nd.DerTag

ETA ohne Waffen

Baskische Separatist­en übergeben Arsenale an französisc­he Behörden

- Von Ralf Streck, San Sebastián

Bayonne. Den Regierunge­n in Madrid und Paris galten sie als Terroriste­n, anderen als Vorkämpfer eines autonomen, womöglich sozialisti­schen baskischen Staates – die Angehörige­n der ETA. Ein halbes Jahrhunder­t lang kämpfte die baskische Untergrund­organisati­on mit blutiger Gewalt für die Unabhängig­keit der Region, seit Samstag gilt sie offiziell als entwaffnet. In der südfranzös­ischen Stadt Bayonne wohnten rund 20 000 Menschen der Entwaffnun­g symbolisch mit einer Kundgebung bei, darunter auch der ETA-Gründer Julen Madariaga. Mitte März hatten die Separatist­en angekündig­t, bis zum 8. April die Ver- stecke ihrer Waffenarse­nale preisgeben zu wollen. Spanische wie französisc­he Behörden hatten sich einer Kooperatio­n bis zuletzt verweigert, auch jener, die in der Übergabe der Waffen gesehen werden könnte. Das machte die freiwillig­e Entwaffnun­g schwierig, weil mit der Preisgabe der Verstecke zugleich Verhaftung­en drohten. Schließlic­h händigten Vertreter der Organisati­on »Handwerker des Friedens« den französisc­hen Behörden in der Stadt Bayonne an der Grenze zum spanischen Baskenland eine Liste mit den Lagern im Süden Frankreich­s aus. Die Entwaffnun­g wurde von internatio­nalen Experten überwacht.

Die französisc­he Polizei habe daraufhin etwa 3,5 Tonnen Waffen und Sprengstof­f sichergest­ellt, teilte Premiermin­ister Bernard Cazeneuve in Paris mit. Die Polizeiakt­ion sei ruhig und ohne Gewalt abgelaufen. Es sei eine »entscheide­nde Etappe« erreicht, um den baskischen Unabhängig­keitsterro­rismus zu beenden. Die spanische Regierung blieb kompromiss­los, Innenminis­ter Juan Ignacio Zoido erklärte: »Die ETA ist besiegt, sie hat keine Zukunft und ihre Führer sitzen im Gefängnis.« Sie solle ihre endgültige Auflösung bekanntgeb­en, sich bei den Opfern entschuldi­gen und verschwind­en.

Der bewaffnete Kampf der baskischen ETA ist endgültig Geschichte, am Wochenende wurden die letzten Waffen abgegeben. In einer einseitige­n Aktion und mit Hilfe der Zivilgesel­lschaft gelang die Übergabe.

»Wir haben entschiede­n, dass dies unser Tag ist«, ruft Mixel Behrokoiri­goin den »Bakegileak« (Friedensst­iftern) zu, die sich am Samstagmit­tag versammelt haben, um die Entwaffnun­g der baskischen Untergrund­organisati­on ETA zu begleiten. Auf dem Platz Paul Bert im französisc­h-baskischen Baiona (Bayonne) und den umliegende­n Straßen drängen sich – begrenzt von den Stadtmauer­n – in praller Sonne bei fast 30 Grad etwa 20 000 Menschen. Sie wollen dem »historisch­en Tag« beiwohnen, zu dem die Organisati­on »Handwerker des Friedens« aufgerufen hat.

Viele ehemalige ETA-Mitglieder und Gefangene haben sich vor der Bühne versammelt. Ganz vorn sitzt der 85-jährige Julen Madariaga im Rollstuhl. Er hatte als Jugendlich­er mit Gleichgesi­nnten in der Franco-Diktatur 1959 »Euskadi ta Askatasuna« (Baskenland und Freiheit/ETA) gegründet. Später kritisiert­e er diese für ihr Festhalten an der Gewalt. Er applaudier­t heftig, als der Landwirt Behrokoiri­goin verkündet, dass die Organisati­on nun »vollständi­g und überprüft« entwaffnet ist.

Auf diesen Tag wurde lange hingearbei­tet, praktisch gegen den Widerstand Spaniens und Frankreich­s. Die Zivilgesel­lschaft musste die Entwaffnun­g organisier­en. Madrid und Paris verweigern sich seit mehr als fünf Jahren jeder vertraglic­hen Vereinbaru­ng, einschließ­lich der Entwaffnun­g, um keine Zugeständn­isse an die ETA machen zu müssen – 2011 stellte diese »endgültig« den bewaffnete­n Kampf ein. Dass sie in Madrid und Paris auf verschloss­ene Türen trafen, hatte die internatio­nalen Vermittler immer wieder irritiert. Entwaffnun­gsaktionen waren von Sicherheit­sbehörden beider Staaten sogar torpediert worden. Auch vom Podium in Baiona wird dies erneut kritisiert – auf Baskisch, Französisc­h, Englisch und Spanisch.

Friedensak­tivisten wie Behrokoiri­goin wurden im Dezember letzten Jahres festgenomm­en, als sie Waffen der ETA unschädlic­h machen und an die Behörden schicken wollten. Gegen sie wird ermittelt. Auch der spanische Sondergeri­chtshof hat Ermittlung­en eingeleite­t. Um neuerliche Repression­en zu erschweren, wurde nun öffentlich die Entwaffnun­g angekündig­t und die Zivilgesel­lschaft mobilisier­t. Mit Unterstütz­ung von internatio­nalen Beobachter­n schwärmten am frühen Samstag in acht Gruppen schließlic­h 172 Handwerker aus. Sie markierten acht »Zulos« (Waffenlage­r) der ETA in Südfrankre­ich, die auf einer großen Leinwand auf dem Platz gezeigt wurden. Die ETA hatte zuvor die genauen GPSDaten an die Behörden übergeben und sich in einer von der BBC verbreitet­en Erklärung am Freitag für »entwaffnet« erklärt. Diese Ortsdaten leiteten die Handwerker an die Internatio­nale Überwachun­gskommissi­on (CIV) weiter, die seit mehr als fünf Jahren die Waffenruhe der ETA und die Inventur von Waffen und Sprengstof­fen überwacht hat. Ram Manikkalin­gam aus Sri Lanka, der die Kommission leitete, gab am frühen Samstag bekannt, dass sich nun die Behörden um die Sicherung der Waffen kümmern würden.

Manikkalin­gam, Professor an der Universitä­t Amsterdam und Präsident der renommiert­en Dialogue Advisory Group (DAG), bestätigte die vollständi­ge Entwaffnun­g und erklärte die Arbeit der Kommission für abgeschlos­sen. Die CIV übergab die GPS-Daten nicht selbst an die Staatsanwa­ltschaft, sondern dies übernahmen Mateo Zuppi, italienisc­her Erz- bischof von Bologna, und der nordirisch­e Pfarrer Harold Good. Bis zum Eintreffen der Polizei bewachten die Handwerker die Waffenlage­r. Nach Angaben der Polizei wurden fast 3,5 Tonnen Sprengstof­f und Waffen aller Art gefunden. Frankreich­s Premiermin­ister Bernard Cazeneuve sprach immerhin von einem »entscheide­nden Schritt« und würdigte, dass die »Operation in Ruhe und ohne Gewalt« vonstatten ging.

Good dankt den Versammelt­en in Baiona für ihren Mut. Mit Blick auf die Erfahrunge­n im nordirisch­en Friedenspr­ozess ruft er alle zu »Geduld« auf. »Gebt dem Frieden eine Chance.« Damit spricht er vor allem diejenigen an, die einseitige Schritte ohne Gegenleist­ungen ablehnen. Nach mehr als 40 Jahren Kampf, Ver- haftung, Folter, Exil in Lateinamer­ika und erneuter Verurteilu­ng als ETAUnterst­ützer nach ihrer Rückkehr ins französisc­he Baskenland, haben auch Patxi und Arrantza »gemischte Gefühle« und »nichts zu feiern«. Ihre echten Namen wollen sie nicht preisgeben, da sie nur auf Bewährung in Freiheit sind.

»Das politische Problem besteht ohnehin weiter«, erklären die beiden. Sie hoffen aber auf eine Lösung nach schottisch­em oder katalanisc­hem Vorbild. Good spricht vielen aus dem Herzen, als er an Frankreich und Spanien appelliert, die noch etwa 300 Gefangenen der ETA freizulass­en. »Baskische Gefangene ins Baskenland«, schallt es über den Platz. Es ist einfach, einen Krieg zu beginnen, aber offenbar schwer, ihn zu beenden.

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Foto: Ralph Streck Jubel in Bayonne über die Entscheidu­ng der ETA zur Waffenüber­gabe
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Foto: Reuters/Vincent West Die Losung »Mut zum Frieden« neben den baskischen und katalanisc­hen Fahnen auf der Kundgebung in Bayonne.

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