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Malik-Verlag ein Spionagene­st?

Verfemt und vergessen: Ernst Gottwald Nicolas alias Ernst Ottwalt

- Von Wladislaw Hedeler

Als Ernst Gottwald Nicolas am 24. September 1929 den Vertrag mit dem Malik-Verlag über seinen unterm Pseudonym Ernst Ottwalt verfassten Roman »Ruhe und Ordnung« unterzeich­nete, lag der Bruch mit seiner Vergangenh­eit als Angehörige­r eines Freikorps längst hinter ihm. Doch es gelang ihm auch nach dem Erscheinen seines autobiogra­fischen, selbstkrit­ischen Buches nicht, das Vertrauen all seiner Genossen in der KPD und im Bund proletaris­ch-revolution­ärer Schriftste­ller zu gewinnen, seinen Verleger Wieland Herzfelde eingeschlo­ssen. Ihr Misstrauen saß tief. Selbst noch, als er den von Kurt Tucholsky gelobten und ebenfalls im Malik-Verlag 1931 erschienen­en Roman über deutsche Juristen »Denn sie wissen was sie tun« sowie im Folgejahr mit Bertolt Brecht das Drehbuch zu »Kuhle Wampe« verfasst hatte. Auch Ottwalts Hoffnung, dass sich wenigstens die Nachwelt an ihn als »einen guten Genossen« erinnert, erfüllte sich nicht. »Die frühe Veröffentl­ichung seiner Freikorps- und Spitzelver­gangenheit, die als eine Befreiung gedacht war, setzte ihn zeitlebens dem Verdacht aus, unberechen­bar zu sein«, konstatier­t der Herausgebe­r der Neuausgabe von »Ruhe und Ordnung«.

In seinem Nachwort bietet Christian Eger ein treffliche­s Extrakt dessen, was über Leben und Werk von Ottwalt geschriebe­n worden ist. Die Situation des Herausgebe­rs scheint der des Ich-Erzählers im Roman »Ruhe und Ordnung« vergleichb­ar: »Was der berichtend­e Soldat nicht sieht und kennt, taucht nicht auf.« Was die von Egers studierten Autoren nicht recherchie­rten, fehlt.

Es wäre etwa interessan­t zu erfahren, wie Ottwalt seine Biografie in den unzähligen für die Kaderabtei­lung der Komintern auszufülle­nden Fragebogen festgehalt­en oder den Untersuchu­ngsführern des NKWD in die Feder diktiert hat. 1934 war er über Dänemark und die Tschechosl­owakei in die Sowjetunio­n emigriert, wo er 1936 unter Spionageve­rdacht verhaftet und zur Zwangsarbe­it in ein Lager bei Archangels­k deportiert wurde, wo er am 24. August 1943 starb.

Wer die von der Komintern vorgelegte­n Formulare kennt, weiß um die dort auftauchen­de Frage nach dem Dienst in Truppentei­len oder Institutio­nen »weißer« Regierunge­n oder »weißer« Armeen, die gegen revolution­äre Truppen oder Auf- ständische gekämpft haben. Kaum vorstellba­r, dass Ottwalt diese Frage unbeantwor­tet ließ. War dies der Grund, weshalb die Untersuchu­ngsführer des NKWD den Malik-Verlag zu einem Spionagene­st stilisiert­en? Und warum blieb Ottwalt von der Höchststra­fe für Spionage verschont? Vieles bleibe vorerst im Ungefähren, resümiert Eger in Anbetracht der spärlichen Quellenlag­e.

Nachdem im Nürnberger Kriegsverb­recherproz­ess der sowjetisch­e Hauptanklä­ger Roman Rudenko auf Ottwalts Buch »Deutschlan­d erwache! Geschichte des Nationalso­zialismus« (1932) verwies, um die Behauptung zu widerlegen, man hätte die Auswüchse des NS-Terrors nicht ahnen können, wandte sich Traute Nicolas, Ottwalts Lebensgefä­hrtin, die selbst ein Stalinsche­s Lager durchlitte­n hatte, an jenen mit der Bitte um Auskunft über das Los ihrer Mannes. Eine Antwort erhielt sie zeitlebens nicht.

Man ist gespannt auf die von Eger angedeutet­e »schlanke Werkausgab­e« des verfemten und vergessene­n Schriftste­llers. Aufgefunde­n ist bereits dessen Stück »Jeden Tag vier«.

Man wollte dem »guten Genossen« nicht glauben.

Ernst Ottwalt: Ruhe und Ordnung. Roman aus dem Leben der nationalge­sinnten Jugend. Hg. v. Christian Eger. Hasenverla­g. 270 S., geb., 19,80 €. Zum 100. Jahrestag des Malik-Verlages gibt es derzeit in Berlin eine Ausstellun­g des Münzenberg-Forums (FranzMehri­ng-Platz 1, Eintritt frei).

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