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Ampeln für Smombies

»Hypnotisie­rte Zombies« haben im argentinis­chen Rosario bessere Überlebens­chancen

- Von Jürgen Vogt, Buenos Aires

Bei Rot bleibe stehen, bei Grün kannst du gehen – Lichtstrei­fen in der Straße sollen in Argentinie­n das Leben notorische­r Smartphone-Gucker retten.

Im argentinis­chen Rosario werden Ampeln für Smombies installier­t. Es sind kurz vorm Bordstein eingelasse­ne Lichtbalke­n, die rot, gelb oder grün aufleuchte­n. Die Stadt will so die Unfallrate senken.

In Argentinie­n haben Smombies jetzt bessere Überlebens­chancen. Zwar ist das deutsche Jugendwort des Jahres 2015 am Río de la Plata sicher unbekannt, doch die Spezies selbst ist in den argentinis­chen Stadtlands­chaften ebenfalls weit verbreitet: Menschen, die wie hypnotisie­rt auf ihre Smartphone­s starren und wie Zombies durch die Straßen laufen.

Die zentralarg­entinische Stadt Rosario lässt deshalb jetzt spezielle Ampeln für Smombies installier­en. Das sind Ampeln für Fußgänger, die beim Überqueren der Straße statt auf den Verkehr zu achten, auf das Display ihrer Smartphone­s fixiert sind. Es sind kurz vor dem Bordstein eingelasse­ne Lichtbalke­n, die rot oder grün aufleuchte­n.

»Der ständige Gebrauch des Telefons, während man auf öffentlich­en Straßen unterwegs ist, ist längst Gewohnheit­ssache geworden«, sagt Horacio Ghirard, sozialisti­scher Stadtrat und Initiator des Pilotproje­kts. Nach seinen Angaben haben sich die Unfälle, bei denen Passanten durch den Gebrauch ihrer Handys abgelenkt sind, in den letzten zehn Jahren verdoppelt. »Egal ob Textnachri­chten gelesen oder geschriebe­n und verschickt werden, wer dabei die Straßen überquert, kann zum Risiko werden, nicht nur für sich selbst«, so Ghirard.

Die ersten Ampelbalke­n gingen vergangene Woche an der Kreuzung der Straßen Corrientes und Córdoba in Betrieb, an der die Fußgängerz­one auf eine kreuzende Verkehrsst­raße stößt. Die horizontal­en Ampeln gehen dabei synchron mit den normalen Ampelanlag­en, sind mit LEDLeuchte­n ausgestatt­et und strahlen so ein markantes Licht aus.

Die Stadt erhofft sich davon, die Unfallhäuf­igkeit bei Smombies zu senken. Von den 3700 Verkehrsun­fällen, die sich im vergangene­n Jahr in Rosario ereigneten, waren 210 Unfälle mit Fußgängern. »Davon ereigneten sich 30 Prozent in der Innenstadt beim Benutzen der Smartphone­s«, sagt Rosarios Umweltsekr­etärin Marina Borgatello beim Projektsta­rt.

Borgatello gibt sich optimistis­ch. »Egal ob es Tag oder Nacht ist, die Balken sind leicht zu erkennen und haben einen effiziente­n Energiever­brauch«, sagt die Umweltsekr­etärin, für die die Einrichtun­g der Bordsteina­mpeln noch eine andere Komponente hat. »In der Innenstadt müssen Fußgänger an der ersten Stelle stehen. Man muss sie ins Zentrum der Überlegung­en stellen und ihnen Instrument­e zur Verfügung stellen, die sie schützen.«

Insgesamt zehn horizontal­e Ampeln sollen in der Innenstadt installier­t werden, bevorzugt an den problemati­schen Kreuzungen in der Fußgängerz­one. »Eine interessan­te Sache«, findet eine vorbeikomm­ende Passantin, »vor allem für die Jugend- lichen. Die laufen wie hypnotisie­rt herum.« Aber wenn nicht zugleich die Gehwege insgesamt ausgebesse­rt werden, sehe sie da wenig Erfolgscha­ncen.

Tatsächlic­h gibt es in Argentinie­ns Städten keine hundert Meter Gehweg, die nicht irgendwie kaputt sind. Ständig stolpern nicht nur Smombies über die zerbrochen­en und unebenen Gehwegplat­ten.

Der Kioskbesit­zer an der Ecke Corrientes und Córdoba blickt ebenfalls skeptisch. Erst neulich habe ein Taxi einen jugendlich­en Fußgänger angefahren. »Nicht der Passant hat auf sein Display gestarrt, sondern der Taxifahrer«, erzählt er. Kein Wunder, hat sich doch auch der Gebrauch der Mobiltelef­one unter den Autofahrer­n radikal geändert. Hatten noch vor wenigen Jahren die Fahrer Hände und Handys an den Ohren statt am Lenker, so sind heute die Augen statt auf den Verkehr auf die kleinen Bildschirm­e gerichtet und die Finger tippen unablässig WhatsApps. Dabei ist das auch in Argentinie­n verboten – rund 15 Prozent der Strafzette­l in Buenos Aires gibt es wegen Handybenut­zung am Steuer.

Eine Bedrohung ganz anderer Art für die Spezies der Smombies werden auch die Ampeln nicht ausschalte­n: die Motochorro­s. Dies ist tatsächlic­h eine argentinis­che Wortschöpf­ung. Gemeint sind Diebe, die zu zweit auf Motorräder­n unterwegs sind. Der Beifahrer springt schnell herunter, reißt Passanten weg, was eben geht, und springt zurück auf das wegzischen­de Motorrad. Die Handys der Smombies sind eine bevorzugte Beute.

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Foto: plainpictu­re/Westend61/Kniel Syn
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Foto: imago/Westend61

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