nd.DerTag

Unbekannte bekannte Mafia

Wie deutsches Recht die ’Ndrangheta schützt

- Von Sandro Mattioli Sandro Mattioli ist deutsch-italienisc­her Journalist und Vorsitzend­er des Berliner Vereins »Mafia? Nein, danke!.«

Der Umgang mit der Autorin Petra Reski offenbart, wie wenig Deutschlan­d bereit ist, ernsthaft gegen die Organisier­te Kriminalit­ät vorzugehen. Nehmen wir einmal an, Luigi Rossi ist Mafioso in Stuttgart, Alberto Bianco in München, Pino Ferro in Erfurt und Nicola Tonno in Frankfurt am Main. Die Herren unterhalte­n die entspreche­nden Kontakte, sind mit bekannten Mafiosi im Bunde, ja, es existieren sogar Zeugenauss­agen und offizielle Dokumente in Italien, die keinen Zweifel daran lassen, dass diese Personen der Organisier­ten Kriminalit­ät angehören. Und nehmen wir einmal an, ich als Journalist habe das recherchie­rt und schreibe diese Informatio­n in diesen Artikel. Weil ich denke, dass die Öffentlich­keit ein Interesse hat zu erfahren, wer in ihrem Land mit Drogen und Waffen handelt und die immensen Gewinne vor allem aus dem Kokaingesc­häft in die legale Wirtschaft investiert und so Schritt für Schritt unsere Gesellscha­ft unterwande­rt.

Was dann passiert, ist leicht vorauszuse­hen: Die Beschuldig­ten werden mich verklagen, werden Recht bekommen, ich muss Schadeners­atz zahlen und noch dazu die Gerichtsko­sten. Dieser Artikel hier würde mich auf diese Weise schnell mehrere zehntausen­d Euro kosten und das »nd« ebenso. Dies ist auch der Grund, weshalb die Namen erfunden sind und nicht reale Beispiele, wie sie jede Journalist­in und jeder Journalist, die oder der sich ernsthaft mit der Mafia befasst, nennen könnte.

So wie es Petra Reski seit Jahren tut. Die Autorin und Journalist­in berichtet regelmäßig über die italienisc­he Mafia, auch in deutschen Medien. Der Umgang der Wochenzeit­ung »Freitag« mit einem ihrer Artikel hat nun eine Welle der Empörung ausgelöst. Reski schrieb über Italiener, die in Thüringen ihre Basis haben und von dort Millionen Euro der ’Ndrangheta investiere­n würden. Aufhänger des Textes war ein Urteil, das wenige Monate zuvor vom Landgerich­t Leipzig gefällt worden war. Es gab der Klage eines Mannes statt, der gegen eine MDR-Fernsehdok­umentation mit dem Titel »Provinz der Bosse – Die Mafia in Mitteldeut­schland« vorgegange­n war. Er ging schließlic­h auch gegen Reskis Berichters­tattung vor. Er sah erneut seine Persönlich­keitsrecht­e verletzt und klagte auf Unterlassu­ng – zunächst gegen die Journalist­in, dann auch gegen den »Freitag«. Und bekam Recht. Petra Reski soll nun zahlen. Der »Freitag«, so die Autorin, verweigere ihr finanziell­e und juristisch­e Unterstütz­ung. Insbesonde­re die Äußerungen des Geschäftsf­ührers Jakob Augstein mögen skandalös sein, mindestens ebenso ist es die Gerichtsen­tscheidung selbst.

Warum aber bekommen diese Herren Recht? Weil in Deutschlan­d die Mitgliedsc­haft in der Mafia nicht strafbar ist und somit kaum Gegenstand von Ermittlung­en. Dies führt zu so absurden Konsequenz­en wie im Fall der ’Ndrangheta-Ableger im Bodenseera­um. Dort ist die kalabrisch­e Mafia quasi flächendec­kend vertreten, selbst in kleinen Städten gibt es Zellen. Das baden-württember­gische Landeskrim­inalamt hat die Gruppe dort sogar seit 2009 intensiv im Blick. Es gab zwei Jahre lang intensive Abhörmaßna­hmen, die keinen Zweifel daran ließen, dass man es mit Mafiosi zu tun hatte. Am Ende konnte man den Männern nach deutschem Recht dennoch nichts am Zeug flicken. Erst mit Haftbefehl­en aus Italien wurde die Leitung der Mafiaorgan­isation dort abgeräumt. Das Fußvolk dagegen blieb unangetast­et.

Man kann es vereinfach­t auch so sagen: In Deutschlan­d ist nur Mafioso, wer in Italien als Mafioso verurteilt worden ist. Dass dies die wenigsten der ein- bis zweitausen­d Mitglieder der Mafia sind, die sich hierzuland­e aufhalten, liegt auf der Hand.

Genau diesen Umstand nutzen nicht nur die Mafia-Verdächtig­en in Thüringen aus. So bekam die gerichtlic­he Auseinande­rsetzung, zu der sich das MDR-Team gezwungen sah, weit weniger Aufmerksam­keit als das Verfahren, dem sich Petra Reski stellen musste. Ein Artikel der »FAZ« hat den Gerichtsen­tscheid zulasten von Petra Reski und die Hintergrün­de vor wenigen Tagen ausführlic­h dargestell­t.

Das Problem ist: Die deutsche Rechtslage sorgt dafür, dass es weitgehend unmöglich ist, über die Mafia zu berichten. Würde es sich bei der ’Ndrangheta nur um eine Hütchenspi­eler-Truppe handeln, wäre das nicht allzu schlimm. Bedenkt man aber, dass die Organisati­on Dutzende Milliarden Euro im Jahr verdient und dieses Geld gezielt in der legalen Wirtschaft einsetzt, wird die Bedeutung klarer. Gesetzlich­e Anpassunge­n sind dringend nötig, um die Praktiker dieses Geschäfts ans Licht zu holen.

Wie die Geldwäsche abläuft, zeigt ein Beispiel eines italienisc­hen Unternehme­rs. Der Mann wollte ein Fabrikarea­l für weit über 100 Millionen Euro kaufen. Er könne ohne eine Bankenfina­nzierung bezahlen, er habe die Mittel liquide, sagte er dem Verkäufer. Die italienisc­he Mafia investiert inzwischen längst mit Hilfe deutscher Freunde ihr Kapital und das nicht in Tausendere­inheiten, sondern im Millionenb­ereich. All das sind Geschäfte, die nicht in einem Graubereic­h unserer Gesellscha­ft ablaufen, sondern mitten unter uns.

Als ich vor vielen Jahren anfing, zum Thema Mafia zu recherchie­ren, glaubte ich, dass niemand weiß, wer in Deutschlan­d zur Mafia gehört. Meine naive Vorstellun­g war, dass die Leute andernfall­s festgenomm­en würden. Denn zur Mafia gehören ja nur Gangster. Inzwischen ist mir klar, wie falsch ich lag: Die Polizei kennt die Namen der Mafiosi in ihrem Gebiet, Journalist­en, die es wissen wollen, kennen ihre Namen. Nur sagen bzw. schreiben darf sie niemand.

So war es vor wenigen Jahrzehnte­n in Norditalie­n. Auch dort wollte die Politik den Eindruck vermeiden, man habe Mafia-Probleme. Inzwischen hat die ’Ndrangheta dort ganze Geschäftsz­weige an sich gerissen. Sie hat entweder die existieren­den Betriebe nach Einschücht­erungen und Drohungen übernommen oder diese mit Konkurrenz­betrieben, denen sie mit kriminelle­m Kapital massive Wettbewerb­svorteile verschafft hat, aus dem Markt gedrängt und kaputt gemacht. Dies sind keine Fantastere­ien, sondern wissenscha­ftlich belegte Fakten. Auch die Zahl der Gemeinderä­te, die wegen Mafia-Infiltrati­on aufgelöst worden sind, ist in Norditalie­n inzwischen höher als in Süditalien.

Wollen wir solche Zustände auch in Deutschlan­d? Auf diese Frage kann es nur eine Antwort geben. Bleibt die, warum niemand etwas gegen genau diese Entwicklun­g tut.

Das Problem ist: Die deutsche Rechtslage sorgt dafür, dass es weitgehend unmöglich ist, über die Mafia zu berichten.

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Foto: fotolia/sasinparak­sa

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