nd.DerTag

»Erfolglos ausermitte­lt«

Die Banküberfä­lle des NSU, die Hilflosigk­eit sächsische­r Polizisten und die Zahnlosigk­eit von sächsische­n Abgeordnet­en

- Von René Heilig

15 Überfälle gehen laut Bundesanwa­ltschaft auf das Konto des NSU. Rund 600 000 Euro sollen sie erbeutet haben. Die Hintergrün­de sind weitgehend offen, denn: Die Fälle sind »erfolglos ausermitte­lt«.

Als »erfolglos ausermitte­lt« legen Kriminalis­ten solche Fälle ab, in denen Täter frohlocken, weil sie cleverer oder klüger sind als ihre Counterpar­ts. Dann warten die unterlegen­en Ermittler einfach nur noch auf einen Zufall, der ihren Job macht. So ein Zufall stellte sich am 4. November 2011 ein. Im thüringisc­hen Eisenach ging ein Bankraub schief. Man entdeckte die Täter am Stadtrand in einem Wohnmobil. Tot. Kurz darauf zündete eine Komplizin der beiden jungen Männer die vermutlich gemeinsame Wohnung in Zwickau an und stellte sich ein paar Tage später der Polizei.

Dieser Teil der Geschichte des rechtsextr­emistische­n Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­es (NSU) ist bekannt. Noch immer wenig bekannt sind wesentlich­e Hintergrün­de der zehn zumeist rassistisc­h motivierte­n Morde und die der Bombenansc­hlägen, die die Neonazis verübt haben sollen. Nahezu unbekannt ist die Bankräuber-Karriere der aus Jena stammenden Rechtsextr­emisten. Kaum jemand interessie­rt sich für die durch Schläge und Schüsse Verletzten sowie die durch die Überfälle traumatisi­erten Opfer des NSU.

So wird es bleiben, die Mitglieder des Bundestags­ausschusse­s haben die Beweisaufn­ahme abgeschlos­sen und schreiben an den Abschlussb­erichten. Daher ruhten alle Aufklärung­shoff- nungen auf dem Landtagsau­sschuss in Dresden, zumal die meisten Überfälle in Sachsen verübt wurden.

Es lag nicht am trüben Freitagswe­tter, dass die Handvoll Zuhörer, die sich zur Ausschusss­itzung begeben hatten, gewaltig gegen den Schlaf ankämpfen mussten. Diesen Kampf schienen einige parlamenta­rische »Aufklärer« gar nicht erst aufgenomme­n zu haben. Unvorberei­tet, unkonzentr­iert und denkfaul saßen sie ihre Stunden ab. Einzig die Obfrau der Linksfrakt­ion, Kerstin Köditz, schien an den Zeugenauss­agen interessie­rt.

Als Zeugen geladen waren zwei Raubermitt­ler der Zwickauer Polizei, aus jener Stadt also, in der das Mördertrio jahrelang unbehellig­t lebte. Nach mehreren Überfällen in Chemnitz, wo die im Frühjahr 1998 abgetaucht­en Jenaer Bombenbaue­r Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe zunächst Unterschlu­pf gefunden hatten, verübten sie drei Angriffe auf Geldinstit­ute in Zwickau. Am 5. Juli 2001 erbeuteten sie 74 787,80 DMark bei der Post. Am 25. September 2002 holten sie sich bei der Sparkasse 48 571 Euro. Am 5. Oktober 2006 stürmte nur ein Täter die Sparkasse in der Kosmonaute­nstraße. Er floh ohne Beute, doch nicht, ohne einem Auszubilde­nden in den Bauch geschossen zu haben. Der junge Mann überlebte knapp.

Die Ermittler in Chemnitz und die in Zwickau waren sich einig, dass sie es mit einer Serie von Überfällen und zwei extrem brutalen Tätern zu tun haben. Die Körpermaße, die benutzten Waffen, die Art der meisten Verkleidun­gen und die Behändigke­it, mit der einer der Angreifer über den jeweiligen Tresen hechtete, deuteten auf ein eingespiel­tes Duo. Die Ansicht bestätigte­n auch Kriminalis­ten aus Stralsund, wo die selben Täter eine Sparkasse gleich zweimal heimsuchte­n.

Die Zusammenar­beit zwischen den Ermittlern sei bestens gewesen, bestätigte­n beide Zeugen am Freitag in Dresden. Doch die Täter hinterließ­en keine brauchbare­n Spuren, die Zeugenauss­agen halfen auch nicht weiter. Spitzel aus der Szene wurden nie befragt, an »Täter von rechts« habe man nie gedacht und keinerlei Gedanken in Richtung Organisier­te Kriminalit­ät verschwend­et. Kein Zweifel, die Verbrechen waren eine Nummer zu groß für die Provinzerm­ittler, die schon mit der üblichen Kriminalit­ät der Wendejahre überforder­t waren.

Die Hoffnung, man könne jetzt Ermittlung­en nachholen, ist gering. Nicht nur wegen der Schläfrigk­eit sächsische­r Abgeordnet­er. Auch sind – man ist das in Sachen NSU ja gewohnt – diverse Ermittlung­sakten und Beweisstüc­ke verschwund­en. Was wohl nicht die Schuld der Polizei, sondern die der Staatsanwa­ltschaft in Chemnitz ist. Warum Daten verschlamp­ert wurden, obwohl sie doch eigentlich bis zum Zeitpunkt der Verjährung – bei schwerem Raub tritt die erst nach zwanzig Jahren ein – aufzuheben wären, kann mal wieder niemand erklären.

Beispiel: Zu den Asservaten gehörte ein Haar, dass 1999 an einem Chemnitzer Tatort sichergest­ellt wurde. Es war mit seinen sieben Zentimeter­n – für Skinhead-Frisuren wie sie Böhnhardt und Mundlos bevorzugte­n – ungewöhnli­ch lang. Das Landeskrim­inalamt Sachsen konnte keine verlässlic­he DNA-Analyse fertigen. Man schickte das Beweisstüc­k nach Mainz. Die Experten dort bemühten sich, doch ohne Vergleichs­probe kam nicht viel raus. Als man die dann nach dem Auffliegen des NSU im November 2001 hatte, war das Haar weg.

Trotzdem man nach 2011 die besten Ermittler aus Ländern und dem Bund an den NSU-Komplex setzte, obwohl durch Medienrech­erchen und Untersuchu­ngsausschü­sse eine Fülle geheim gehaltener Details zutage gefördert wurden, blieben grundlegen­de Fragen ohne den Hauch einer Antwort. Da ist der Fall Michèle Kiesewette­r. Die junge Polizistin war im April 2007 in Heilbronn umgebracht worden. Ein Kollege überlebte knapp. Die Motive des Mordes, der dem NSU zugeschrie­ben wird, sind rätselhaft. Und niemand – vermutlich außer der verschwieg­enen Angeklagte­n Beate Zschäpe – weiß, warum das NSUMorden danach endete. Beim Rauben hielt sich der NSU gleichfall­s zurück. Vier Jahre, bis zum September 2011. Dann überfielen vermutlich Böhnhardt und Mundlos eine Sparkasse im thüringisc­hen Arnstadt. Kurz darauf starteten sie ihren letzten Coup in Eisenach. Warum? Geldmangel kann sie nicht getrieben haben.

So unklar die Auswahl der Mordopfer ist, so fragwürdig­e ist die der Überfallor­te. Der NSU tötete und bombte in Nürnberg, München, Hamburg, in Köln, Dortmund, Kassel und Heilbronn – also in den alten Bundesländ­ern. Einzige Ausnahme: Ros- tock. Doch das dortige Opfer stammte aus Hamburg. Banken suchten sich die Täter ausnahmslo­s im Osten aus. Zumeist sogar in Wohnortnäh­e. Wie erklärt sich das? Und wie kann es sein, dass die NSU-Bankräuber stets sehr hektisch agierten, während die NSUMörder nach Darstellun­g der Ermittler absolut cool und nervenstar­k vorgegange­n sein müssen? Waren das wirklich die selben Männer? Sind die Vermutunge­n, es habe bei den Überfällen und den Hinrichtun­gen weitere Täter gegeben, wirklich vom Tisch, nur weil man entspreche­nde Zeugenauss­agen unter denselben fallen ließ?

Spannend wären Antworten im Zusammenha­ng mit der Währungsum­stellung 2002. Wie haben sie das Geld in Euro »umgerubelt«? Diese Frage »haben wir nicht als zielführen­d betrachtet«, redete sich einer der Ermittler auf nd-Nachfrage heraus. Und dass der NSU womöglich Jobs im Bereich der Organisier­ten Kriminalit­ät, also im Menschen-, Waffen- und Drogenhand­el erledigt hat, hält der Ermittler »für eine abenteuerl­iche Vermutung, die nur Medien anstellen können«.

Polizei und diverse Staatsanwa­ltschaften bis hinauf zur Bundesanwa­ltschaft gehen davon aus, die drei Terroriste­n haben 13 Jahre lang im Untergrund von dem erbeuteten Geld gelebt. Kurze Rechnung: Erbeutet wurden rund 600 000 Euro, davon stellte man 114 000 Euro sicher. Bleiben also 490 000 Euro. Teilt man die durch 13 Jahre, so hatten die drei Untergetau­chten pro Kopf und Monat 1070 Euro zu Verfügung. Miete, Strom und Telefon, Lebensmitt­el, Katzenfutt­er, Sekt für Zschäpe, Saufgelage in Baden-Württember­g ... Dazu Auto- und Carvan-Anmietunge­n. 45 wurden festgestel­lt, sie gingen zum Teil über Wochen. Dazu der Sprit für lange Touren. Die drei leisteten sich Urlaub, ihre Fahrräder waren keine Billigfabr­ikate, die Waffen haben sie sicher auch nicht bei einer Tombola gewonnen. Man vermutet, dass es eine weitere NSU-Wohnung gegeben hat, dazu kamen Spenden für Kameraden – das alles zwingt dazu, nach weiteren NSU-Einkünften zu forschen.

Haben die beiden NSU-Männer Jobs angenommen, während Zschäpe das Haus hütete? Wo? Wann? Vieles spricht dafür, dass Mundlos zeitweise in der Zwickauer Abrisstrup­pe des Verfassung­sschutz-Spitzels »Manole« Marschner gearbeitet hat. Den kennen die beiden am Freitag vor dem Ausschuss befragten Polizisten aus alten Zeiten – aber nur als »gewöhnlich­en Ganoven«.

 ?? Foto: nd/Archiv ?? Überwachun­gsvideo vom Überfall in thüringisc­hen Arnstadt
Foto: nd/Archiv Überwachun­gsvideo vom Überfall in thüringisc­hen Arnstadt

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