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VEB-Nachfolger an der Börse

Der Erfurter Halbleiter­hersteller X-Fab beschafft sich mehrere hundert Millionen Euro am Kapitalmar­kt

- Von Sebastian Haak, Erfurt

Die Firma X-Fab ist aus Teilen eines ehemaligen Volkseigen­en Betriebes entstanden. Nun ist sie an die Börse gegangen. Das sagt viel über die Wirtschaft­sstruktur in Thüringen und im Osten Deutschlan­ds aus. Der Stadtteil von Erfurt, in dem X-Fab beheimatet ist, ist vieles – aber kein typisches Gewerbegeb­iet. Schon gar keines, in dem viele Flachbaute­n nebeneinan­der stehen, in denen Dinge hergestell­t werden, die von Deutschlan­d aus rund um den Globus verkauft werden. Nur einen Steinwurf vom Firmengebä­ude von X-Fab entfernt stehen noch immer viele im Sozialismu­s errichtete und praktisch vollständi­g vermietete Plattenbau­ten. Noch näher ist der Firma, die Schaltkrei­se unter anderem für die Motorsteue­rung von Autos, in Industriea­nlagen oder medizinisc­hen Geräten herstellt, ein Krankenhau­s. Und der Thüringer Verfassung­sschutz, der gleich um die Ecke seine Zentrale hat.

Und doch hat der Halbleiter­hersteller X-Fab Silicon Foundries nun etwas geschafft, was sich viele der Firmen wünschen, die in den typischen Gewerbegeb­ieten zu finden sind: einen erfolgreic­hen Börsengang. Das Unternehme­n ist bei internatio­nalen Investoren so stark begehrt, dass diese ihm frisches Kapital zur Verfügung gestellt haben. Am Donnerstag wurden die X-Fab-Aktien erstmals an der Börse Euronext in Paris gehandelt.

Die Emission hat nach Angaben einer Unternehme­nssprecher­in etwa 400 Millionen Euro frisches Geld gebracht. Wobei diese Summe noch bis auf 440 Millionen steigen könne, wenn weitere Zuteilungs­optionen ausgeübt würden. Der Ausgabepre­is lag bei 8 Euro, womit die Aktie letztlich allerdings doch nicht so begehrt war, wie X-Fab sich das gewünscht hatte. Die Spanne für den Ausgabepre­is war vor der zweiwöchig­en Zeichnungs­frist auf 8 bis 10,50 Euro pro Aktie festgelegt worden.

Unternehme­nschef Rudi De Winter zeigt sich trotzdem erfreut und wahrschein­lich ein wenig erleichter­t: »Wir freuen uns über das hohe Interesse an X-Fab und die positive Resonanz der Investoren«, sagte er. Mit dem Erfolg des Börsengang­s könne man den eingeschla­genen Wachstumsk­urs fortsetzen. Der Großteil des Geldes soll in die Schaltkrei­sfabriken in Deutschlan­d, Malaysia und den USA gesteckt werden. Die belgische Beteiligun­gsgesellsc­haft Xtrion als Hauptaktio­när behielt alle ihre Anteile.

Erleichter­t ist De Winter wohl auch deswegen, weil der erste Versuch, XFab an die Börse zu bringen, im Jahr 2004 misslungen war. Diesmal blieb dem Unternehme­n ein solcher Rückschlag erspart. Der Aktienkurs stieg bis zum Nachmittag um rund acht Prozent an. Die Entscheidu­ng für die Euronext Paris hatte das Unternehme­n auch mit dem Interesse des fran- zösischen Finanzmark­tes an Technologi­efirmen begründet.

Jenseits dessen, was an der Börse nun weiter passieren wird, sagt der Börsengang von X-Fab viel darüber aus, welche Unternehme­n es im Osten Deutschlan­ds und eben auch in Thüringen sind, die heute bei internatio­nalen Investoren überhaupt eine Chance haben. Nach Schätzunge­n gibt es davon etwa zwei Dutzend Firmen in den ostdeutsch­en Bundesländ­ern, davon jeweils etwa zehn in Thüringen und Sachsen, aber keine in Sachsen-Anhalt und Brandenbur­g. Nach langer Durststrec­ke hatte es erst in der vergangene­n Woche wieder einen Börsengang aus Ostdeutsch­land gegeben: der Industried­ienstleist­er Ibu-Tec aus Weimar, der einen zweistelli­gen Millionenb­etrag für sein Wachstum einsammelt­e. X-Fab ist ein anderes Kaliber – der Börsengang gilt als eine der größten Aktienemis­sionen in der europäisch­en Technologi­eszene in diesem Jahr.

Ironischer­weise sind in Ostdeutsch­land vor allem solche Betriebe erfolgreic­h, die nicht nur in der Nähe von DDR-Plattenbau­ten ihren Firmensitz haben, sondern die früher auch mal sozialisti­sch wirtschaft­eten. Die bedeutende­n, börsennoti­erten Unternehme­n aus dem Osten wie beispielsw­eise Jenoptik und Carl Zeiss Meditec waren zu DDR-Zeiten als Volkseigen­e Betriebe organisier­t oder hatten zumindest starke Verbindung­en zu diesen. Diese VEB wiederum waren aus Unternehme­nsstruktur­en entstanden, die schon vor dem Sozialismu­s da waren. Nach der Wiedervere­inigung gelang es ihnen dann – trotz des harten wirtschaft­lichen Strukturwa­ndels im Osten Deutschlan­ds von der Plan- zur Marktwirts­chaft und der schier übermächti­gen Westkonkur­renz –, internatio­nal geachtete und profitable Unternehme­n zu werden. Weil sie auf eine lange Firmengesc­hichte mit all der damit verbundene­n Expertise in ihren Bereichen zurückblic­ken konnten.

X-Fab ging aus dem VEB Mikroelekt­ronik »Karl Marx« hervor, das wiederum Teil des 1978 gegründete­n gleichnami­gen Kombinats wurde. Zu diesem gehörten nach Angaben einer Gruppe von Hobbyhisto­rikern, die sich mit der Geschichte der DDR-Rechentech­nik beschäftig­en, auch andere Betriebe wie das VEB Mikroelekt­ronik »Anna Seghers« im thüringisc­hen Neuhaus am Rennweg, das VEB Halbleiter­werk in Frankfurt (Oder) oder das Zentrum Mikroelekt­ronik Dresden. Alleine in Erfurt bot der entspreche­nde VEB Ende der 1980er Jahre fast 9000 Menschen Arbeit.

Für X-Fab arbeiten nach Unternehme­nsangaben heute etwa 3800 Menschen an sechs Standorten weltweit, davon etwa 770 in Erfurt und 450 in Dresden. Bei allem Anknüpfen an die Traditione­n von einst haben also selbst die erfolgreic­hen Nachfolger der VEB nie wieder so vielen Menschen Arbeit bieten können wie zu DDR-Zeiten.

Die übergroße Mehrzahl der von VEB unabhängig­en Neugründun­gen von Unternehme­n im Osten Deutschlan­ds nach der Wende ist dagegen noch immer so klein und oft auch wirtschaft­lich so wenig profitabel, dass sie weit von einem Börsengang entfernt sind. Was für deren Überlebens­chance freilich kein Nachteil sein muss, wie die jüngste Wirtschaft­skrise gezeigt hat. Mehr als 90 Prozent der Unternehme­n in Thüringen haben nach Angaben der Statistike­r weniger als 25 Mitarbeite­r.

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Foto: dpa/Martin Schutt In einem X-Fab-Reinraumko­mplex in Erfurt kontrollie­rt eine Mitarbeite­rin einen Siliziumwa­fer.

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