VEB-Nachfolger an der Börse
Der Erfurter Halbleiterhersteller X-Fab beschafft sich mehrere hundert Millionen Euro am Kapitalmarkt
Die Firma X-Fab ist aus Teilen eines ehemaligen Volkseigenen Betriebes entstanden. Nun ist sie an die Börse gegangen. Das sagt viel über die Wirtschaftsstruktur in Thüringen und im Osten Deutschlands aus. Der Stadtteil von Erfurt, in dem X-Fab beheimatet ist, ist vieles – aber kein typisches Gewerbegebiet. Schon gar keines, in dem viele Flachbauten nebeneinander stehen, in denen Dinge hergestellt werden, die von Deutschland aus rund um den Globus verkauft werden. Nur einen Steinwurf vom Firmengebäude von X-Fab entfernt stehen noch immer viele im Sozialismus errichtete und praktisch vollständig vermietete Plattenbauten. Noch näher ist der Firma, die Schaltkreise unter anderem für die Motorsteuerung von Autos, in Industrieanlagen oder medizinischen Geräten herstellt, ein Krankenhaus. Und der Thüringer Verfassungsschutz, der gleich um die Ecke seine Zentrale hat.
Und doch hat der Halbleiterhersteller X-Fab Silicon Foundries nun etwas geschafft, was sich viele der Firmen wünschen, die in den typischen Gewerbegebieten zu finden sind: einen erfolgreichen Börsengang. Das Unternehmen ist bei internationalen Investoren so stark begehrt, dass diese ihm frisches Kapital zur Verfügung gestellt haben. Am Donnerstag wurden die X-Fab-Aktien erstmals an der Börse Euronext in Paris gehandelt.
Die Emission hat nach Angaben einer Unternehmenssprecherin etwa 400 Millionen Euro frisches Geld gebracht. Wobei diese Summe noch bis auf 440 Millionen steigen könne, wenn weitere Zuteilungsoptionen ausgeübt würden. Der Ausgabepreis lag bei 8 Euro, womit die Aktie letztlich allerdings doch nicht so begehrt war, wie X-Fab sich das gewünscht hatte. Die Spanne für den Ausgabepreis war vor der zweiwöchigen Zeichnungsfrist auf 8 bis 10,50 Euro pro Aktie festgelegt worden.
Unternehmenschef Rudi De Winter zeigt sich trotzdem erfreut und wahrscheinlich ein wenig erleichtert: »Wir freuen uns über das hohe Interesse an X-Fab und die positive Resonanz der Investoren«, sagte er. Mit dem Erfolg des Börsengangs könne man den eingeschlagenen Wachstumskurs fortsetzen. Der Großteil des Geldes soll in die Schaltkreisfabriken in Deutschland, Malaysia und den USA gesteckt werden. Die belgische Beteiligungsgesellschaft Xtrion als Hauptaktionär behielt alle ihre Anteile.
Erleichtert ist De Winter wohl auch deswegen, weil der erste Versuch, XFab an die Börse zu bringen, im Jahr 2004 misslungen war. Diesmal blieb dem Unternehmen ein solcher Rückschlag erspart. Der Aktienkurs stieg bis zum Nachmittag um rund acht Prozent an. Die Entscheidung für die Euronext Paris hatte das Unternehmen auch mit dem Interesse des fran- zösischen Finanzmarktes an Technologiefirmen begründet.
Jenseits dessen, was an der Börse nun weiter passieren wird, sagt der Börsengang von X-Fab viel darüber aus, welche Unternehmen es im Osten Deutschlands und eben auch in Thüringen sind, die heute bei internationalen Investoren überhaupt eine Chance haben. Nach Schätzungen gibt es davon etwa zwei Dutzend Firmen in den ostdeutschen Bundesländern, davon jeweils etwa zehn in Thüringen und Sachsen, aber keine in Sachsen-Anhalt und Brandenburg. Nach langer Durststrecke hatte es erst in der vergangenen Woche wieder einen Börsengang aus Ostdeutschland gegeben: der Industriedienstleister Ibu-Tec aus Weimar, der einen zweistelligen Millionenbetrag für sein Wachstum einsammelte. X-Fab ist ein anderes Kaliber – der Börsengang gilt als eine der größten Aktienemissionen in der europäischen Technologieszene in diesem Jahr.
Ironischerweise sind in Ostdeutschland vor allem solche Betriebe erfolgreich, die nicht nur in der Nähe von DDR-Plattenbauten ihren Firmensitz haben, sondern die früher auch mal sozialistisch wirtschafteten. Die bedeutenden, börsennotierten Unternehmen aus dem Osten wie beispielsweise Jenoptik und Carl Zeiss Meditec waren zu DDR-Zeiten als Volkseigene Betriebe organisiert oder hatten zumindest starke Verbindungen zu diesen. Diese VEB wiederum waren aus Unternehmensstrukturen entstanden, die schon vor dem Sozialismus da waren. Nach der Wiedervereinigung gelang es ihnen dann – trotz des harten wirtschaftlichen Strukturwandels im Osten Deutschlands von der Plan- zur Marktwirtschaft und der schier übermächtigen Westkonkurrenz –, international geachtete und profitable Unternehmen zu werden. Weil sie auf eine lange Firmengeschichte mit all der damit verbundenen Expertise in ihren Bereichen zurückblicken konnten.
X-Fab ging aus dem VEB Mikroelektronik »Karl Marx« hervor, das wiederum Teil des 1978 gegründeten gleichnamigen Kombinats wurde. Zu diesem gehörten nach Angaben einer Gruppe von Hobbyhistorikern, die sich mit der Geschichte der DDR-Rechentechnik beschäftigen, auch andere Betriebe wie das VEB Mikroelektronik »Anna Seghers« im thüringischen Neuhaus am Rennweg, das VEB Halbleiterwerk in Frankfurt (Oder) oder das Zentrum Mikroelektronik Dresden. Alleine in Erfurt bot der entsprechende VEB Ende der 1980er Jahre fast 9000 Menschen Arbeit.
Für X-Fab arbeiten nach Unternehmensangaben heute etwa 3800 Menschen an sechs Standorten weltweit, davon etwa 770 in Erfurt und 450 in Dresden. Bei allem Anknüpfen an die Traditionen von einst haben also selbst die erfolgreichen Nachfolger der VEB nie wieder so vielen Menschen Arbeit bieten können wie zu DDR-Zeiten.
Die übergroße Mehrzahl der von VEB unabhängigen Neugründungen von Unternehmen im Osten Deutschlands nach der Wende ist dagegen noch immer so klein und oft auch wirtschaftlich so wenig profitabel, dass sie weit von einem Börsengang entfernt sind. Was für deren Überlebenschance freilich kein Nachteil sein muss, wie die jüngste Wirtschaftskrise gezeigt hat. Mehr als 90 Prozent der Unternehmen in Thüringen haben nach Angaben der Statistiker weniger als 25 Mitarbeiter.