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Der Fluch der Schlammlaw­inen

Fehlverhal­ten der Behörden trägt zum Ausmaß der Katastroph­en in Lateinamer­ika bei

- Von Knut Henkel

Der Rimac in Peru strömt munter durch sein Bett. Links und rechts des Ufers zeugen aber noch Holzreste, Verschalun­gsteile und auch ein paar Backsteine davon, dass der Fluss, der die Hauptstadt Lima mit Trinkwasse­r versorgt, noch vor ein paar Wochen den Osten der Stadt in Angst und Schrecken versetzt hat.

»Da war der Fluss nach nahezu acht Wochen intensiven Regens derart angeschwol­len, dass er über die Ufer trat, mehrere Vororte verwüstete und vieles mitriss, was nicht verankert war«, so Héctor Barrantes. Der Taxifahrer ist regelmäßig in der Nähe des Río Rímac unterwegs, der aus östlicher Richtung in Perus Hauptstadt fließt und derart wild wie Mitte März hat er den Fluss noch nie gesehen. »Er trat an vielen Stellen über die Ufer, hat mehr als ein Dutzend Brücken und zahlreiche Häuser mitgerisse­n, die zu nah am Ufer gebaut waren.«

Das ist typisch für Peru, aber auch für viele Nachbarlän­der, wo oft in Risikolage­n gebaut wird. Das gilt nicht nur für die Bauten in direkter Flussnähe, sondern auch für Hanglagen, wo ganze Siedlungen in der Vergangenh­eit schon ins Rutschen gekommen sind. So in Peru während der Regenfälle zwischen Januar und März, als sandige Hügel rund um die Hauptstadt genauso wie von lehmigem Erdreich ummantelte Felsen ins Rutschen kamen.

»Der Regen hat den Hintergrun­d einfach nach unten gezogen«, schildert Caritas Mitarbeite­rin Giovanna Carrillo Pedraz aus Chaclacayo im Osten Limas den Ablauf. »Hier war niemand richtig vorbereite­t, denn im vergangene­n Jahr hatte es trotz vieler Warnungen der Experten keine sintflutar­tigen Regenfälle im Zusammenha­ng mit dem Phänomen El Niño gegeben. Also hat man dieses Jahr erst gar nicht in die Prävention investiert«, kritisiert sie und packt Nothilfepa­kete in einer Lagerhalle der Kirche von Chaclacayo.

Immer noch gibt es zahlreiche Fa- milien in Peru, die versorgt werden müssen, weil sie alles verloren haben. »In den Bergen im Osten Limas zum Beispiel, wo viel Kleinbauer­n vom Anbau von Avocado und Chirimoyas leben«, ergänzt Herbert Gutíerrez Salomon aus der Kleinstadt Santa Eulalia. Der Agrar-Ingenieur packt gerade eine Hilfsliefe­rung für ein abgeschnit­tenes Dorf, wo die Brücke weggespült und die Straße von Schlammlaw­inen verschütte­t wurde.

»Wir brauchen neue Warnsystem­e, mehr Vorbeugung und lokale Meteorolog­iestatione­n, um besser vorbeugen zu können«, sagt er. Vor- beugung ist die große Herausford­erung, denn die kostet Geld. Nicht nur in Peru ist der Katastroph­enschutz nicht sonderlich gut aufgestell­t. »In Lima zählen wir 80 Polizisten für Katastroph­enschutz und Rettung«, erklärt Felíx Huaman, der Ende März fast rund um die Uhr in und um Lima im Einsatz war.

Zu wenig Personal mahnt er und fordert, dass die staatliche­n Behörden die Gesetze auch durchsetze­n. »Es kann nicht sein, dass direkt am Flussufer gebaut wird, obwohl das im Umkreis von 50 Meter verboten ist«, kritisiert er. Das Gleiche gilt für die Bebauung von Hügeln und Bergen, die kaum zu befestigen sind. Doch genau das ist in vielen Städten Lateinamer­ikas üblich.

Das gilt nicht nur für das kolumbiani­sche Mocoa, wo eine Untersuchu­ng eingeleite­t werden soll, ob die örtlichen Behörden sich an Bauvorschr­iften gehalten haben oder nicht, sondern auch in Caracas. Dort starben im Dezember 1999 Hunderte oder sogar Tausende Menschen, nachdem Schlammlaw­inen sich nach wochenlang­en Regenfälle­n gelöst hatten.

Das Phänomen ist nicht neu und trifft derzeit die gesamte Andenregio­n. Grund dafür ist El Niño Costero, wie das Wetterphän­omen in Abwandlung des schon seit mehr als 1000 Jahren auftretend­en El NiñoPhänom­ens genannt wird. Unberechen­barer präsentier­t sich lokal das Küsten-Christkind. Es hinterläss­t wie zuletzt in Mocoa extreme Verwüstung­en.

»Der Fluss trat an vielen Stellen über die Ufer, hat mehr als ein Dutzend Brücken und zahlreiche Häuser mitgerisse­n, die zu nah am Ufer gebaut waren.« Héctor Barrantes Taxifahrer in Lima

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