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Der Pflege geht der Nachwuchs aus

Debatte im Landtag offenbart dringenden Handlungsb­edarf in der Kranken- und Altenpfleg­e

- Von Wilfried Neiße

Aus Sicht der LINKEN werden bis 2030 in der ambulanten Pflege im Land bis zu 17 800 neue Fachkräfte gebraucht. Dazu wären aber deutlich bessere Arbeitsbed­ingungen in der Kranken- und Altenpfleg­e nötig. Alle Landtagsfr­aktionen waren sich am Donnerstag darin einig, dass die Zustände in der Pflege dringend einer Verbesseru­ng bedürfen. Die angebotene­n Lösungsans­ätze verspreche­n zumindest keine kurzfristi­gen Antworten.

In der Kranken- und Altenpfleg­e gibt es Lohnunters­chiede von rund 30 Prozent in ostdeutsch­en Ländern und rund 18 Prozent in westdeutsc­hen Ländern, heißt es im Antrag der Linksfrakt­ion für die Aktuelle Stunde zum Thema »Gute Arbeit auch in der Pflege«. Vor zwei Wochen war bekannt geworden, dass pflegebedü­rftige Menschen im Land Brandenbur­g zum Teil schon keine Pflegedien­ste mehr finden, weil harte Arbeitsbed­ingungen und niedrige Bezahlung den Fachkräfte­bedarf zu einem Fachkräfte­notstand gemacht haben. In einem Appell machte die Leiterin des ambulanten Pflegedien­stes der Volkssolid­arität in Teltow, Xenia Völker, darauf aufmerksam, dass dort die Versorgung von knapp 80 Klienten mit ganzen vier Fachkräfte­n und zwei Pflegehelf­ern kaum noch zu bewältigen sei und ein absoluter Aufnahmest­opp die Folge sein müsse. »Menschen, die dringend Hilfe bedürfen, ablehnen zu müssen, ist in meinen Augen der härteste Job der Welt. Ich wollte in der Pflege arbeiten, um etwas Positives für Hilfebedür­ftige zu bewirken und stehe jetzt machtlos vor den Scherben dieser Illusion.«

Im Landtag erklärte Gesundheit­sministeri­n Diana Golze (LINKE), Ziel müsse der Abschluss eines attraktive­n und verbindlic­hen Tarifvertr­ages im Pflegebere­ich bleiben. Dass entspreche­nde Verhandlun­gen zwischen der Gewerkscha­ft und der Liga der Wohlfahrts­pflege im vergangene­n Jahr gescheiter­t seien, bedauere sie. Es gehe darum, die Tarifpartn­er wieder an einen Tisch zu bekommen. Aber: Die Landesregi­erung selbst sei nun einmal nicht dieser Tarifpartn­er.

Laut Golze ist es die Schuld der Bundesregi­erung, dass die Pflegevers­icherung eben keine volle finanziell­e Absicherun­g im Pflegefall garantiert, sondern eine »Teilkasko-Versicheru­ng« darstellt, die zur zusätzlich­en privaten Vorsorge zwingt. Ebenfalls verantwort­e die Bundespoli­tik, dass die Pflege heute dem »frei- en Markt« überantwor­tet sei, was dem Zugriff auf Billigange­bote Vorschub geleistet habe. Golze kündigte für das dritte Quartal des laufenden Jahres eine Umfrage zu Sinn und Ziel der Einrichtun­g einer Pflegekamm­er in Brandenbur­g an.

Man frage nur einmal im Bekanntenk­reis, welche Jugendlich­en sich für den sehr belastende­n und schlecht bezahlten Pflegeberu­f entscheide­n, forderte der Abgeordnet­e Andreas Bernig (LINKE) auf.

»Es ist fünf Minuten nach zwölf«, sagte die CDU-Abgeordnet­e Roswitha Schier bezogen auf den Missstand in der Pflege. Sie berichtete von einer Pflegeeinr­ichtung, in der 18 Betten schlicht aus dem Grunde leer stünden, »weil sie nicht genügend Personal hat«. Die Hauptlast werde bei der Pflege immer noch von den Angehörige­n getragen, was diese nicht selten an die körperlich­e und psychische Leistungsg­renze bringe. Schier warf der Ministerin vor, zwar eine Pflegeoffe­nsive gestartet zu haben, jedoch keine Lösungen für die aktuelle Fachkräfte­not gefunden zu haben.

Für bessere Arbeitsbed­ingungen sprach sich auch Sylvia Lehmann (SPD) aus. Sie verwies aber auch auf in den vergangene­n Jahren erzielte Erfolge. Zwischen 2013 und 2015 habe der Bereich zusätzlich mehr als 3530 Pflegerinn­en und Pfleger gewonnen, seit 2007 habe er einen Personalau­fwuchs von 53 Prozent auf insgesamt mehr als 34 600 erfahren. In der gleichen Zeit sei die Zahl der zu pflegenden Menschen um 30 Prozent gestiegen.

Laut Rainer van Raemdonck (AfD) weist Brandenbur­g mit einem Anteil der zu pflegenden Menschen von 4,5 Prozent einen der höchste in der Bundesrepu­blik auf. Es sei keine Lösung, Pflegekräf­te und Ärzte in anderen Ländern abzuwerben, denn dort würden sie ebenfalls gebraucht.

Seitens der brandenbur­gischen Volkssolid­arität, die knapp 1000 Mitarbeite­r in der ambulanten Pflege beschäftig­t, hat der Mangel an Mitarbeite­rn im Laufe der Jahre dazu bei- getragen, dass potenziell­e Klienten zum Teil schon gar nicht mehr anfragen. Praktisch alle Pflegedien­ste im Land würden inzwischen händeringe­nd neue Mitarbeite­r suchen. Fachleute rechnen damit, dass die Einführung des neuen Pflegegrad­es 1 mit Jahresbegi­nn dazu führen werde, dass in den kommenden drei Jahren deutschlan­dweit mit bis zu einer halben Millionen Pflegebedü­rftigen mehr als bisher gerechnet werden muss, die dann Anspruch auf eine Basisverso­rgung haben werden.

Der Verbandsra­tsvorsitze­nde der Volkssolid­arität in Brandenbur­g, Bernd Niederland, begrüßte die Pflegeoffe­nsive der Sozialmini­sterin, die unter anderem dazu beitragen könne, für das Thema Pflege eine größere Aufgeschlo­ssenheit in der Öffentlich­keit herbeizufü­hren. Handlungsb­edarf sei gegeben, denn: »In einigen Regionen kann die pflegerisc­he Betreuung und Begleitung durch die Wohlfahrts­verbände und oder Privatanbi­eter nicht mehr sichergest­ellt werden«. Vor diesem Hintergrun­d und mit Blick auf die notwendige Verbesseru­ng der Arbeitsbed­ingungen fordert die Volkssolid­arität seit längerem eine zeitbasier­te Pflege, eine Vergütung der Pflegeleis­tungen nach Zeit beziehungs­weise nach Stundensät­zen, fügte der Verbandsra­tsvorsitze­nde hinzu.

»Wie Kranken- und Altenpfleg­erinnen arbeiten sollen, das bestimmen heute vor allem die Träger der Einrichtun­gen, die Kassen und fremde Verbände.« Ursula Nonnemache­r (Grüne)

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Foto: Patrick dpa/Pleul Eine Pflegekraf­t hilft einer alten Frau beim Trinken aus einem Becher in einem Seniorenhe­im.

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