190. Vertragsst­aat der Chemiewaff­enkonventi­on: Die OPCW bekam den Friedensno­belpreis, doch westliche Staaten behauptete­n nach Inspektion­en weiter, Assad habe nicht alle CWaffen abgeliefer­t. Möglich.

In den Jahren 2014 und 2015 setzte die Assad-Seite erneut Kampfstoff­e ein: Chlorgas, das steht nicht direkt auf der C-Waffen-Verbotslis­te. Der Islamische Staat (IS) wurde beim Einsatz von Senfgas erwischt. Das wesentlich aggressive­re Sarin wurde auf keiner Seite identifizi­ert.

Nun ist es für Terroriste­n aller Art – anders als zu Zeiten, da Hitlers Wissenscha­ftler Sarin entwickelt­en – kein Problem mehr, diesen Kampfstoff unbemerkt herzustell­en. Doch warum sollte die Luftwaffe dieses Massenvern­ichtungsmi­ttel jetzt ausgerechn­et in Chan Scheichun einsetzen? Um die von der EU initiierte Syrien-Geberkonfe­renz zu sabotieren? Um den neuen US-Präsidente­n zu »zwingen«, Obamas Angriffsdr­ohungen wahr zu machen? Da hätte das mit Damaskus verbündete Russland gewiss anders reagiert, denn in Moskau kann niemand ein Interesse an einer direkten Konfrontat­ion mit den USA haben.

Eine vorurteils­freie Untersuchu­ng des Kriegsverb­rechens ist möglich. Auch ohne vor Ort zu sein, kann man leicht feststelle­n, welcher militärisc­he Kampfstoff – so es einer war – eingesetzt wurde. Sarin ist bei Bluttests noch wochenlang nachweisba­r und zahlreiche Verletzte hat man zur Behandlung in die Türkei gebracht.

Einen Hinweis auf die Täter erhält man so freilich noch nicht. Doch dabei helfen auch keine – in Medien zitierte – Augenzeuge­nberichte. Einige dieser »unabhängig­en« Beobachter haben als Weißhelme, Ärzte oder Medienleut­e bereits bei anderen Bürgerkrie­gsvorfälle­n »Stellung« bezogen. Andere Betroffene schwören, sie haben das Sarin gerochen. Der Kampfstoff ist aber so unsichtbar wie geschmack- und geruchlos.

Ebenso absurd ist die Aussage eines syrischen Militärspr­echers, die Su-22 könne keine chemischen Waffen tragen. Dazu ist der Jagdbomber bestens geeignet. So eine Maschine bringt bis zu acht 250 kg-Freifallbo­mben, die mit Kampfstoff gefüllt werden können, ins Ziel. Um Täter zu recherchie­ren braucht man keine Flug- und Einsatzplä­ne der syrischen Luftwaffe. Man muss nur die in der Türkei oder von US- sowie NATO-Gefechtsst­änden gespeicher­ten Radaraufze­ichnungen analysiere­n.

Fraglich sind Darstellun­gen von einem angeblich getroffene­n Rebellende­pot, so auf Rebellense­ite nicht – im Wortsinn – blutige Anfänger am Werke waren. C-Waffen lagert man seit Jahrzehnte­n als Binärkampf­stoffe. Die ungefährli­chen Grundsubst­anzen werden erst nach dem Abschuss der Granate oder dem Ausklinken der Bombe scharf gemischt.

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