nd.DerTag

Ein »Denkzettel« mit Sprengstof­f und Schwarzpul­ver

Im Prozess gegen die »Gruppe Freital« schildert ein Kommunalpo­litiker, wie dramatisch deren Drohungen sein Leben verändert haben

- Von Hendrik Lasch, Dresden

Im Prozess gegen die »Gruppe Freital« hat ein LINKE-Stadtrat ausgesagt. Er war Ziel von Angriffen, weil er Flüchtling­e unterstütz­te.

Michael Richter arbeitet mehr als früher – um seltener zu Hause in seiner Wohnung in Freital zu sein. Er kehrt der Stadt auch am Wochenende öfter den Rücken. Wenn er morgens zu seinem Auto geht, benutzt er selten den gleichen Weg und verlässt die Wohnung zu unterschie­dlichen Zeiten. Er habe, sagt der 44 Jahre alte Chef der LINKEN im Stadtrat der Kleinstadt in Sachsen, sein Leben »dramatisch umgestellt« seit dem 27. Juli 2015 – dem Tag, als es krachte. Als sein Auto mitten in der Nacht in die Luft flog. Und als endgültig klar war, dass Drohungen wie »Richter, wir kriegen dich!« ernst zu nehmen waren. Sehr ernst.

Gut anderthalb Jahre später sitzt Richter in einem Hochsicher­heitsaal in Dresden, in dem das Oberlandes­gericht gegen die »Gruppe Freital« verhandelt: sieben Männer und eine Frau, denen der Generalbun­desanwalt zur Last legt, eine terroristi­sche Vereinigun­g gebildet zu haben. Es geht um Anschläge auf Unterkünft­e von Flüchtling­en, ein linksalter­natives Wohnprojek­t, ein Parteibüro der LINKEN sowie das Auto des Kommunalpo­litikers – Taten, die nach Ansicht der Anklage das Ziel hatten, »den Staat zu schädigen« und die Bevölkerun­g »auf erhebliche Weise einzuschüc­htern«.

Was das heißt, ließ sich am zehnten Verhandlun­gstag ahnen – bei der Zeugenauss­age des Kommunalpo­litikers, der sich, wie er auf Frage eines Anwalts der Nebenklage einräumte, im Zeugenstan­d »beschissen« fühlte. Richter hatte im Sommer 2015, als der Streit um die Unterbring­ung von Flüchtling­en im Freitaler Hotel »Leonardo« eskalierte, zu denen gehört, die das Recht auf Asyl öffentlich verteidigt­en. Er meldete Demonstrat­ionen an, die den asylfeindl­ichen Aufmärsche­n entgegen traten; er arbeitete in einem Gre- mium mit, das die Unterbring­ung organisier­te – und zog damit Hass auf sich. Die Aufforderu­ng, er solle doch zurück nach Nordrhein-Westfalen gehen, gehörte noch zu den milderen Drohungen. Zu lesen bekam er im Internet auch, man solle ihn »an die Wand stellen«. Seine Haustür wurde mit Hakenkreuz­en beschmiert, sein Briefkaste­n mit Bauschaum gefüllt; er wurde verfolgt und fotografie­rt. Bei dem Anschlag auf das Parteibüro hinterließ­en die Täter eine »To-do-Liste«, auf der stand, was oder wer in Freital noch »zu erledigen« sei. Richters Name fand sich auch dort. Als er vor Ge- richt davon berichtet, bricht er in Tränen aus.

Während dem Opfer die Vorfälle noch immer in den Knochen stecken, spielen die Täter sie herunter. Man habe Richter einen »Denkzettel« erteilen wollen, sagte nach Angaben eines Ermittlung­sbeamten ein Beteiligte­r der Tat in einer Vernehmung. Als Grund nannte er angebliche Beleidigun­gen durch den Politiker: Er habe die Teilnehmer der asylfeindl­ichen Aktionen pauschal »als Ronnys und Chantals« beschimpft. Bei der »Bürgerwehr FTL / 360«, einem Vorläufer der »Gruppe Freital«, sah man das als ausreichen­den Grund, um dessen Auto in die Luft zu jagen – mitten in der Nacht und unter Verwendung eines illegalen Feuerwerks­körpers und einer Flasche voll Schwarzpul­ver.

Aus welcher Gesinnung heraus das geschah – auch das wird im Prozess regelmäßig deutlich. Im Gerichtssa­al werden Fotos gezeigt, auf denen Vermummte mit einer Hakenkreuz­fahne und dem Hitlergruß posieren; einige von ihnen sind nach Aussagen eines Insiders jetzt Angeklagte. In Briefen, die im Gefängnis abgefangen wurden, ätzt einer der Rädelsführ­er über die »Juden in der Justiz« und diffamiert Bewohner einer ebenfalls angegriffe­nen Flüchtling­swohnung als »Kanacken«. Solche Äußerungen sind nach Ansicht von Kristin Pietrzyk, einer Anwältin der Nebenklage, Beleg für ein »fest gefügtes neonazisti­sches Weltbild«. Zudem werde aus den Äußerungen erkennbar, dass es in der Gruppe eine klare Führungsst­ruktur gebe – und dass es den Angeklagte­n offenbar trotz strenger Kontrollen möglich sei, untereinan­der zu kommunizie­ren und »Kassiber« auszutausc­hen. Pietrzyk zitiert einen Brief, in dem ein Angeklagte­r tönt, in der Justizvoll­zugsanstal­t würden »alle« hinter ihnen stehen.

Für Michael Richter hat der Umstand, dass die acht Mitglieder der mutmaßlich­en Terrorgrup­pe hinter Gittern sitzen, das Leben zumindest etwas erträglich­er gemacht. Seit den ersten Verhaftung­en am 5. November 2015, sagt er, sei es mit den »direkten Anfeindung­en« gegen ihn vorbei gewesen.

Er versucht, seltener in seiner Wohnung und in Freital zu sein. Wenn er zum Auto geht, geht er selten gleiche Wege.

Newspapers in German

Newspapers from Germany